Militärforschung
  Prozessbeginn gegen "Abu Walaa"
 

Prozessbeginn gegen den „Emir“ des „Islamischen Staates“ in Deutschland

 

Gerhard Piper

 

22. September 2017

 

Am 26. September 2017 beginnt vor dem Oberlandesgericht Celle (Niedersachsen) der Prozess gegen eine fünfköpfige Zelle des „Islamischen Staates“ in Deutschland. Hauptangeklagter ist kein geringerer als der „Emir“ des Islamischen Staates (IS) in Deutschland: „Abu Walaa“ alias Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah. Die Gerichtsakten umfassen mehrere zehntausend Seiten. Im Verfahren sollten über 70 Zeugen und Sachverständige gehört werden. Die Bundesanwaltschaft wirft seinem Netzwerk u. a. vor, mindestens 24 Rekruten angeworben und nach Syrien/Irak geschleust zu haben, um sich am Dschihad zu beteiligen, davon sind mindestens sechs Personen mittlerweile verstorben.

 

Hildesheim

 

Hildesheim liegt rund 30 km südlich von Hannover in Niedersachsen. Mit etwas über 100.000 Einwohnern ist Hildesheim gerademal „mittelgroß“. In der Nähe vom Markplatz befindet sich das Verlagsgebäude der „Hildesheimer Allgemeinen Zeitung“ (HAZ), der ältesten Tageszeitung Deutschlands. (www.hildesheimer-allgemeine.de/)

 

Ein Problem ist, dass die HAZ in ihrer Berichterstattung über die lokale Salafistenszene keine Namen nennt, noch nicht einmal in der abgekürzten Form mit dem Vornamen und dem Initial des Familiennamens. Ihre Artikel über irgendwelche namenlosen Dschihadisten genügten den Bedürfnissen der Leserschaft, waren aber für die wissenschaftliche Arbeit nicht zuordbar und landeten somit als „Informationsmüll“ in der Ablage. Dennoch sprach sich unter den so genannten „Terrorismusexperten“ im Laufe der Zeit herum, dass sich das kleine, abgelegene Städtchen - wie vorher Solingen oder Dinslaken - zu einem Zentrum des Salafismus in Deutschland gemausert hatte. Die lokale Szene konnte man - grob geschätzt - auf zwei Dutzend Salafisten/Dschihadisten taxieren.

 

Dennoch blieb Hildesheim ein Terror-Terra incognita. Es war klar, früher oder später musste es zu einer Art Knall kommen. Am 10. August 2016 war es soweit: Die Polizei nahm den Prediger der Masjid-Moschee in Hildesheim-Nordstadt vorübergehend fest. Bald danach wurde bekannt, dass es sich bei dem Terrorverdächtigen Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah um keinen geringeren handelte, als den Statthalter des „Islamischen Staats“ in Deutschland.

 

Mittlerweile konnte man durch die bundesweite Berichterstattung ein genaueres Bild der hildesheimer Szene gewinnen. Zu ihren Mitgliedern zählen u. a.: Kaoukab A., Lirim B., Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah, Anis Ben Othman Amri, Emre A., Ahmed F. Y., Abdullah M., Zouher M., Mahmoud O., Ahmad S., Christoph S., Yasemin T. und ein gewisser „Kamal“.

 

Abu Walaa – Herkunft und Familienstand

 

