Die Düsseldorfer Phantasmagorien des Saleh AL-GHADBAN
Gerhard Piper
23. Juli 2017
Düsseldorf hat anscheinend noch einmal Glück gehabt: Ein Massaker in der Altstadt konnte nur dadurch verhindert werden, weil sich der Haupttäter Saleh al-Ghadban der Polizei stellte. Seine vermeintlichen Mitverschwörer Abd Arahman A. K., Mahood B. und Hamza C. konnten durch Sondereinsatzkommandos festgenommen werden. Aber hat es den Anschlagsplan tatsächlich gegeben? Dies herauszufinden müht sich gerade der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Der Hauptangeklagte ist zugleich Kronzeuge und präsentiert ständig neue „Fake-Wahrheiten“. Seine letzte Version: Die von ihm vor einem Jahr Beschuldigten seien unschuldig. Daraufhin wurde der Haftbefehl gegen Mahood B. am 15. Juli aufgehoben. Was folgt ist die Chronologie einer schwierigen Wahrheitssuche.
Terror und Mord in Syrien
Saleh al-Ghadban ist syrischer Staatsbürger und wurde 1987 im Sudan geboren. Sein Vater ist ein syrischer Radiologe oder Chirurg, seine Mutter eine palästinensische Apothekerin. Im Jahr 2004 übersiedelte seine Familie nach Tabka oder Raqqa (Syrien), der Heimatstadt seines Vaters. Er begann ein Studium der Informatik und Technologie, das er allerdings nach vier Semestern abbrach. Einer seiner beiden Brüder wurde vom Assad-Regime ermordet. Von November 2009 bis Juli 2011 saß er im Gefängnis in Damaskus, weil er – nach eigenen Angaben - den Diktator Baschar al-Assad beleidigt hatte. Tatsächlich hatte es zwischen seiner Familie und einem anderen Clan einen Streit gegeben, bei dem ein Angehöriger der anderen Familie getötet wurde. Daraufhin wurden Saleh Al-Ghadban und 36 weitere Familienmitglieder verurteilt. (www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/anschlag-in-duesseldorf-geplant-angeklagter-schildert-seinen-weg-zum-is-aid-1.6930179)
Als er im Rahmen einer Amnestie aus der Haft entlassen wurde, tobte in Syrien bereits der Bürgerkrieg. Saleh al-Ghadban schloss sich – nach eigenen Angaben – dem Kampfverband Liwa Owais Al Qorani an, der zunächst auf Seiten der Freien Syrischen Armee (FSA) kämpfte und sich ab Herbst 2012 der damaligen Jabhat al-Nusra (JaN) anschloss. Jedoch muss nach Recherchen des französischen Journalisten Jean Michel Décugis vom TV-Sender „i-télé“ muss bezweifelt werden, dass Saleh al-Ghadban jemals Mitglied der Jabhat al-Nusra war, da er vom IS zu einem Zeitpunkt festgenommen wurde, als er noch bei der FSA kämpfte.
Jedenfalls soll er ein Schnellfeuergewehr und eine Art Raketenwerfer erhalten haben. Damals erschoss er bei Kämpfen um die Stadt Tabka einen syrischen Soldaten, der seinen Bruder und seinen Cousin getötet hatte. Dazu legte er in seinem Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf am 13. Juli 2017 ein Geständnis ab: „Wenn ich nicht geschossen hätte, hätte er mich erschossen“, versuchte sich der 30-Jährige zu rechtfertigen. Nach dem Feuergefecht flüchtete Saleh al-Ghadban zunächst in die Region Latakia, bevor er im Herbst 2013 nach Tabka zurückkehrte. (www.express.de/duesseldorf/altstadt-anschlag-in-duesseldorf-angeklagter-saleh-a--gesteht-mord-in-syrien-27924680)
Im November 2013 lief sein Kampfverband zum „Islamischen Staat“ (IS) über, aber Saleh al-Ghadban widersetzte sich zunächst diesem Linienwechsel. Zur Strafe wurde ihm von der IS-Geheimpolizei (entweder Amniyat oder Shurta Askeriya?) in die Schulter geschossen, anschließend wurde er zunächst in einem Gefängnis und dann in einem Umerziehungslager interniert. Hier traf er angeblich erstmals auf Hamza C.. Nach 64 Tagen kam Saleh al-Ghadban im Januar 2014 als IS-Mitglied wieder „frei“. Im April 2014 trafen er und Hamza C. im ehemaligen Finanzamt von Raqqa angeblich mit höheren IS-Chargen zusammen, darunter auch Abu Loqman, den „Emir“ der Region. Damals erhielt er von seinem Schwager, der innerhalb des Islamischen Staates eine höhere Position innerhalb der so genannten Abteilung für Externe Operationen innehatte, den Auftrag, einen Anschlag in Deutschland zu verüben.
