Spektakulärer Suizid eines Green Berets
4. Januar 2025
Gerhard Piper
Am 1. Januar 2025 sprengte sich ein Master Sergeant der amerikanischen Sondereinheit „Green Berets“ in Las Vegas in die Luft, um damit ein Zeichen gegen den politischen und gesellschaftlichen Verfall der USA zu setzen. Der Soldat war seit 2012 in Böblingen (BRD) stationiert.
Biographie des Matthew Alan Livelsberger
Matthew „Matt“ Alan Livelsberger wurde am 22. Juli 1987 in Colorado Springs (US) geboren und war damit US-Staatsbürger. Nach dem Abschluss der High School ging er im Januar 2006 zur U.S. Army. Im März 2011 trat er aus dem aktiven Dienst aus, diente aber weiter in der Army National Guard (bis Juli 2012) und danach in der U.S. Army Reserve (bis Dezember 2012. Im Zivilleben versuchte er 2011/12 vergeblich bei einer Bildbearbeitungsfirma in Charlotte (North Carolina) Fuß zu fassen, schied aber nach elf Monaten wieder aus. Im Dezember 2012 trat er erneut in die U.S. Army ein. (1)
Er wurde 2007 Mitglied des 1st Special Forces Command (USASFC) der Green Berets, die für Guerillakriegführung und Partisanenbekämpfung zuständig ist. Bei den Spezialeinheiten wurde er als Fernmelder, IT-Experte und schließlich in der Drohnenkriegführung eingesetzt. Er stieg zum „team sergeant“ auf und war damit stellvertretender Kommandeur seines Detachments. Zuletzt bekleidete Livelsberger den Rang eines „Master Sergeant“. Während seiner „Militärkarriere“ wurde er fünfmal mit dem „Bronze Star“ und einmal mit dem zivilen „Meritorious Honor Award“ ausgezeichnet.
Zunächst war er im damaligen Fort Bragg (seit 2023: Fort Liberty) in North Carolina und später in Fort Carson (Colorado) stationiert, wo das Hauptquartier der 10th Special Forces Group (Airborne) (10th SFG[A]) untergebracht ist. Im Jahr 2012 wurde er zur USAREUR in die Bundesrepublik Deutschland versetzt. Hier gehörte er zum 1st Battalion der 10th SFG(A). Diese Einheit war bis Juli 1991 in der Flint Kaserne in Bad Tölz (Bayern) disloziert, danach verlegte sie zur Panzer-Kaserne in Böblingen-Ost (Panzerstraße) bei Stuttgart. (2)
Spätestens ab 2009 diente er dreimal in Afghanistan und wurde u. a. im Raum Kabul eingesetzt. Dort musste seine Einheit Anschläge der Taliban mit Autobomben verhindern. Außerdem diente er in der Ukraine, Georgien, an der U.S.-Botschaft in Duschanbe (Tadschikistan) und im Kongo. So ist bisher nicht bekannt, an welchen konkreten Sonderoperationen Livelsberger im Laufe seiner fast zwanzigjährigen Militärdienstzeit teilgenommen hat und ob er an Kriegsverbrechen beteiligt war. Weder die US-Militärjustiz noch die deutsche Justiz hatten in den vergangenen Jahren ein Interesse daran, dies aufzuarbeiten.
Kurz vor Weihnachten erhielt er Urlaub und reiste in die USA. Erst am 30. Dezember erwarb er dort legal einen Revolver, mit dem er sich zwei Tage später in den Kopf schoss.
Über sein Privatleben wurde nur wenig bekannt. Im Dezember 2012 heiratete er zum ersten Mal, aber die Ehe wurde später geschieden. Im Jahr 2022 heiratete Livelsberger zum zweiten Mal und wurde im April 2024 Vater.
