Militärforschung
  Der verhinderte Terrorist vom Verfassungsschutz
 

Roque M.: Der verhinderte Terrorist vom Verfassungsschutz

 

Gerhard Piper

 

5. September 2017

 

Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf begann heute der Prozess gegen Roque M., der beim Bundesamt für Verfassungsschutz für die Observation islamistischer Gefährder zuständig war, aber zugleich als Islamist im Internet mit mehreren Islamisten vertraulich chattete. Welche Informationen er weitergab, ist bis heute nicht geklärt. Zwar faselte er von einem Terroranschlag auf die Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Köln-Chorweiler (Merianstr. 100), aber dies sei „nicht ernst gemeint“ gewesen. Das Landgericht und das Oberlandesgericht in Düsseldorf wollen die Verfassungsschutzaffäre möglichst klein halten.

 

Ein scheinbar bürgerliches Familien- und Berufsleben

 

„Abdarrahman“ alias „Raul B.“ alias Roque M. (Geburtsname: Roque Nuñez Fuentes) ist deutscher Staatsbürger spanischer Abstammung. Er wurde am 25. Mai 1965 in der andalusischen Hafenstadt Almería geboren, kam aber schon in jungen Jahren mit seinen Eltern Roque und Maria Nuñez Fuentes und seiner Schwester Ana nach Deutschland. Er wuchs in Tönisvorst bei Krefeld auf, wo er bis heute wohnt (Straße: Pastorsbusch Nr. xx). Erst machte er 1981 die Mittlere Reife an der Realschule Corneliusfeld in Tönisvorst, anschließend erwarb er an der Abendschule in Kempen das Abitur.

 

Er ist mit der Ärztin Anja M. verheiratet, deren Familiennamen er bei der Hochzeit annahm. Das Ehepaar hat vier Kinder. Früher wohnte die Familie in Viersen, danach in Krefeld, zuletzt in Tönisvorst. Einer der Jungen ist seit seiner Geburt 2001 durch eine Infektionskrankheit schwerbehindert ist (Pflegestufe 3). Im Jahr 2008 verklagten die Eltern das Krankenhaus. Außerdem gründete Roque M. die „Stiftung Delphintherapie“, u. a. um seinem Sohn zu helfen. Seit Frühjahr 2010 besuchen sie dazu das Therapiezentrum auf Curaçao, einer Insel der niederländischen Antillen.

 

In seinem Hauptberuf war Roque M. zunächst Bankkaufmann, dabei brachte er es bei der „Volksbank Krefeld eG“ zum Vertriebsleiter und Leiter für Elektronische Medien. Daneben hatte Roque M. ein umtriebiges Nebenerwerbsleben: Er trat früher als Darsteller in „Schwulenpornos“ auf. Außerdem war er Gesellschafter eines Tattoostudios in Krefeld und betrieb zeitweise einen Online-Shop für Unterwäsche ("German Military Underwear. Strong. Manly. Sexy."). Er versuchte sich als Verleger für Pornoliteratur mit eigenem Verlag „edition euQor“. Zum Verlagsprogramm gehörten fünf Publikationen: „Manneskraft. Liebe, Leben und andere Fehleinschätzungen“ von Michael Lüttke (2007), das Sachbuch „selfsucker – die Kunst sich selber einen zu blasen“ von Brent Müller (2008), die Biographie „Mann, bist Du Porno ! Big Pig Jan - Biographie - Pornographie“ von Jan Losch (2008), der erotische Bildband „shaved ! SPORTSMEN. … intimately shaven“ (dt.: Shaved ! ... der intimrasierte Mann) von Jo Schwanewilms (Oktober 2007), und der Roman „Jesus in Love“ von Alexander von Agoston und Kittredge Cherry (2007) etc.. Nach einem Jahr musste der Verlag wegen Finanzproblemen schließen. Außerdem versuchte er sich als Musikproduzent von erotischen Schlagern.

 

Der spätere Verfassungsschützer kann auch eine zweifelhafte politische Vergangenheit vorweisen: Früher war Roque M. Mitglied der Partei Bündnis 90/ Die Grünen im Ortsverein Tönisvorst, so wurde er 2008 Beisitzer im Ortsvorstand. Noch im selben Jahr trat er aus der Partei wieder aus. Zeitweise sympathisierte er auch mit der rechtsradikalen Nordic Brotherhood.