Mit dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland
Zusammen mit Hamza C. reiste Saleh al-Ghadban im Mai 2014 in die Türkei. Nach eigener Einlassung, will er bereits damals für den türkischen Geheimdienst gearbeitet haben, wie der „Spiegel“ am 17. Juni 2017 berichtete (S. 40):
„Saleh A. und Hamza C. reisten im Mai 2014 in die Türkei. Sie sollten zunächst Schleuserrouten nach Europa auskundschaften. Damals, so Saleh A., habe er heimlich dem türkischen Geheimdienst zugearbeitet und dafür gesorgt, dass etwa 50 IS-Kämpfer festgenommen wurden. Auch mehrere Anschläge, unter anderem auf ein US-Konsulat, seien durch sein Zutun verhindert worden. Von seiner Informantentätigkeit versprach er sich wohl persönliche Vorteile.“
Von dort aus reiste er 2015 über Griechenland alleine weiter nach Deutschland. Hier meldete er sich im März 2014 zunächst bei einer Erstaufnahmestelle in Dortmund. Am 19. März 2015 entschied die Bezirksregierung Arnsberg, dass Saleh al-Ghadban dem Flüchtlingsheim in Kaarst-Vorst (Bäumchensweg) zugewiesen wurde. Hier wohnte er seit dem 26. März 2015 und war als Konsument großer Mengen an Marihuana und Alkohol bekannt. Saleh al-Ghadban stellte einen Asylantrag, über den noch nicht abschließend entschieden wurde. Einen zweiten Asylantrag stellte er in den Niederlanden, wo er eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Dort hatte er angeblich Verbindungen zu weiteren IS-Sympathisanten. Wiederholt reiste Saleh al-Ghadban nach Mönchengladbach und Düsseldorf. Dort rekrutierte er Mahood B. für seine (fiktive) „IS-Zelle“.
Im Juli 2015 stahl er in der Diskothek „Kulisse“ in Düsseldorf (Neustraße 29) einem Gast durch einen Antanz-Trick dessen Portemonnaie. Als er dies bei einem weiteren Diskobesucher ein zweites Mal versuchte, bemerkte das Opfer den versuchten Diebstahl und wehrte sich, daraufhin biss ihm Saleh al-Ghadban in den Daumen und den Mittelfinger. Dafür sollte sich Saleh al-Ghadban am 15. Juni 2016 vor dem Amtsgericht Düsseldorf verantworten. (www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/is-terrorist-war-schon-als-antaenzer-in-der-altstadt-aid-1.6026335)
Reise zur Pariser Polizei
Wohl um dem drohenden Strafverfahren zu entfliehen, setzte er am 30. Januar 2016 – zusammen mit Hamza C. und einer weiteren Person - nach Frankreich ab. Angeblich wollte er sich in einem Coiffeur-Laden mit einem IS-Kämpfer treffen, um einen Umschlag mit Geld in Empfang zu nehmen.