Post-traumatic Stress Disorder
Schon 2018 erkannte seine damalige Freundin, dass Livelsberger durch seine Fronteinsätze an einer Post-traumatischen Belastungsstörung (PTBS) litt. Sie selbst habe ihm „geraten, eine Therapie zu machen“, sagte die Ex-Freundin. „Aber er hat mir jedes Mal Erklärungen gegeben, warum er das nicht tun konnte. Es gab in seiner Einheit dieses Stigma. Sie waren alle groß und stark, Elitesoldaten eben. Schwächen durfte man nicht zeigen. Und psychische Probleme haben sie als Schwäche gesehen.“ (3)
So spielte Livelsberger seine „privaten“ Probleme herunter und wollte sich jahrelang nicht behandeln lassen. Erst im letzten Jahr wurde bei ihm eine „Depression“ offiziell festgestellt, allerdings wurde er nicht als selbstmordgefährdet eingestuft. Kurz vor seinem Tod teilte er mit, er wolle seinen Kopf reinigen („cleanse“) wegen all der Kameraden, die umgekommen waren, und er wolle sich reinwaschen von der Last, andere Menschen getötet zu haben („the burden of the lives I took“). (4)
Möglicherweise entwickelte Livelsberger auch paranoide Züge oder wurde zumindest zum Anhänger von Verschwörungstheorien. So schickte er einen Tag vor seinem Selbstmord eine Email an mehrere Medien, in denen er den Besitz einer Autobombe einräumte und beklagte, die amerikanischen Regierungsbehörden würden ihn verfolgen („tracking“). Demnach hatte er angeblich noch vor, die amerikanisch-mexikanische Grenze zu besuchen.
Früher sprach man einfach vom „Frontschock“, erst im Koreakrieg wurde die PTSB als schwere psychische und physische Erkrankung diagnostiziert, deren Symptome vielfältig sind und erst nach Jahren oder über lange Zeit das Leben der Patienten beeinträchtigen:
„Die psychologischen Symptome der PTBS sind äußerst unangenehm und belastend. Diese Symptome können jedoch einen Sinn ergeben, wenn wir darüber nachdenken, wie unser Verstand möglicherweise arbeitet, um uns nach einem traumatischen Ereignis zu schützen.
- Erinnerung – Nach einem traumatischen Ereignis können oder wollen wir uns möglicherweise nicht mehr daran erinnern. Obwohl es belastend sein kann, sich an das Geschehene zu erinnern, kann es uns helfen, dem Ereignis einen Sinn zu geben. Dies kann für unsere psychische Gesundheit hilfreich sein.
- Störende Gedanken oder Flashbacks – Diese können als Wiederholungen des Geschehenen angesehen werden. Möglicherweise zwingen sie uns dazu, über das Geschehene nachzudenken, damit wir besser vorbereitet sind, falls es sich wiederholen sollte. Bei einer PTBS führen diese Gedanken jedoch nur dazu, dass wir uns verzweifelt fühlen.
- Vermeidung und Betäubung – Es ist anstrengend und belastend, sich an ein Trauma zu erinnern. Vermeidung und Betäubung können Ihnen helfen, nicht mehr an das Geschehene zu denken. Sie hindern Sie jedoch auch daran, Ihre Erlebnisse zu verarbeiten.
- Hypervigilanz – Wenn wir „auf der Hut“ sind, fühlen wir uns möglicherweise darauf vorbereitet, schnell zu reagieren, wenn eine weitere Krise eintritt. Das kann uns auch die Energie für die Arbeit geben, die nach einem Unfall oder einer Krise nötig ist. Es kann aber auch anstrengend sein und uns daran hindern, Dinge zu tun, die wir früher gerne getan haben.“ (5)
Soldaten, die nach einem Kampfeinsatz an einer PTBS leiden, gelten – nicht immer zu Unrecht – als „lebende Zeitbomben“. Aber es zeigte sich nach den Anti-Terror-Einsätzen der vergangenen Jahrzehnte, dass die Streitkräfte nur unzureichend auf die Behandlung von PTBS-Patienten unter ihren Soldaten vorbereitet waren. So gab es weder genügend Ärzte noch moderne Behandlungsmethoden, dies gilt für die U.S. Army gleichermaßen wie für die Bundeswehr. Es dauerte Jahre, bis die PTBS als „Berufskrankheit“ bzw. „Wehrdienstschaden“ anerkannt wurde und entsprechende Behandlungskapazitäten geschaffen wurden. (6)
Der Suizid
Zur Tragik im Leben von Livelsberger gehörte es, dass er fremde Hilfe nicht annehmen konnte oder wollte, sich irgendwann aber auch nicht mehr selbst helfen konnte. Am 1. Januar 2025 erschoss sich Livelsberger in einem Auto vor dem Eingangsbereich des „Trump International Hotel“ in Las Vegas (2000 Fashion Show Drive) Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen Tesla Cybertruck. Zunächst erschoss sich Livelsberger mit einem Revolver, anschließend explodierte eine Autobombe (Vehicle-borne improvised explosive device - VBIED) im Fahrzeug. Über deren Konstruktion und (Zeit-)Zünder wurden keine Angaben gemacht. Auf der Ladefläche des Pick-Up lagerten außerdem Gasflaschen, Benzinkanister und Feuerwerkskörper, so dass mit einer größeren Explosion gerechnet werden musste. Tatsächlich wurden aber nur sieben Personen leicht verletzt.