„Abu Walaa“ alias ist gebürtiger Iraker aus al-Tamim oder Kirkuk. Er wurde am 5 Februar 1984 geboren. Er kam als Minderjähriger nach Deutschland. Er wohnt mit seiner „Erstfrau“ Sadika A. und drei bis vier Kindern in Tönisvorst, Ortsteil St. Tönis, mit einer „Zweitfrau“ und drei Kindern wohnt er in Bad Salzdetfurth bei Hildesheim. Insgesamt hat er sechs oder sieben Kinder. Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah gründete vor Jahren drei Textil- und Schmuckläden „Dejavu Jeans“ in Braunschweig, Salzgitter-Lebenstedt und Wolfsburg. Ob und wenn ja in welchem Umfang er heute noch an den Geschäften beteiligt ist, soweit diese noch existieren, ist hier nicht bekannt. Außerdem verkaufte er „Sultan-Cola“ in den Nordirak. Im Herbst 2013 wurde er wegen Betrugs zu einer Geldstrafe (80 Tagessätze zu 30 Euro) verurteilt. Er gilt als der „Emir“ des Islamischen Staates in Deutschland; folgerichtig bezeichnete ihn der „Spiegel“ am 16. September 2017 als „Deutschland-Repräsentanten“ des „Islamischen Staates“ (Seite 58). Dazu führte der „Focus“ am 23. Dezember 2016 (Seite 37) aus:

 

„Laut Ermittlungsakten reichten seine Kontakte bis in die oberste Führungsspitzeder Kalifatskrieger. Demnach gäbe es keine Handlung des IS in Deutschland, von der der Iraker nichts wisse und der er nicht seine Zustimmung gegeben habe. Als Einziger dürfe er im Namen des IS neue Kämpfer rekrutieren oder als Gelehrter auftreten und Rechtsgutachten fertigen. „Wer anders als ich soll das denn tun?“, behauptete er selbst über sich.“

 

Islamistische Agitation und Propaganda

 

„Abu Walaa“ betätigte sich als (Hass-)Prediger. Er predigte in der Masjid-Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises e. V. (DIK) in Hildesheim-Nordstadt (Martin-Luther-Str. 41a), einem früheren „Schlecker“-Markt. Seine Zuhörergemeinde kam u. a. aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Bulgarien. Auch in anderen Moscheen trat er als Agitator auf, so in der Al-Madina-Moschee in Kassel (Schäfergasse 2) und in der Ehlu-Sunnah-Moschee in Bocholt (Moselstraße 29). Außerdem verbreitete er seine Predigten über „Facebook“, „Youtube“ und zehn verschiedenen „Telegram“-Kanälen, wie z. B. „Meine Rache“. Allein auf „Facebook“ hatte er rund 25.000 Fans. (https://de.wikipedia.org/wiki/Abu_Walaa)

 

Eine seiner Botschaften lautete: „Mein Bruder, nimm einfach ein Messer und töte einfach die Kuffar die du begegnest oder locke sie in den Hinterhalt, ganz gleich wer diese Kuffar sind. Räche deine Geschwister,“ berichtete der „Stern“ am 29. Dezember 2016 (Seite 36). Er leitete eine Gruppierung, die sich „Abu Al-Walaa Battalion“ nannte. Seine Anhängerschaft verteilt sich vor allem auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Berlin und Bayern. So stand er – laut staatlichem Personagramm – mit 23 Personen in Kontakt.

 

Mindestens 24 Personen aus seinem Umfeld gingen nach Syrien/Irak, um sich am Dschihad zu beteiligen, davon sind mindestens sechs Personen mittlerweile verstorben. Zu den „Märtyrern“ gehörten die Brüder Kevin Knoop und Mark Knoop aus Castrop-Rauxel. Die beiden Polizistensöhne kamen circa 2015 bei zwei Selbstmordanschlägen ums Leben. Außerdem bürgte er für alle Dschihadreisenden und organisierte falsche Pässe und Flugtickets. Um die Dschihad-Aspiranten auf ihren Einsatz vorzubereiten, gab es einen „Vorbereitungsplan“: „Fit halten, Schlafrhythmus aufbauen, letzten Monat mit der Familie verbringen, Abschiedsbilder machen, PC löschen, Schulden abbezahlen, neues Handy besorgen.“ (www.neuepresse.de/Nachrichten/Niedersachsen/Uebersicht/Der-Scheich-von-Hildesheim-wollte-den-grossen-Bums)

 

Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft soll seine Anhängerschaft mehr als zwei Millionen Euro an die IS-Kämpfer transferiert haben. Das Geld stammte den Ermittlungen zufolge aus Spenden, Einbrüchen und Betrügereien mit Handyverträgen.