Angeblich wollte er mit dem Geld nach Rom reisen, um mit dem Vatikan Kontakt aufzunehmen, um mit den Vertretern des Kirchenstaates die IS-Bedingungen für eine Freilassung des italienischen Priester Paolo Dall'Oglio abzuklären. Aber der erwartete Geldüberbringer erschien nicht! Daraufhin will sich Saleh al-Ghadban spontan vom Terrorismus losgesagt haben, weil er dessen „müde“ gewesen sei. Bei einer anderen Vernehmung erklärte Saleh al-Ghadban stattdessen, er habe in Paris Geld, Waffen und Sprengstoff für den Anschlag in Deutschland besorgen wollen. Später relativierte er seine Aussagen nochmals und gab gegenüber der Polizei an, falsch verstanden worden zu sein. (www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-06/duesseldorf-ermittlungen-islamischer-staat-geplanter-anschlag-faq)
Jedenfalls stellte er sich am 1. Februar 2016 auf dem Commissariat Central de Police in Paris (Rue de Clignancourt 79) im Ortsteil La Goutte d'Or im 18ème Arrondissement. Am 6. Februar 2016 wurde gegen ihn ein offizielles französisches Ermittlungsverfahren eröffnet.
Der Düsseldorfer „Terrorplan“
Gegenüber der Polizei erzählte er eine Geschichte über einen geplanten IS-Anschlag in der Heinrich-Heine-Straße in Düsseldorf: Die Rede war von zwei Kommandos á fünf Personen: Zunächst sollte sich jeweils ein Selbstmordattentäter mit einem Sprenggürtel im Stadtzentrum in parallel zueinander verlaufenden Straßen (Bolker- und Andreasstraße) in die Luft sprengen, daraufhin sollten jeweils vier Gewehrschützen das Feuer auf die flüchtenden Passanten eröffnen. Dazu sollten sich an den vier Ausgängen der Altstadt (Flinger-, Hunsrück- und Mühlenstraße sowie in der Heinrich-Heine-Allee) jeweils zwei Terroristen mit Kalaschnikows postieren, wie es in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts hieß. (www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=19&newsid=683) Der Anschlag sollte an einem belebten Freitag- oder Samstagabend erfolgen. „Sie sollten möglichst viele flüchtende Menschen erschießen und sich nach der Entleerung ihrer Magazine schließlich ebenfalls in die Luft sprengen“, hieß es in einem Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH). „Die Planung war bereits weit fortgeschritten.“
Den Hinweis auf den Anschlagsort erhielt er angeblich über seinen Schwager von dem Tunesier „Abu Haret“, der über einschlägige Ortskenntnisse verfügte. Parallel zur Entwicklung des Operationsplanes rekrutierten Saleh al-Ghadban und Hamza C. angeblich weitere Mitkämpfer: Zu dem vermeintlichen Terrorkommando zählten außerdem noch Abd Arahman A. K. (seit Januar 2016) und Mahood B. (spätestens seit Januar 2016). Insgesamt sollen zu dem Terrorkommando – nach unterschiedlichen Angaben – zehn bis zwanzig Mitglieder gehört haben, die hauptsächlich im Raum Düsseldorf und im niederländischen Nimwegen lebten.
Aufgrund der bekanntgewordenen Planungen entwarf der TV-Journalist Elmar Theveßen in seinem Buch „Terror in Deutschland – die tödliche Strategie der Islamisten“ folgendes Szenario (S. 9):
„Mitten in Düsseldorf, in und an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee, sprengen sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft, reißen Dutzende Menschen mit sich in den Tod. Auf der belebten Straße, einer der Hauptverkehrsadern der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, rennen die Passanten in Panik davon, in die Fußgängerzone der Altstadt. Dort eröffnen acht Terroristen mit Kalaschnikows das Feuer, wahllos schießen sie auf Männer, Frauen und Kinder. Streifenpolizisten stellen sich ihnen entgegen, aber ihre Schutzwesten werden von den Kugeln der Attentäter durchschlagen. Die Beamten müssten aus dem Hinterhalt feuern, um eine Chance zu haben, doch dafür hat sie niemand ausgebildet. Als dann – endlich – Spezialkräfte der Polizei anrücken, zünden die Terroristen ihre Sprengstoffgürtel und töten so zahlreiche weitere Menschen.“
Außerdem erklärte Saleh al-Ghadban, er und Hamza C. hätten zur Finanzierung des Anschlagsvorhabens beabsichtigt, dem Vatikan ein Video mit einem Lebenszeichen eines vom IS in Syrien entführten Priesters zu verkaufen. Dazu nahmen sie unter anderem Kontakt nach Syrien auf, um von dort entsprechende Aufnahmen zu erhalten. Ende Januar 2016 reisten Hamza C. und Saleh al-Ghadban nach Paris. Dort beabsichtigten sie, bei Hawala-Agenten Geld für ihre Weiterreise nach Rom zu erhalten.