 

Außerdem war er ein gläubiger Katholik, der mit seiner Familie bis Januar 2016 die Sankt Josef-Kirche in Krefeld besuchte. Aber bereits im Jahr 2014 soll er vom Katholizismus zum Islam konvertiert sein, was aber seiner Familie verborgen blieb. Im Internet gab er seit November 2015 - unter seinen Alias-Namen – islamistische Erklärungen ab.

 

Der Banker wird Observant beim Verfassungsschutz

 

Der Verfassungsschutz leidet unter chronischer Personalnot. Beispielsweise gab die Behörde im Dezember 2014 folgende Stellenanzeige auf:

 

 „Sie sind ein politisch interessierter, mobiler Mensch, der mit offenen Augen seine Umwelt wahrnimmt? Bewerben Sie sich jetzt für den Dienstort Köln als Mitarbeiter/in im Nachrichtendienst für die mobile Observation.“

 

Für Roque M. war so eine Ausschreibung ein willkommenes Angebot. Er gab seine Stelle bei der Bank auf und bewarb sich 2016 beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Daraufhin wurde er am 15. April 2016 als Quereinsteiger vom BfV tatsächlich angestellt. Er verhielt sich „im Bewerbungsverfahren, während der Ausbildung und in seinem Einsatzbereich unauffällig“, teilte das BfV mit. Im Rahmen der damaligen Sicherheitsüberprüfung der Stufe III (Ü3) gemäß dem Sicherheitsüberüberprüfungsgesetz (SÜG) waren damals fünf Referenzpersonen befragt worden.

 

Anschließend machte er vom 18. bis 22. April 2016 eine fünftägige Ausbildung an der Akademie für Verfassungsschutz, „zur Vorbereitung auf seine zukünftige Verwendung“. Danach folgte noch eine dreimonatige Ausbildung in Observationsmethoden mit dem Auto, per Bahn oder zu Fuß. Als Observant bezog er ein Monatsgehalt von 1.800 Euro.

 

Mit seinem punkigen Aussehen und seinem Che Guevara-Tattoo auf der Brust entsprach er sicherlich nicht dem bürgerlich-spießigen Erscheinungsbild des typischen „Schlapphutindianers“ vom Verfassungsschutz.

 

Der Observant wird zum Maulwurf

 

Er gehörte zu einer Observationseinheit, die Islamisten überwachte. Er soll versucht haben, „sensible Informationen über das BfV weiterzugeben, die zu einer Gefährdung des Amtes führen könnten“. Seinen Glaubensbrüdern wollte Roque M. u.a. Einsatzpläne seiner Observationseinheit verraten und die Namen von Informanten des Verfassungsschutzes. (www.spiegel.de/politik/deutschland/verfassungsschutz-maulwurf-wollte-interna-an-islamisten-weitergeben-a-1124124.html) So trug er akribisch Dienstgeheimnisse zusammen und speicherte sie auf seinem Computer bzw. USB-Stick. Auch unterhielt er sich in einem Internet-Chat über „Facebook“, wo er als „Raul B.“ auftrat, und über „Telegram“ oder „Wickr“ mit anderen Islamisten, so mit einem „Mohamed“ aus Österreich. Nach Pressemeldungen teilte er mit, dass er für ein mögliches Attentat auf das Hauptquartier des BfV in Köln-Chorweiler Dschihadisten in die Zentrale einschmuggeln wolle. Dazu sammelte er Daten über die Eingänge und Garagen der Zentrale. In seinem Chat erklärte er: „Ich kann euch zum Einlass ins Haupthaus verhelfen, ein Anschlag in der Zentrale wäre doch ganz in Allahs Sinne.” (www.aachener-zeitung.de/lokales/region/fatale-langeweile-ex-verfassungsschuetzer-packt-aus-1.1708050) In seinen polizeilichen Vernehmungen erklärte der Spion: „Ihr habt mich jetzt, aber der Plan geht weiter.“ (www.tagesschau.de/ausland/islamist-verfassungsschutz-107.html)

 