 

Vom 4. August bis zum 25. September 2015 weilte Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah selbst mit einer Ehefrau und Kind im Irak.

 

Am 10. August 2016 führte die Polizei bei Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah eine Hausdurchsuchung durch, Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah wurde am selben Tag in Braunschweig vorübergehend festgenommen. Ende August 2016 zog Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah aus Hildesheim fort und kündigte an, in der Masjid-Moschee nicht mehr predigen zu wollen.

 

Allerdings war Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah seit Ende 2014 auch einer der Protagonisten der Spaltung der militanten Dschihadistenszene in Deutschland. Seinen islamistischen Werdegang und seine zunehmenden Konflikte mit anderen Salafisten skizzierte der Internetblog „Erasmus Monitor“ im November 2016:

 

„Ab etwa 2008/2009 zog Abdullah durch seine Koran-Rezitationen und vorgetragenen Anashids (islamische Lieder) zunehmend Interessierte an. Vor allem die Frankfurter Szene-Größen wurden auf ihn aufmerksam und warben bei dem Iraker darum, sich stärker bei ihnen zu engagieren. Und das tat er auch.

 

"DawaFFM, die Brüder aus Frankfurt, Walahi, müssen wir Brüder unterstützen!", warb der Prediger bei seinen Jüngern und forderte sie zu Spenden auf. (...)

 

Im Rahmen von "Benefiz-" und Spendengalas für salafistische Hilfsorganisationen wie "Helfen in Not" zwischen 2012 und 2013 tauchte sein Name häufiger auf Flyern auf. Ob in Hamburg, Dortmund oder Duisburg: Abdullah trat neben den bekanntesten Predigern wie Pierre Vogel, Said el-Emrani, Brahim Belkaid, Ahmad Armih und Sven Lau vor einem größeren Publikum auf. (...)

 

Mit dem Verbot von "DawaFFM" 2013 durch den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte die Zusammenarbeit zwischen Abdullah und den Predigern nur formal ein Ende. Im Rahmen des damaligen Verbots- und Durchsuchungsverfahren wurde auch er in seinem Braunschweiger Textilladen von der Polizei besucht. Doch auch danach trat Ahmad Abdullah gemeinsam mit anderen Predigern auf, verkehrte besonders häufig in der marrokkanischen Bilal-Moschee in Frankfurt und in der ar-Rahman-Moschee in Kassel. (…)

 

Seine Stamm-Moschee befand sich in der Kleinstadt Hildesheim in Niedersachsen. Seit 2012 hatte sich hier ein "Deutschsprachiger Islamkreis" (DIK) gegründet und in der Nähe eines großen Friedhofs ein Haus bezogen. Zahlreiche meist junge Männer aus Hildesheim und den benachbarten Städten pilgerten zu den Freitagspredigten und Seminaren von Abdullah. Es waren vor allem unerfahrene Leute mit geringem religiösem Hintergrundwissen, die sich von dem geheimnisvollen, fast schon prophetischen Gehabe des Predigers angezogen fühlten. (...)

 

Mit dem Aufstieg des IS Mitte 2014 zur Regionalmacht in Syrien und Irak, kam es allmählich in der deutschen Prediger-Zunft zu Unstimmigkeiten. Denn der IS hatte sich als vormals wichtiger Verbündeter der syrischen Rebellen gegen genau diese gewandt. Alle Gruppen, die nicht den Treueschwur auf den selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi geleistet hatten, wurden zu Abtrünnigen erklärt und rücksichtslos massakriert. Zu den "Feinden Allahs" gehörten auch diejenigen, die in den Ländern der "Kuffar" lebten und nicht die Hijra in den IS vollziehen wollten. Dazu zählte also auch die versammelte salafistische Prediger-Gemeinde in Deutschland. Umso schneller distanzierte sich ein Prediger nach dem anderen von der irakischen Terrororganisation. Aber nicht Ahmad Abdullah. (...)