Im Januar 2016, also nur wenige Tage bevor er sich der Polizei stellte, will Saleh al-Ghadban zum ersten Mal Kontakt zu seinen vermeintlichen Mitverschwörern aufgenommen haben, wie die „FAZ“ berichtete:
„Die Sicherheitsbehörden wissen, dass Saleh A. und Abd Arahman A. K. im Januar miteinander Kontakt aufnahmen. Ebenfalls spätestens im Januar überzeugten Saleh A. und Hamza C. nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft ihren Landsmann Mahood B., sich an einem Anschlag zu beteiligen.“ (www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/is-terroristen-planten-anschlag-in-duesseldorf-14265857.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2)
Er meldete via „Facebook“nach Syrien, er habe „die erforderliche Anzahl von Männern“, sie seien „hart wie Stein und hätten Herzen wie Löwen“.
Ermittlungen der Bundesanwaltschaft
Nach seiner Festnahme durch die französische Polizei wurde Saleh al-Ghadban anschließend von Marcel Croissant von der Bundesanwaltschaft verhört. Die Ermittlungen der Ermittlungskommission ANBIETER aus über 30 Beamten liefen unter dem Aktenzeichen 2 BJs 17/16. Wegen der gezielten und beabsichtigten Erschießung des syrischen Soldaten, die von Saleh al-Ghadban eingestanden wurde, ermittelte die Bundesanwaltschaft bloß wegen „Totschlags“, um ihren Kronzeugen nicht zu verprellen.
Über die Ergebnisse einer Abhöroperation gegen die Schläferzelle 2016 berichtete der „Spiegel“ am 11 Juni 2016 (S. 49):
„Sie fanden keine Beweise dafür, dass die Geschichte von Saleh A. stimmt. Aber es gab Indizien. In abgehörten Gesprächen fragten die Männer sich, wo Saleh wohl geblieben sei. Wenn sie in ihren Telefonaten an kritische Punkte kamen, brachen sie ab. Einer der Männer beschwerte sich am Telefon, er dürfe nicht beten gehen – wohl um nicht aufzufallen. Man kann das als konspiratives Verhalten deuten.“
Aufgrund der widersprüchlichen Aussagen von Saleh al-Ghadban gab es bereits seit Anfang Juni 2016 Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit seiner Aussagen. So berichtete die „Tagesschau“ am 3. Juni 2016:
„Nach Angaben von französischen Medien sind die Ermittler unsicher, was man Saleh A. glauben kann. Seine Erklärungen wirkten demnach gekünstelt. Sogar die Hypothese, er könne ein Spion des Geheimdienstes des IS sein, habe es bei den Ermittlern schon gegeben. Umso mehr verkompliziert das Schweigen der in Deutschland Festgenommenen die Ermittlungen.“ (www.tagesschau.de/inland/terrorzelle-duesseldorf-anschlag-101.html)
Bereits am 29. Juni 2016 mutmaßte die Düsseldorfer Lokalzeitung „Rheinische Post“, dass es sich bei der vermeintlichen Anschlagsplanung wohl nur um ein „Hirngespinst“ von Saleh al-Ghadban handelte:
„Die von der Generalbundesanwaltschaft veröffentlichten Erkenntnisse zu den Anschlagsplänen für die Düsseldorfer Altstadt sollen sich nach Recherchen unserer Redaktion bislang nicht belegen lassen. Da sei nichts dran gewesen, hieß es aus gut unterrichteten Regierungskreisen. Die Aussagen des syrischen Staatsbürgers Saleh A., der die französische Polizei über den vermeintlichen Anschlag informiert hatte, hätten der Überprüfung in keiner Weise standgehalten, bestätigte ein weiterer Insider.
