Ukraine-Krieg 2.0 – Update 16 vom 13. März (D+17)
Gerhard Piper
Verhandlungen:
Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj glaubt, einen Wandel in der Haltung der russischen Regierung feststellen zu können. Die Russen würden nicht mehr nur Ultimaten stellen, sondern wären nun zu einer Art „Gespräch“ bereit. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak rechnet „in wenigen Tagen mit konkreten Ergebnissen“ bei den „Friedensgesprächen“ in Belarus.
Auch der russische Außenpolitiker Leonid Sluzki, Mitglied der russischen Delegation bei den „Friedensgesprächen“, versprach am Sonntag im Staatsfernsehen, dass „schon in den nächsten Tagen“ eine Verhandlungslösung möglich sei: „Wenn wir die Positionen der beiden Delegationen heute mit denen zu Beginn vergleichen, werden wir deutliche Fortschritte feststellen.“ (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krieg-im-ticker-kreml-teile-der-stadt-sjewjerodonezk-in-ostukraine-erobert_id_52139887.html)
Gefechte:
Die russischen Truppen haben ihre Angriffe auf mehrere Städte in der Nacht vom 12. auf den 13. März verstärkt. Sie rekurrieren in verstärktem Maße auf SS-Methoden.
- Kiew:
Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak spricht von einem „Belagerungszustand“ der Hauptstadt. Die Stadtverwaltung hat nach eigenen Angaben Lebensmittelvorräte für zwei Wochen als Zivilschutz-Reserve angelegt.
Kiew-Umgebung:
In Ozera und nordwestlich von Kiew haben die Russen ihre Artillerie positioniert. Am Morgen des 13. März gab es heftige Kämpfe in Irpin und Makariw im Gebiet nördlich von Kiew. Am Flughafen Hostomel wurde am 12. März ein Treibstoffdepot in Brand geschossen.
Am Sonntagvormittag wurde an einer Straßensperre der US-Pressefotograf Brent Anthony Renaud aus New York City durch russische Soldaten in seinem Auto erschossen, eine Kugel traf ihn in den Nacken. Der US-Pressefotograf Juan Arredondo und ein ukrainischer Fahrer wurden verwundet. (https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-us-journalist-brent-renaud-stirbt-bei-gefechten-nahe-kiew-a-c18472a7-930f-4241-8b2e-a3cfcf0a805d)
In Butscha (ca. 28.000 Einwohner), 25 km nordwestlich von Kiew, mussten 67 Einwohner in einem Massengrab beigesetzt werden. Die Leichen wurden in Plastiksäcken bestattet, nur ein Teil der Opfer konnte namentlich identifiziert werden.
Osten:
- Popasna:
Separatisten der Miliz der „Volksrepublik Lugansk“ haben die nördlichen Stadtteile besetzt.
- Sjewjerodonezk:
Sjewjerodonezk hat rund 100.000 Einwohner. Am 13. März haben Einheiten der „Volksrepublik Lugansk“ nach russischen Angaben den östlichen und südlichen Teil der Stadt blockiert.
Süden:
- Cherson:
Nach der Besetzung der Stadt Cherson (ca. 290.000 Einwohner) wollen die Experten für subversive Kriegführung der russischen Nachrichtendienste hier nach dem Muster der ost-ukrainischen Pseudo-Republiken die „Volksrepublik Cherson“ ausrufen. Dazu solle – wie 2014 auf der Halbinsel Krim - ein getürktes „Volksreferendum“ durchgeführt werden. Am Nachmittag demonstrierten mehrere tausend Einwohner gegen die Okkupanten.
- Dniprorudje:
Dniprorudje hat fast 20.000 Einwohner. Die Stadt liegt am Kachowkaer Stausee zwischen Saporischschja im Norden und Melitopol im Süden. Der Bürgermeister von Dniprorudje, Jewhenij Matwjejew, wurde von den Russen entführt.