 

Abu Walaa ging seinen eigenen Weg. 2015 startete er ein Online-Portal namens "Al-Manhaj", auf dem die "lieben Geschwister" kostenlos per Livestream seinen Lehren folgen konnten. Von Montag bis Sonntag boten er und seine Helfer abends Kurse dort an. Nicht nur dadurch stieg der Bekanntheitsgrad von Abdullah, sondern auch mit seinen Videos auf Plattformen wie Youtube und Facebook verschaffte er sich Gehör. (...)

 

Dann kam der Jahreswechsel und Abdullah beging einen wohl folgenschweren Fehler. Er holte einen bekannten Medienprofi ins Boot, den Kölner Sabri Ben Abda. Der hatte sich mit seinem äußerst rüpelhaften Verhalten gegenüber Journalisten Anfang der 2010er Jahre einen Namen in der Salafisten-Szene gemacht. (...)

 

Abdullah und Ben Abda betitelten Vogel (gemeint ist Pierre Vogel, G. P.) im IS-Jargon als "Kreuzritter", "Verräter" und "Murtad" (Abtrünniger). Den einst "geliebten Bruder" Bilal Gümüs bezeichnete Ben Abda als "Fitna-Panzer". („Fitna“ sind schwere Zeiten, in denen verstärkt mit Glaubensspaltungen zu rechnen ist, G. P.) (…)

 

Die Vogel-Fraktion schlug hart zurück. Auf Facebook warnte der Frankfurter Prediger in aller Deutlichkeit vor dem "al-Baghdadi-Fanclub" und den "Hunden der Hölle" aus Hildesheim. Anfang September organisierte er sogar eine "Anti-IS- Demo" in Bremen. (…)

 

Nachdem Spezialkommandos der Polizei im Juli dieses Jahres das DIK Hildesheim gestürmt hatten, suchte Ahmad Abdullah die Schuld vor allem bei Pierre Vogel. Er sei ein Spion und habe mit den Behörden kooperiert.“ (http://erasmus-monitor.blogspot.de/2016/11/abu-walaa-der-al-baghdadi-fanclub.html#more)

 

Gerüchte über Anschlagspläne und Anschläge

 

Über die Anschlagspläne seiner Truppe aus dem Jahr 2015 berichtete der „Focus“ am 23. Dezember 2016 (Seite 37):

 

„Im November vergangenen Jahres plauderte ein enger Vertrauter über mögliche Anschlagspläne in Deutschland, die der „Emir“ (gemeint ist Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah, G. P.) schon abgesegnet haben soll. Angeblich verfügte die Truppe bereits über Handgranaten und Pistolen mit Schalldämpfer.

 

Es gebe Pläne, so der Eiferer, Polizeistationen anzugreifen oder über gefälschte Notrufe Streifenbeamte in einen tödlichen Hinterhalt zu locken. Dabei gestikulierte der Gehilfe des „Emirs“, als würde er den Abzug einer Pistole durchdrücken. Im Gespräch sei außerdem gewesen, 15 Sturmgewehre vom Typ AK-47 für 15.000 Euro anzukaufen. Noch ist unklar, ob die Waffen beschafft wurden. Und wer keine Waffe besitze, könne „auch mit einem Lkw voller Benzin und mit einer Bombe ausgestattet in eine Menschenmenge fahren“.