Eine Sprecherin des Generalbundesanwalts sagte unserer Redaktion zu dem Sachverhalt: „Die Ermittlungen dauern noch an. Da bei keinem der Täter bislang ein hinreichender Tatverdacht festgestellt wurde, wurde auch noch keine Anklage erhoben. Ein dringender Tatverdacht besteht allerdings immer noch, deshalb sind die Verdächtigen auch noch in Untersuchungshaft.“ (…)
A. und die anderen Festgenommenen sollen aber nie in der Lage gewesen sein, auch nur ansatzweise einen solchen Anschlag durchzuführen, heißt es aus Sicherheitskreisen. Die Männer seien vor ihrer Festnahme lange beobachtet worden. Zweimal seien die Antiterrorfahnder übereinstimmend zu dem Schluss gekommen, dass von ihnen keine Gefahr ausgehe. Der Zugriff sei schließlich am 2. Juni nur erfolgt, weil sie nach Italien ausreisen wollten - und nicht, weil sie einen Anschlag planten.“ (www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/duesseldorfer-terrorplan-war-ein-hirngespinst-aid-1.6082975?utm_content=bufferce06c&utm_medium=social&utm_source=plus.google.com&utm_campaign=buffer)
Saleh al-Ghadban saß zunächst in Frankreich in U-Haft, wurde aber am 30. September 2016 an die deutschen Justizbehörden überstellt. Daraufhin teilte die Bundesanwaltschaft mit, er sei „dringend verdächtig“, Mitglied des IS zu sein.
Spätestens im Januar 2017 wurde durch die Recherchen des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof deutlich, dass die Anschlagsvorbereitungen anscheinend weiter geschritten waren, als es die deutschen Sicherheitsbehörden bis dahin vermutet hatten. Allerdings erwies sich diese BGH-Beurteilung mittlerweile als Fehleinschätzung.
Kontakte zum BND?
Am 8. Juli 2016 berichteten Manuel Bewarder und Florian Flade in der „Welt“, dass Saleh al-Ghadban in Kontakt stand mit einem V-Mann des Bundesnachrichtendienstes:
„Wie die „Welt am Sonntag“ aus Sicherheitskreisen erfuhr, soll eine Quelle des BND den Syrer als „Informanten“ geführt haben. Die Quelle reiste wohl mehrfach im Auftrag des deutschen Geheimdienstes in den Nahen Osten – auch nach Syrien – und knüpfte dort zahlreiche Kontakte. Der Terrorverdächtige Saleh A. soll eine dieser "Kontaktpersonen" der BND-Quelle gewesen sein.
Es heißt, es gebe keine „unmittelbaren Kontakte“ von Saleh A. zum BND. Dennoch wird die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die die Ermittlungen wegen der angeblichen Düsseldorf-Anschläge führt, sicherlich einige Antworten vom deutschen Auslandsdienst einfordern.
Wie nah war der Bundesnachrichtendienst an dem Quartett dran? Wieso bot sich Saleh A. den französischen Behörden, nicht aber den deutschen an? Und überhaupt: Wie glaubhaft ist der Syrer? Der Präsident des BND, Bruno Kahl, der erst vor einer Woche die Ernennungsurkunde erhielt, muss sich also umgehend um eine heikle Angelegenheit kümmern.“ (www.welt.de/politik/deutschland/article156902273/Terrorverdaechtiger-hatte-Kontakt-zum-BND.html)
Außerdem schrieb Saleh al-Ghadban am 8. Januar 2017 aus der Haft heraus einen Brief an den Bundesnachrichtendienst, in dem er darauf hinwies, dass er in Syrien für beide Seiten, die autoritäre Regierung und die aufständische Opposition, gearbeitet habe. So bleibt die Frage, in welcher Beziehung Saleh al-Ghadban tatsächlich zu seinen drei angeblichen Mitverschwörern stand, und was das Quartett tatsächlich plante.