Ein Angehöriger erklärte: „If he really wanted to hurt people, he could have hurt a lot of people. (…) But that is not in his nature, it was never in his nature.” Ein US-Ermittler bestätigte, das „Niveau“ der Vorgehensweise mit den explosiven Materialien sei „nicht das, was wir von einer Person mit dieser Art von militärischer Erfahrung erwarten würden“. (7)
Es stellte sich heraus, dass der vermeintliche Terroranschlag ein öffentlich zur Schau gestellter Selbstmord war. So nannte Spencer Evans, Special agent des FBI in Las Vegas, die Aktion „a tragic case of suicide involving a heavily decorated combat veteran who was struggling with PTSD and other issues“. (8)
Politisches Fanal
Nach dem „Anschlag“ war zunächst über einen dschihadistischen Anschlag gegen die zukünftige US-Regierung spekuliert worden. Schließlich schienen das „Trump International Hotel“ und das Fahrzeug des Herstellers Elon Musk mit Bedacht gewählt, gelten doch beide als das führende Duo in der zukünftigen US-Administration. Es stellte sich aber heraus, dass Livelsberger sich als amerikanischer Patriot darstellte und ein konservativer Anhänger des „president elect“ Donald Trump war. Ein Angehöriger berichtete: „Matt had a lot of respect for Mr. Trump – he just loved the guy.“ (9)
Nach der Aktion sprach das FBI von einem „wake-up call“. Livelsberger kritisierte in einem Brief, den das FBI barg, seine Landsleute: „Americans only pay attention to spectacles and violence“. Sie lieben „fireworks and explosives“:
„Die Amerikaner schenken nur Spektakeln und Gewalt ihre Aufmerksamkeit. Was hätte es für einen besseren Weg gegeben, meinen Standpunkt klarzumachen, als mit einem Stunt mit Feuerwerk und Sprengstoff“? (10)
Darüber hinaus beklagte er die Zustände in den USA und konstatierte, die USA seien „terminally ill and headed towards collapse“.
Quellen:
(1) https://abcnews.go.com/Politics/cybertruck-explosion-suspect-matthew-livelsberger/story?id=117271048
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Panzerkaserne_B%C3%B6blingen
(3) https://www.spiegel.de/panorama/las-vegas-ermittler-behandeln-explosion-von-cybertruck-als-suizid-a-61ffbe71-d1a4-49b6-af0f-3b18b835da4f
(4) https://edition.cnn.com/2025/01/02/us/matthew-alan-livelsberger-vegas-cybertruck-explosion/index.html
(5) https://www.rcpsych.ac.uk/mental-health/translations/german/post-
traumatic-stress-disorder-(PTSD)#:~:text=Die%20posttraumatische%20
Belastungsst%C3%B6rung%20(PTBS)%20ist,negative%20Gef%C3%BChle
%2C%20Gedanken%20und%20Erinnerungen
(6) https://www.bundeswehr.de/de/betreuung-fuersorge/ptbs-hilfe/hilfe-ptbs-betroffene/ehemalige-soldaten-und-reservisten
(7) https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.explodierter-tesla-cybertruck-
in-las-vegas-tatverdaechtiger-war-in-deutschland-stationiert-spur-fuehrt-nach-
boeblingen.a8e635f2-ef06-4d48-9c74-db916f9be178.html
(8) https://edition.cnn.com/2025/01/02/us/matthew-alan-livelsberger-vegas-cybertruck-explosion/index.html
(9) https://edition.cnn.com/2025/01/02/us/matthew-alan-livelsberger-vegas-cybertruck-explosion/index.html
(10) https://www.spiegel.de/panorama/las-vegas-ermittler-behandeln-explosion-von-cybertruck-als-suizid-a-61ffbe71-d1a4-49b6-af0f-3b18b835da4f