- Mariupol:
Mariupol wurde – nach Angaben des „Spiegel“ – in den letzten 24 Stunden 22-mal bombardiert, dabei wurden mehr als 100 Bomben abgeworfen. Seit Kriegsbeginn starben in der Stadt 2.187 Menschen. (https://www.spiegel.de/ausland/russland-ukraine-news-am-sonntag-russische-ingenieure-inspizieren-beschossenes-kernkraftwerk-saporischschja-a-cfc0e7da-82f2-4dd5-8261-41dd9de3511e)
- Melitopol:
Nach der Entführung des lokalen Bürgermeisters Iwan Fedorow am 11. März durch die russische Soldateska haben die Besatzungstruppen mit Halyna Daniltschenko eine pro-russische Stadthalterin eingesetzt. Sie bezeichnete die ukrainischen Einwohner als „Extremisten“ und forderte sie auf, sich „an die neue Realität“ anzupassen und ihre Protestdemonstrationen gegen die Besatzungstruppen einzustellen: „Trotz unserer Anstrengungen, gibt es noch immer Leute in der Stadt, die versuchen, die Situation zu destabilisieren und Euch zu extremistischen Handlungen auffordern.“ Sie wolle ein „Komitee der Volksdeputierten“ schaffen, mit dem die Stadt (fast 150.000 Einwohner) zukünftig regiert werden solle. Lokale Medien bezeichneten die Stellvertreterin in Anspielung auf die SS-Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg als „Gauleiterin im Rock“. Halyna Daniltschenko droht wegen Hochverrat im Kriegsfall standrechtliche Erschießung (https://www.theaktuellenews.com/nachrichten/komitee-der-volksdeputierten-russland-ernennt-gouverneur-in-melitopol/)
- Mykolajiw:
Die Russen setzten ihren Beschuss der Stadt fort, um nach einer Einnahme anschließend auf Odessa vorstoßen zu können. Dazu erklärte der regionale Gouverneur Witalij Kim: „Neun Menschen starben infolge der Bombardierung durch die Arschlöcher.“ (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krieg-im-ticker-kreml-teile-der-stadt-sjewjerodonezk-in-ostukraine-erobert_id_52139887.html)
- Odessa.
In Odessa harren die Einwohner aus und warten weiterhin auf den Beginn des russischen Angriffs.
Westen:
- Iwano-Frankiwsk:
Iwano-Frankiwsk liegt hundert Kilometer südlich von Lwiw. Am Morgen des 13. März gab einen erneuten Raketenangriff mit vermutlich acht Flugkörpern auf diesen Fliegerhorst. Hier befindet sich eine Staffel mit MiG-29 (NATO-Code: FULCRUM).
- Jaworiw:
Jaworiw hat ca. 15.000 Einwohner und liegt nur 15 bis 20 km von der polnischen NATO-Außengrenze entfernt. Hier befindet sich das „Internationalen Zentrum für Friedenssicherung und Sicherheit“, ein Militärausbildungszentrum, in dem (früher) auch ausländische Ausbilder gearbeitet haben. Am Morgen des 13. März kam es zu einem Angriff durch mehrere Flugzeuge, die über dem Schwarzen Meer kreisten. Angeblich wurden 30 Raketen abgefeuert von denen die ukrainische Luftabwehr angeblich die meisten abschießen konnte. Dennoch forderte der Luftangriff mindestens 35 Tote und 134 Verletzte. (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krieg-im-ticker-kreml-teile-der-stadt-sjewjerodonezk-in-ostukraine-erobert_id_52139887.html
Demgegenüber berichtete die russische Seite, man habe „bis zu 180 ausländische Söldner“ sowie eine große Menge aus dem Ausland gelieferter Waffen „zerstört“. „Die Vernichtung der auf das Territorium der Ukraine eingereisten ausländischen Söldner wird fortgesetzt“, tönte der Schreibtischgeneral Igor Konaschenkow in Moskau. (https://www.tagesspiegel.de/politik/angriff-auf-militaerbasis-bei-lwiw-russland-meldet-tod-auslaendischer-soeldner-und-zerstoerung-von-waffen/28158574.html)
- Lutsk:
Der Fliegerhorst Lutsk liegt rund 40 km nordwestlich von Lwiw. Hier sind Mig-29 disloziert. Er wurde am Morgen des 13. März erneut angegriffen.
- Lwiw:
Die Stadt Lwiw (dt. Lemberg) beherbergte im Kalten Krieg das vorgeschobene Hauptquartier des Oberkommandos des Warschauer Paktes. Bisher war die Stadt von den russischen Luftangriffen verschont geblieben und diente als Sammelpunkt der Flüchtlingsströme; aber die Einschläge kommen näher.