Weitere Informationen sollten bei einem Treff in der Dusche von einem Fitness-Club in Krefeld an einen Kontaktmann weitergegeben werden, aber dazu kam es nicht mehr. Einer seiner vermeintlich islamistischen Chat-Partner war selbst ein V-Mann des BfV, so dass Roque M. im Oktober 2016 als „Maulwurf“ aufgeflogen sein soll. Davon will das Bundesamt für Verfassungsschutz aber erst am 9. November 2016 erfahren haben. Roque M. wurde am 16. November 2016 festgenommen und inhaftiert. Zu den Abläufen beim BfV erklärte die Bundesregierung:

 

„Nach Eingang des Ersthinweises bei Abteilung 6 des BfV am 9. November 2016 mussten bis zur Festnahme des M. am 16. November 2016 nach und nach Mitarbeiter des für die Klärung des Hinweises zuständigen Bereiches Sicherheitsangelegenheiten des BfV sowie zur Vorbereitung personalrechtlicher Konsequenzen auch die Personalverwaltung des BfV über den Sachverhalt informiert werden. Darüber hinaus mussten einzelne Unterstützungskräfte der Abteilung 3 des BfV in die Ermittlungen eingebunden und der Sicherheitsdienst des BfV sensibilisiert werden. In die Ermittlungen sowie zur Vorbereitung Exekutivmaßnahmen mussten auch einzelne Vorgesetzte des M. einbezogen werden. Diese wurden jedoch nicht über den Hintergrund der Maßnahmen in Kenntnis gesetzt. (…)

 

Amtsintern wurde die Mitarbeiterschaft des BfV nach der Festnahme des M. mit einem Mitarbeiterbrief des Präsidenten des BfV vom 16. November 2016 erstmals über den Vorfall in allgemeiner Form informiert.“ (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/108/1810847.pdf)

 

In seinen polizeilichen Vernehmungen legte sich Roque M. zunächst redselig und legte einen gewissen Geltungsdrang an den Tag. Nach seiner Haftentlassung wolle er nach Syrien auswandern, teilt Roque M. seinen Vernehmern frech mit.

 

Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums waren empört, dass sie aus im November 2016 der Presse von der Infiltration des Bundesamtes für Verfassungsschutz erfuhren. „Jetzt gilt es, vor allem zu klären, wie der enttarnte Mitarbeiter überhaupt beim BfV trotz Sicherheitsüberprüfung eingestellt werden konnte. (…) Hier wird eine mögliche Sicherheitslücke offenbar", sagte der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. Die „Ü-3“-Sicherheitsüberprüfung scheint „zu schematisch angelegt zu sein“.

 

Der Rechtstaat schützt den Staatsschutz

 

Am 10. Juli 2017 wurde Roque M. auf Beschluss des Landgerichts Düsseldorf aus der U-Haft entlassen.

 

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wollte ihn ursprünglich anklagen, wegen

- Verrat von Dienstgeheimnissen,

- Aufnahme von Beziehungen zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat,

- Versuch der Beteiligung an einem Verbrechen (Mord, Totschlag und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion).

 

Aber die 9. Große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf ließ am 10. Juli 2017 die letzten beiden Anklagepunkte nicht zu, weil Roque M. sein (Teil-)Geständnis widerrief und fortan behauptete, seine islamistischen Erklärungen im Internet seinen „nicht ernst gemeint“ gewesen. Das Landgericht machte sich diese Schutzbehauptungen zu eigen, zumal das Bundesamt für Verfassungsschutz keine weiteren Beweise gegen seinen ex-Mitarbeiter vorbringen konnte oder wollte. Statt von einem Geheimnisverrat war nunmehr nur noch von einem „versuchten Geheimnisverrats“ die Rede und für die Beteiligung an einem Anschlag gäbe es mangels Beweises keinen hinreichenden Tatverdacht:

 

„Das Landgericht Düsseldorf hat die Anklage der Staatsanwaltschaft nach SPIEGEL-Informationen nur in sehr geringem Umfang zugelassen. Die Vorwürfe, der Mann habe Beziehungen aufgenommen, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen, er habe versucht, sich an einem Verbrechen zu beteiligen und Dienstgeheimnisse zu verraten, stufte die Staatsschutzkammer deutlich herunter.