 

Gezielt radikalisierte die Clique um Abu Walaa junge Männer. Dazu hatte der „Emir“ ein Netz so genannter Zulieferer in Niedersachsen und im Ruhrgebiet aufgebaut. In eigens angemieteten Wohnungen, richteten diese geheime Koranschulen ein, in der Schüler die militante Ideologie der IS-Terror-Garden paukten. Alles nach dem Lehrplan Abu Walaas, der in seinen Seminaren dem IS und „unserem Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi huldigte. (…)

 

Wer am Unterricht teilnehmen wollte, brauchte zwei Bürgen.“

 

Außerdem stand „Abu Walaa“ zumindest flüchtig in Kontakt zu Yusuf T., der am 16. April 2016 einen Sprengstoffanschlag auf eine Hochzeitsgesellschaft mit 200 Gästen, die im Gemeindezentrum „Gurdwara Nanaksar (Satsang Darbar)“ der Sikhs in Essen-Nordviertel (Bersonstr. 7) stattfand, ausführte. Außerdem besuchte Anis Ben Othmane Amri, der am 19. Dezember 2016 den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt verübte, die DIK-Moschee in Hildesheim.

 

Die (berechtige) Angst vor Spitzeln

 

Zu Weihnachten 2015 führte er in der Al-Madina-Moschee in Kassel (Schäfergasse 2) ein Islamseminar mit ca. 200 Zuhörern durch. Aus Gründen des Geheimschutzes wurden alle Fenster geschlossen, Foto und Tonbandaufnahmen waren verboten. Jedem, der dagegen verstoßen würde, drohte er damit, ihm seine Knochen zu brechen. Außerdem forderte „Abu Walaa“ seine Zuhörer auf, mögliche Verräter zu lynchen. Wer mit der Polizei oder dem Verfassungsschutz zusammenarbeite, dürfe die Moschee nicht lebend verlassen.

 

Bei einem weiteren Islam-Seminar am 6. Mai 2016 drohte er erneut allen Spitzeln und forderte seine Anhänger auf: „Schnappt ihn euch und tötet ihn, auch wenn ihr dann ins Gefängnis gehen müsst. Das ist unsere Pflicht. (…) Schlachtet seinen Kopf, damit die anderen es sehen und das nicht nachmachen. (…) Danach kämpfen wir gegen die Polizei und die Kuffar in Deutschland, die unsere Brüder und Schwestern töten.“ (www.neuepresse.de/Nachrichten/Niedersachsen/Uebersicht/Der-Scheich-von-Hildesheim-wollte-den-grossen-Bums) Außerdem rechtfertigte er Verbrechen, da man sich mit Deutschland im Kriegszustand befände. Es handele sich lediglich um „Ghanima“ (= Kriegsbeute).

 

Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah wurde vom Landeskriminalamt Düsseldorf seit November 2015 als „Gefährder“ eingestuft. Die Sicherheitsbehörden leiteten gegen Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah umfangreiche Ermittlungen ein. Ein GPS-Ortungsgerät, das die Sicherheitsbehörden unter seinen Opel klebten, wurde 2016 von irgendjemandem entdeckt und entfernt, ohne dass die Beamten dies sogleich bemerkten. Das LKA in Düsseldorf setzte seit 2015 auf ihn seine Vertrauensperson VP-01 (Codename: MURAD oder MURAT) an, Sein Behörden-Personagramm umfasste 13 Seiten (Stand: 2016). Zuständig war die BKA-Dienststelle „8b“. Von der Ermittlungskommission Ventum („EK Ventum“) wurden seit Dezember 2015 rund 15.000 Seiten Ermittlungsakten angelegt.

 

Über die Tätigkeit des V-Manns berichtete der „Spiegel“ am 16. September 2017 (Seite 59ff):

 

„Wie gefährlich Abu Walaa und sein Netzwerk sind, erkannten die Sicherheitsbehörden 2015. Das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt hatte einen V-Mann in der Islamistenszene plaziert, Tarnname „Murat“, ein leicht untersetzter Mann, der Türkisch und ein bisschen Arabisch spricht und im Toyota durch das Ruhrgebiet brauste.