Der Prozess am vermeintlichen Anschlagsort
Im März 2017 erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen Saleh al-Ghadban, Mahood B., Hamza C. vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Aktenzeichen: III-6 StS 1/17 und 2 StE 34/17-4). Als Vorsitzende Richterin amtiert Barbara Havliza; die Anklage wird durch Bundesanwalt Dr. Tobias Engelstätter vertreten. Die Anklageschrift hat einen Umfang von 160 Seiten. Sie stützt sich u. a. auf „Facebook“-Beiträge, die das amerikanische FBI beigesteuert hat.
Nicht nur mit Saleh al-Ghadban haben die deutschen Staatssicherheitsbehörden ihre Mühe, auch bei den anderen Angeklagten lagen sie voll daneben: Hamza C. galt zunächst als „Syrer“, wie die Bundesanwaltschaft annahm, oder als „Palästinenser“, wie die Ausländerbehörde des Landkreises Spree-Oderland vermutete. Beim Beginn des Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf am 5. Juli 2017 stellte sich schließlich heraus, dass Hamza C. gegenüber den Behörden einen veränderten Nachnamen angegeben hatte. Außerdem war er in Wirklichkeit Algerier, wie sein Anwalt Marvin Schroth bekanntgab. Ende Juli 2015 kam Hamza C. in der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt an. Am 11. September 2015 sei er erstmals in der Flüchtlingsunterkunft in Bliesdorf (Am Gewerbepark 3) registriert worden. Hier stellte er einen Asylantrag. Zwischenzeitlich verschwand er für fünf Monate. Zeitweise soll er sich in Berlin aufgehalten haben. Am 1. Juni 2016 tauchte er wieder auf, um seine Sozialhilfe in Höhe von fast 390 Euro abzuholen. Einen Tag später wurde er vom SEK festgenommen:
Mahood B. wurde von den deutschen Sicherheitsbehörden als „Syrer“ identifiziert. Erst beim Prozessauftakt stellte sich heraus, dass Mahood B. in Wirklichkeit Jordanier ist. Er wohnte zuletzt in Mülheim-Styrum. Der Anwalt von Mahood B. ist Daniel Sprafke (Karlsruhe). Er bezweifelt u. a. die Angaben von Saleh al-Ghadban über eine angebliche Turboradikalisierung seines Mandanten.
Gegen den Beschuldigten Abd Arahman A. K. wird in einem gesonderten Verfahren prozessiert: Weil Abd Arahman A. K. in Tabka (Syrien). an der Ermordung von 36 Vertretern des Assad-Regimes beteiligt gewesen sein soll, ermittelt das BKA-Referat „Staatsschutz 24“ (ST 24) gegen ihn wegen Begehung eines Kriegsverbrechens. Im Oktober 2014 kam er als Flüchtling nach Deutschland. Für den vermeintlichen Anschlag in Düsseldorf sollte er angeblich zwei Sprengstoffwesten fabrizieren. Im Januar 2016 chattete er mit Saleh al-Ghadban: „Wenn wir kämpfen, müssen wir wissen, ob wir als Märtyrer sterben oder nicht.“ Am 2. Juni 2016 wurde er in einem Flüchtlingslager in Leimen (Sandhäuser Weg) festgenommen.
Am 13.Juli 2017 erklärte Saleh al-Ghadban vor Gericht, dass er in Syrien als eine Art „Doppelagent“ für die Regierung und die Aufständischen gearbeitet habe:
„Für Assads Geheimdienst habe er gearbeitet, um von den Fahndungslisten des Regimes als oppositioneller Kämpfer gestrichen und rehabilitiert zu werden. Ihm sei es aber auch um Geld gegangen. Gleichzeitig habe er für den IS spioniert. Inhaltlich habe er damals nicht mehr hinter der Revolution gegen Assad gestanden. (…)
Mit verbundenen Augen habe er ein Gespräch mit einem syrischen Geheimdienst-Chef in dessen Hauptquartier in Damaskus geführt.