 

Eine Sprecherin des Gerichts sagte, es gebe einen Teileröffnungsbeschluss. Demnach wird sich Roque M. wohl nur wegen des versuchten Geheimnisverrats verantworten müssen. Auch wurde der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Der ehemalige Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) befindet sich nach acht Monaten Untersuchungshaft seit Montagnachmittag wieder auf freiem Fuß.“ (www.spiegel.de/politik/deutschland/verfassungsschutz-gericht-laesst-mutmasslichen-geheimdienst-maulwurf-frei-a-1157414.html)

 

Als die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Düsseldorf Beschwerde gegen diesen Entscheid einlegte, wurde diese durch den 6. Strafsenat des OLG am 28. August 2017 ebenfalls abgelehnt (Aktenzeichen: III-6 Ws 2/17). So muss sich Roque M. nun nur noch wegen der abgespeckten Anklage eines Versuchs des Verrats von Dienstgeheimnissen verantworten. (www.olg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/Presse_aktuell/20170831_PM_Roque-M_/index.php)

 

Am heutigen 5. September 2017 begann der Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf. Die Verteidiger von Roque M. sind Martin Rademacher und Hendrik Rente. Vor Gericht verteidigte sich Roque M.: „Mein Chatpartner drängelte. Aber ich wollte nicht liefern, hätte nichts geliefert und habe auch nichts geliefert.“ (www.focus.de/regional/duesseldorf/duesseldorf-banker-wurde-zum-terror-maulwurf_id_7556150.html)

 

Das Gericht hat lediglich fünf Verhandlungstage angesetzt, anscheinend will man diese peinliche „Verfassungsschutzaffäre“ schnell vom Tisch haben. Ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutzes behauptete frech: „Das Amt hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.“ Das Gegenteil ist kaum beweisbar. Zwar stellte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen eine Kleine Anfrage zur „Sicherheit beim Bundesamt für Verfassungsschutz“ (Drucksache 18/10698 vom 14. Dezember 2016), aber die Bundesregierung war in ihrer „Antwort“ vom 17. Januar 2017 nicht bereit, auf mehrere Fragen ernsthaft einzugehen (Drucksache 18/10847):

 

„Die Bundesregierung  ist nach sorgfältiger Abwägung des parlamentarischen Informationsanspruchs des Deutschen Bundestages mit dem Wohl des Bundes (Staatswohl), das durch Bekanntwerden geheimhaltungswürdiger Informationen gefährdet werden könnte, zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage in offener Form nicht erfolgen kann.“ (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/108/1810847.pdf)

 

Ein Einzelfall?

 

Roque M. ist keineswegs der erste und einzige deutsche Geheimagent, der die Seiten wechselte und zum Islamisten wurde:

 

Ali K. ist Salafist und hatte Kontakte zu Ibrahim Abou-Nagie, Marcel Kraß und Pierre Vogel. Am 27. Januar 2012 meldete er einen islamischen Info-Stand mit Materialien der dschihadistischen Gruppierungen „Einladung zum Paradies“ (EZP) und „Die wahre Religion“ (DWR), die mittlerweile verboten wurden. Dadurch geriet Ali K. in das Visier seiner eigenen Kollegen. Schließlich war Ali K. 2009 Mitglied des Mobilen Observationskommandos des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Düsseldorf. Als solcher musste er auch muslimische Terrorverdächtigte überwachen. Daraufhin wurde er im April 2012 vom Dienst suspendiert und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet.

 

In diesem Zusammenhang sei auch noch an den Fall „Abou Nusaibah“ alias „Ahmed Khaled“ alias Andreas Martin Müller erinnert. Dieser schloss sich 2009 in Afghanistan der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) an und wechselte 2011 zur al-Schabab in Somalia. Nach unbestätigten Meldungen soll er an einem Anschlag auf eine Kirche in Ngara (Kenia) am 29. April 2012 beteiligt gewesen sein, bei dem zwei Menschen getötet und fünfzehn verletzt wurden. Nach unbestätigten Meldungen soll Müller am 2. Juli 2016 in Somalia ums Leben gekommen sein. Zwar war Andras Martin Müller selbst kein deutscher Agent gewesen, aber sein Vater, Hans-Joachim M., war ein hoher Offizier im Militärischen Abschirmdienst (MAD) in der Zentrale in Köln.

 

Andere Dschihadisten in Deutschland mit Migrationshintergrund arbeiteten früher bei den Geheimdiensten in ihren Herkunftsländern.