Verluste:
Unter Berufung auf den ukrainischen Generalstab berichtete das „Institute For The Study Of War“ (ISW) in Washington (USA), dass die ukrainischen Streitkräfte seit Kriegsbeginn mehrere Bataillone aufreiben konnten:
„The Ukrainian military claimed to have damaged or destroyed 31 Russian BTGs as of March 11, its first numbered claim of damage to Russian forces of the war. Ukrainian military intelligence reported at 6:00 am local time on March 12 that Ukrainian forces have destroyed 13 Russian BTGs and rendered 18 BTGs combat ineffective as of March 11.[1] US intelligence estimated Russia deployed approximately 120 BTGs to Ukraine’s borders prior to February 24.[2] The Ukrainian military has not previously made any official statements on numbers of destroyed Russian BTGs. The Ukrainian General Staff continues to report widespread Russian logistics and morale issues, stating on March 12 that Russia “was forced to change tactics” due to unsuccessful attempts to conduct an offensive, that Russian units continue to abandon equipment, and that the rate of Russian desertions and surrenders to Ukrainian forces is increasing.“ (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-march-12)
Um ihre Personalverluste auszugleichen müssen die Russen nicht nur auf Söldner der „Gruppa Wagnera“, sondern auch auf „Freiwillige“ aus Abchasien und Südossetien zurückgreifen. Außerdem werde Kriminelle aus russischen Gefängnissen entlassen, wenn sie sich für den Kriegseinsatz melden. Nach ukrainischen Angaben haben die Russen ihren Soldaten die Plünderung von Geschäften und Privathaushalten freigegeben, um die Versorgungsprobleme der Einheiten zu beheben. (https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-march-12) Ein Teil der Versorgungsprobleme der Truppe ist darauf zurückzuführen, dass mehrere Nachschubsoldaten die militärischen Lebensmittelreserven auf dem Schwarzmarkt verscherbelt haben, um Kasse zu machen. Das kommt bei den korrupten Russen öfters vor.
ABC-Waffen:
- Atomare Waffen:
Eine Delegation der russischen Atomaufsichtsbehörde ROSATOM inspiziert seit dem 12. März den Atomkomplex Saporischschja. Einer der Russen, gab sich laut „Energoatom“ als neuer Vertreter der örtlichen militärisch-zivilen Verwaltung aus. Demnach sagte er den Kraftwerksmitarbeitern, dass das Atomkraftwerk nun als russisches Territorium betrachtet werde und zur russischen Atombehörde Rosatom gehöre. (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krieg-im-ticker-kreml-teile-der-stadt-sjewjerodonezk-in-ostukraine-erobert_id_52139887.html) Anscheinend haben manche, durch jahrzehntelange Propaganda verdoofte Russen noch immer nicht ihren Glauben aufgegeben, sie könnten die Ukraine einfach annektieren.
Innerhalb der NATO fürchtet man sich davor, dass die russischen Atomstreitkräfte mittelfristig ihre vorbereiteten Angriffspläne für Atomschläge auf Warschau oder Berlin etc. aus den „Schubladen“ holen und exekutieren könnten. Als atomare Trägersysteme stehen u. a. Raketen vom Typ ISKANDER und Mittelstreckenbomber Tu-22M3 (NATO-Code: BACKFIRE) zur Verfügung, die mit weitreichenden Luft-Boden-Flugkörper ausgestattet sind.