Er habe dem Geheimdienst vorgeschlagen, von der islamistischen Al-Nusra-Front gefangengehaltene syrische Soldaten zu befreien. Der Dienst sei darauf eingegangen. Obwohl er für den IS in dessen Auftrag wichtige Informationen ermittelt habe, hätten ihn die IS-Leute dann aber festnehmen und fesseln wollen. Als er deswegen zu einer Waffe gegriffen habe, hätten ihm die Islamisten von hinten in die Schulter geschossen.
Der Durchschuss sei nur auf einer Seite genäht worden. Dann sei er für 68 Tage in ein IS-Gefängnis geworfen worden. Derart verletzt habe er mit bis zu 38 Gefangenen in einer Zelle auf dem Boden ausharren müssen. Die 53 Gefangenen habe das syrische Militär dann ohne ihn befreit.“ (www.wa.de/nordrhein-westfalen/mutmasslicher-is-terrorist-berichtet-doppelagenten-rolle-8484429.html)
Tatsächlich willl Saleh al-Ghadban im Laufe seiner Terrorkarriere für vier verschiedene Geheimdienste gearbeitet haben - mal für den staatlichen-syrischen, mal für den rebellischen-syrischen, mal für den türkischen und mal für den deutschen BND.
Am 14. Juli 2017 präsentierte Saleh al-Ghadban eine neue Version der vermeintlichen Anschlagsplanung: Zwar hätte es die Anschlagsplanung tatsächlich gegeben, aber seine beiden von ihm zuvor belasteten Mitangeklagten hätten damit nichts zu tun. Die wahren Mittäter würde er bis heute nicht kennen. „Ich habe nicht die Wahrheit gesagt. Sie haben überhaupt nichts damit zu tun,“ bekannte er nun vor Gericht.
Er habe bei seinen Anschuldigungen gegen die beiden absichtlich gelogen, weil die französische Polizei zuvor ihn belogen habe. Diese hätte ihm nämlich versprochen, seine Frau und sein Kind nachzuholen und ihn freizulassen, aber nicht Wort gehalten: „Ich wollte der Lüge der Polizei ein Lüge entgegensetzten. Ich habe Dankbarkeit erwartet, aber dieses Wort gibt es in Europa nicht. Ich habe mein Volk verraten, um die deutsche Bevölkerung zu schützen und zum Dank steckt man mich ins Gefängnis,“ beschwerte sich Saleh al-Ghadban vor Gericht.
Auf diese überraschende Wende im Prozess reagierte die Vorsitzende Richterin vorwurfsvoll: „Sie haben sich schlicht verzockt. Ihr Freund Mahood sitzt seit einem Jahr deswegen im Gefängnis. Haben sie kein schlechtes Gewissen?“ (www.taz.de/!5431092/) Als erste Reaktion wurde der Haftbefehl gegen den Mitangeklagten Mahood B. aufgehoben und der Mann aus am 15. Juli um 0:30 Uhr aus der JVA Düsseldorf entlassen. (https://www.swr.de/blog/terrorismus/2017/07/16/terrorverdaechtiger-wieder-frei-geschichten-aus-1001-nacht/)
Nun willl der Anwalt von Hamza C. beweisen, dass sein Mandant seinen Wehrdienst beim algerischen Militär ableistete, als ihn al-Ghadban angeblich in Syrien getroffen haben will.
Am Ende bleibt von den drei Angeklagten womöglich nur noch der Kronzeuge auf der Anklagebank übrig.
Der hat noch ganz andere Probleme, wie er im Prozess behauptete. Da er sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung stellte, wurde er in der JVA Wuppertal angeblich von Mithäftlingen bedroht: Seine Tochter sei in den Händen des IS und man werde ihr etwas antun, wenn er vor Gericht aussage, habe man ihm angekündigt. Aber vielleicht existiert ja selbst diese Drohung nur in der Phantasie des Kronzeugen. (www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/anschlag-in-duesseldorf-geplant-angeklagter-schildert-seinen-weg-zum-is-aid-1.6930179) Man darf auf den weiteren Prozessverlauf gespannt sein. Womöglich droht das ganze Staatsschutzverfahren zu platzen. Und womöglich war die Anschlagsgefahr in Düsseldorf noch nie so groß, wie heute.