 

Ihm gelang es, sich in den geheimen Unterricht zweier Prediger aus Abu Walaas Netzwerk einzuschleichen, Boban S. und Hasan C.. (…)

 

Eine Chatgruppe, in die der V-Mann sich einklinkte, hatte den Namen „Projekt J“ – Projekt Jihad. Konspirative Gespräche führten die Islamisten beim Dampfbaden im Hamam Sahara. (…)

 

Im Sommer 2015 fuhr V-Mann „Murat“ zum ersten Mal mit seinem Toyota nach Hildesheim zur Moschee in der Martin-Luther-Straße. (…) Die Seminare in der Moschee dauerten bis zu zehn Tage. Die Fenster sollten dabei streng geschlossen bleiben, zur Abschottung von der Außenwelt. (…)

 

In der Moscheegemeinde herrschte Paranoia, überall witterten sie Spitzel und Verräter. Klartext geredet wurde oft nur im Keller. Die Handys blieben oben.  (…)

 

Die Ermittlungsbehörden waren elektrisiert, doch V-Mann „Murat“ fand keine Belege, dass jemand den Männern tatsächlich Waffen liefert. Dafür entdeckte er, dass die Moschee Gläubigen offenbar direkte Wege in den Krieg eröffnete. (…)

 

Mindestens 15 Männer aus Niedersachsen und 9 weitere aus Nordrhein-Westfalen durchliefen nach ihren Erkenntnissen Abu Walaas Netzwerk und fuhren ins Kriegsgebiet. (…)

 

Im Sommer 2016 entschieden sich die Ermittler zu einem riskanten Schritt. Sie ließen Abu Walaas Wohnungen durchsuchen, auch die Moscheee in Hildesheim wurde auf den Kopf gestellt. Im Durchsuchungsbeschluss war als wichtigster Zeuge ein namenloser V-Mann aufgeführt. Im Netzwerk der Islamisten herrschte schon seit Monaten Panik vor Spitzeln, mehrmals geriet „Murat“ in Verdacht.

 

Per Chat verbreitete Abu Walaa nun eine Botschaft gegen den „abtrünnigen Spion“. Er beschrieb detailliert, wie „Murat“ aussieht („ein bißchen dick“), nannte Größe, Haarfarbe, geschätztes Alter und fügte hinzu: Allah möge diesen Abtrünnigen „vernichten“. Im Internet bot ein Islamist „für jeden Stich 200 Euro.““

 

Außerdem war auf Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah die Vertrauensperson VP-02 des LKA Hessen angesetzt, über die in der Öffentlichkeit keine weiteren Informationen bekannt wurden.

 

In einer Erklärung des Generalbundesanwalts zu den Ermittlungserkenntnissen hieß es:

 

„Die fünf Beschuldigten bildeten ein überregionales salafistisch-jihadistisches Netzwerk, innerhalb dessen der Beschuldigte Ahmad Abdulaziz Abdullah A. die zentrale Führungsposition übernommen hatte. (…) Ziel des von ihm angeführten Netzwerks war es, Personen an den „IS“ nach Syrien zu vermitteln. Dabei kam den Beschuldigten Hasan C. und Boban S. die Aufgabe zu, Gleichgesinnten und Ausreisewilligen neben der arabischen Sprache auch radikal-islamische Inhalte zu lehren. Der Unterricht diente dazu, die ideologischen und sprachlichen Grundlagen für eine zukünftige Tätigkeit beim „IS“, insbesondere für die Teilnahme an Kampfhandlungen, zu schaffen. Dem Beschuldigten Ahmad Abdulaziz Abdullah A. war es vorbehalten, Ausreisen zu billigen und zu organisieren, wobei er mit der konkreten Umsetzung die Beschuldigten Mahmoud O. und Ahmed F. Y. beauftragte.“ (www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?newsid=638)

 

Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah selbst rief zur Fahndung und Ausschaltung des (vermeintlichen) V-Mannes „Murad“ auf. Für jeden Messerstich sollte es 200 Euro geben. Dazu berichtete „Erasmus Monitor“:

 