- Biologische Waffen:
Bei der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates am 11. März griff der albanische Botschafter Ferit Hoxha seinen russischen Kollegen Wassili Nebensja scharf an:
„Russlands Vorwürfe sind unserer Meinung nach Teil des Informations-Krieges, falsch, nicht fundiert, Teil der üblichen Propaganda und der Desinformation, die von Russland kommt. (…) In jeder anderen Situation hätte jeder geglaubt, dass das ein Witz sei. Nur, dass dieser „Witz“ ein Land zerstört, Zivilisten tötet und verantwortlich dafür ist, dass mehr als 2,5 Millionen Mensch auf der Flucht sind. Das sind 7000 Menschen pro Stunde." (https://www.focus.de/politik/ausland/bei-un-sicherheitsratsitzung-albaniens-botschafter-watscht-russischen-botschafter-wegen-labor-behauptungen-ab_id_66833053.html)
- Chemische Waffen:
Der NATO-Generalsekretär warne aufgrund der ihm vorliegenden Geheimdienstmeldungen vor einem möglichen Chemiewaffeneinsatz der Russen:
„Nachdem diese falschen Behauptungen (über ein angebliches amerikanisch-ukrainisches Bio-Waffenprogramm, G. P.) nun aufgestellt wurden, müssen wir wachsam bleiben, weil es möglich ist, dass Russland selbst Einsätze mit chemischen Waffen unter diesem Lügengebilde planen könnte. (…) Das wäre ein Kriegsverbrechen.“ (https://www.welt.de/politik/ausland/article237500349/Jens-Stoltenberg-Nato-Chef-rechnet-mit-noch-groesserer-Not-in-der-Ukraine.html)
Möglicherweise wollen die Russen durch Gasangriffe einen für sie verlustreichen „Häuserkampf“ vermeiden. Bei einem „normalen“ Angriff muss der Aggressor über die doppelte Stärke wie der Verteidiger verfügen, weil die Gegenseite aus vorbereiteten Stellungen heraus operieren kann. Es heißt, bei einem Angriff auf eine vorbereitete Stadt muss man dem Verteidiger sogar fünfmal überlegen sein, um einen „Sieg“ davon tragen zu können. Dieses Personalpotential dürften die Russen kaum noch mobilisieren können.
Der polnische Präsident Andrzej Duda warnte am Sonntag davor, dass die Nutzung chemischer Waffen ein „Gamechanger“ sein könnte. Die Nato-Staaten müssten sich in diesem Fall genau überlegen, wie ihre Reaktion ausfallen soll.
USA:
Nachdem Präsident Joe Biden bereits am 26. Februar 350 Millionen Dollar für die Militärhilfe an die Ukraine genehmigt hatte, gab er am 12. März weitere 200 Millionen Dollar Militärhilfe „für Verteidigungsmaterial und -dienstleistungen des Verteidigungsministeriums“ sowie für „militärisches Training“ frei, um „der Ukraine Hilfe zu leisten“. (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krieg-im-ticker-kreml-teile-der-stadt-sjewjerodonezk-in-ostukraine-erobert_id_52139887.html) Anscheinend befinden sich also noch immer US-Spezialeinheiten auf ukrainischem Territorium, um „Ausbildungshilfe zu leisten“. Geliefert sollen vor allem Flugabwehrraketen.
BRD:
In der BRD registrierte das Bundeskriminalamt (BKA) bisher insgesamt 318 „strafrechtlich relevante Ereignisse“ im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Schwerpunkt der Aktionen scheint Berlin zu sein, hier wurden insgesamt 86 Sachverhalte polizeibekannt.
Russland:
Der russische Nachrichtendienst FSB soll gegen mehr als zwanzig Personen wegen des Verdachts der Weitergabe von sensitiven Informationen an Journalisten ermitteln, berichtete Wladimir Ossetschkin, der Gründer des Rechtsschutzportals „Gulagu.net“. (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krieg-in-der-ukraine-putins-jagd-auf-verraeter-17874155.html)
Russland verfügt z. Zt. – nach Angaben von Finanzminister Anton Siluanow – über Finanzreserven in Höhe von 640 Milliarden Dollar, es kann aber nur über rund 340 Milliarden Dollar verfügen, das sind 2.360 Dollar pro Staatsbürger, der Rest ist durch die Sanktionen gesperrt. Siluanow kündigte an, der Staat werde vom Westen sanktionierte Banken unterstützen. Zudem sei genug Geld vorhanden, um die Produktion lebensnotwendiger Güter sicherzustellen. Ein besonderes Augenmerk gelte der Entwicklung der Lebensmittelpreise. (https://www.spiegel.de/ausland/russland-ukraine-news-am-sonntag-russische-ingenieure-inspizieren-beschossenes-kernkraftwerk-saporischschja-a-cfc0e7da-82f2-4dd5-8261-41dd9de3511e) Die Versorgungslage von Teilen der der Bevölkerung, insbesondere der verarmten Rentner und der Dorfbewohner, ist ohnehin „bescheiden“.
Bei Friedensdemonstrationen in 21 Städten (Moskau, Tomsk, Wladiwostok, etc.) wurden am Sonntag mehr als 130 Kriegsgegner festgenommen.