„Dass die Geheimdienste ihn schon lange im Fokus und in seinem Umfeld auch V-Leute eingesetzt hatten, das erkannte er offenbar erst, als es schon zu spät war. Im September schrieb Abu Walaa bei seinen Anhängern einen Mann zur Fahndung aus. Ein "buckliger" Mann namens Murad, etwa 35 Jahre alt, Türke "mit großen Augen", "oft am Lügen" und in Seminaren und bei Vorträgen häufig anwesend, sei wohl ein "Spion" gewesen, schrieb er auf Facebook. An anderer Stelle wurde sogar zum Mord an dem Mann aufgerufen. "Wer diesen Murtadd kennt, soll ihn zuerst zur Taubah (Reue) aufrufen. Wenn er verweigert oder den Aufruf ignoriert, dann gibt es für ihn keine andere Wahl mehr, außer die Reaktion eines Löwen zu spüren!" Für jeden "Stich" bot man 200 Euro.“ (http://erasmus-monitor.blogspot.de/2016/11/abu-walaa-der-al-baghdadi-fanclub.html#more)

 

Erneute Festnahme und Inhaftierung

 

Am 26. Oktober 2016 wurde Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah wegen des dringenden Verdachts der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) festgenommen. Er verbrachte seine U-Haft in einer Einzelzelle im Sicherheitstrakt der JVA Sehnde (Niedersachsen). Da er die Gefängniskost als „halal“ ablehnte, ernährte er sich u. a. mit Thunfisch aus Dosen. Das Ermittlungsverfahren trägt das Aktenzeichen 2 BJs 116/15-3.

 

Zeitgleich mit „Abu Walaa“ wurden weitere Terrorverdächtige aus seinem Umfeld festgenommen:

 

- „Abu Yaha al-Turki“ alias „Hodscha“ alias Hasan Ç. ist ein türkischer Reisebürounternehmer aus Duisburg-Rheinhausen (Atroper Str. 42). Er betätigte sich darüber hinaus als Koran- und Arabischlehrer bzw. (Hass-)Prediger in Duisburg. Dazu trug er stets aus dem Buch „Fiqh al Jihad“ vor. Er agierte als erster Ansprechpartner für potentielle Rekruten, bevor diese dann „Abu Walaa“ zugeführt wurden. Außerdem diente sei Reisebüro als Kontaktaddresse für die Syrien-Reisenden.

 

- „Abu Faruq“ alias Ahmed F. Y. ist kamerunischer Staatsbürger wohnte in Dortmund und Hildesheim.

 

- „AbuSamir“ alias Mahmoud O. ist deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung. Er plante Gewehrattentate gegen Polizeibeamte, den „kleinen Bums“ wie er sagte, und Angriffe mit Maschinenpistolen und Sprengstoffgürteln gegen Menschenmassen, den so genannten „großen Bums“.

 

- „(Abu) Abdurrahman“ alias Boban S. wurde 1980 in Dortmund geboren und ist serbischer Abstammung, besitzt aber auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Von Beruf ist er Chemieingenieur. Er wohnt in Dortmund in der „Innenstadt Ost“ bei seiner Freundin Nadine H. S.. Eine Wohnung in Dortmund-Lindenhorst (Lindenhorster Straße 83) diente als „Madrassa“ und somit als Treffpunkt der dschiadistischen Szene. Außerdem betätigte er sich als (Hass-)Prediger. Zur Vorbereitung seiner Rekruten auf den Dschihad in Syrien/Irak veranstaltete er im Sauerland Trainingsmärsche mit Gepäck: 16,2 km mit Rucksack (25 kg).

 

Der Kronzeuge Anil O. und zwei V-Leute hatten Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah belastet, wie der „Focus“ berichtete:

 

„Entscheidende Hinweise gegen den Imam lieferten nach FOCUS-Informationen zwei V-Leute aus der Salafisten-Szene und ein IS-Veteran. So berichtete eine Quelle des Landeskriminalamts (LKA) Hessen mit dem Kürzel „VP02“, dass Abu Walaa in der Medina-Moschee in Kassel während eines Seminars am 6. Mai vor 100 Zuhörern zum bewaffneten Kampf für die Kalifatsbrigaden gegen die Ungläubigen (Kuffar) aufgerufen habe.

 

Ferner schilderte ein Informant des LKA NRW (Deckname: „VP01“), dass die Gruppe dschihadistische Seminare in einer Dortmunder Wohnung (gemeint ist die Wohnung von Boban S. in Dortmund-Lindenhorst, G. P.) abhielt. Dort soll der inzwischen inhaftierte Hilfsprediger Abu Abdurrahman, 36, jungen Muslimen die radikalen IS-Lehren eingebläut haben. Während des Unterrichts spielte der Eiferer auch Hinrichtungsvideos der „Gotteskrieger“ vor. Die Gräueltaten, hetzte er, seien die Rache für das Leiden der Muslime im Krieg in Syrien gegen die Ungläubigen. (…)

 

Nach Aussage des IS-Rückkehrers Anil O., ehemals Medizinstudent, folgte auf diese erste Rekrutierungsstufe der Besuch beim mutmaßlichen Kopf des Netzwerks in der Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises (DIK) in Hildesheim. Dort habe ihm Imam Abu Walaa Anfang Juli 2015 klar gemacht, so O., dass er seine Tour zum IS organisieren und für ihn bürgen werde.“ (www.focus.de/politik/deutschland/hinrichtungsvideos-im-hinterzimmer-v-leute-belasten-inhaftierten-salafisten-prediger-abu-walaa_id_6190022.html)

 

Am 14. März 2017 wurde der DIK-Verein durch den Bundesinnenminister verboten. (www.spiegel.de/politik/deutschland/hildesheim-innenministerium-verbietet-islamkreis-hildesheim-a-1138623.html)

 

Am 26. September 2017 beginnt der Prozess gegen Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah, Hasan Ç., Ahmed Fifen Y., Mahmoud O. und Boban S. vor dem Oberlandesgericht Celle. Die Gerichtsakten umfassen mehrere zehntausend Seiten; im Verfahren sollen über 70 Zeugen und Sachverständige gehört werden. Allerdings haben die Sicherheitsbehörden in NRW die Befragung des V-Mannes VP-02 wegen „Gefährdung für Leib und Leben“ kurzfristig untersagt und dem Gericht einen entsprechenden Sperrvermerk zugeschickt. (www.ksta.de/politik/terror-prozess-v-mann-fehlt-als-kronzeuge-gegen-hassprediger-abu-walaa-28448176)

 

Als Kronzeuge wird Anil O. erwartet, ein deutsch-türkischer Staatsbürger, der in Gelsenkirchen aufwuchs und später mit seiner Familie nach Aachen zog. Nach dem Abitur (Gesamtnote 1,0) studierte er zeitweise Medizin, bevor er im Juli 2015 nach Syrien reiste, um in einem Lager des „Islamischen Staates“ eine militärische Ausbildung zu machen. Bei seiner Rückreise wurde er am 24. September 2016 am Flughafen Düsseldorf festgenommen und am 15. Mai 2017 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer ungewöhnlich milden Strafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt (Aktenzeichen: III-5 StS 1/17). (www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/duesseldorf-bewaehrungsstrafe-fuer-is-aussteiger-und-kronzeugen-anil-o-aid-1.6823841) Schon im Prozess gegen Sven Lau war er als Kronzeuge aufgetreten, allerdings waren seine Aussagen damals nur eingeschränkt glaubwürdig, weil er nach einer zähen Befragung einräumen musste, mögliche Beweise gegen Lau nur vom Hörensagen zu kennen.

 

Die Rechtsanwälte von Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah sind zwei erfahrene Verteidiger in Staatsschutzverfahren: Mutlu Günal (Bonn) und Peter Krieger (Bonn). Anwalt Günal hält die Vorwürfe des Kronzeugen und der V-Leute gegen seinen Mandanten für „konstruiert“; Krieger nannte Anil O. einen „Hochstapler“.