Militärforschung
  Lebenslaenglich fuer ICE-Anschlaege
 

Lebenslänglich für vier Anschlagsversuche gegen ICEs in Bayern und Berlin

Gerhard Piper

7. Dezember 2020

Am 3. Dezember 2020 wurde der Iraker Qaeser A. vom Landesgericht Wien zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der verurteilte „Gotteskrieger“ gilt als Sympathisant des „Islamischen Staates“. Er verübte mindestens vier Anschläge auf die „ICE“-Züge der Deutschen Bundesbahn in Bayern und Berlin, die allerdings alle glimpflich ausgingen. Außerdem plante er weitere Zuganschläge in Österreich und Frankreich. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Seine Ehefrau wurde freigesprochen und genießt nun das Leben ohne ihren fanatischen Göttergatten.

Der Attentäter

Qaeser A. ist irakischer Staatsbürger. Er wurde 1976 in Bagdad geboren und wohnte zeitweise in Diyala. Eine Zeit lang diente er in der Palastwache von Saddam Hussein, den er sehr verehrte.

Qaeser A. kann auf eine jahrelange Fluchtgeschichte zurückblicken: Im Jahr 2007 flüchteten die Eheleute mit ihren damals zwei Kindern aus Angst vor den Schiiten nach Syrien, wo Qaeser A. als Lkw-Fahrer jobbte. Im Jahr 2008 zog man weiter in die Türkei. Hier fand Qaeser A. eine Arbeit als Schlosser. Bei einem Zwischenfall an der irakisch-türkischen Grenze wurde er 2009 durch eine Autobombe verletzt. Mitte 2011 gelangte er nach Griechenland. Im Januar 2012 ließ er seine Familie nachkommen. Über Athen und Mailand reiste er zunächst allein nach Österreich. Sein Asylantrag wurde im Januar 2013 anerkannt und ihm wurde der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Damals lebte er in Graz. im November 2013 zog er um nach Wien und holte seine Familie aus Griechenland nach. Zuletzt bezog er eine Sozialbauwohnung in Wien-Simmering (Miltnerweg).

Qaeser A. soll nach seiner Matura zeitweise an der Technischen Hochschule in Wien studiert haben. Um seine Familie zu versorgen, arbeitete er mal als Verkäufer, mal als Kellner oder Lkw-Fahrer (ohne Führerschein). Danach jobbte er als Lagerarbeiter in Brotfabriken und in Supermärkten. Zuletzt war er mehrere Monate als „Security“-Mann bei einem Sicherheitsunternehmen beschäftigt und wurde u. a. in Supermärkten und bei Fußballspielen eingesetzt. Er verdiente monatlich rund 1.100 Euro netto. Zusammen mit Sozialleistungen verfügte die Familie über ein monatliches Einkommen von netto 3.000 Euro. So erhielt Qaeser A. vom Januar 2013 bis November 2018 insgesamt 84.281,08 Euro Sozialhilfe, für die er sich im Terrorprozess bedankte: „Ja, ich bin Österreich sehr dankbar“, bekannte der Terrorist. (1) Seinen „Security“-Job kündigte er im Dezember 2018. Anscheinend wollte er sich ins Ausland absetzen.

Die Anschlagsversuche

In den vergangenen Jahren soll Qaeser unzählige Male nach Deutschland, Frankreich, Italien und in die Schweiz, per Bus, Mietwagen, Anhalter oder der Bahn selbst gereist sein. „Um das schöne Europa kennenzulernen“, wie er behauptet. Den Ermittlungsergebnissen der Staatsschützer zufolge soll er in Hamburg, Berlin, Paris, Marseille, Genf, Zürich und Mailand Extremisten getroffen haben. (2)

Qaeser A. gestand mindestens vier Anschlagsversuche in Deutschland, von denen aber nur zwei bei seiner Festnahme den Sicherheitsbehörden überhaupt bekannt waren! An den Loks entstand ein Sachschaden von insgesamt rund 10.000 Euro.

- Am 25. Januar 2018 verübte er einen ersten Anschlagsversuch bei Allersberg im Raum Nürnberg, indem er zwei Hindernisse auf den Gleisen fixierte. Der Anschlag scheiterte, weil der Zug die Hindernisse einfach zerfetzte. Dieser erste Anschlagsversuch blieb unentdeckt. (3)

- Am 19. August 2018 unternahm er einen zweiten Versuch an dergleichen Stelle, diesmal mit der doppelten Zahl an Hindernissen. Aber auch diesmal zerfetzte der ICE die Barriere. Auch dieser Anschlag blieb zunächst unerkannt.

- Am 7. Oktober 2018 verübte er einen weiteren Anschlag auf einen ICE bei Allersberg, es war der Zug von Dortmund nach München. Durch Stahlseile, die mit Wurfankern zwischen zwei Strommasten über das Gleis gespannt waren, und mit Metall präparierte Holzkeile auf den Schienen versuchte er vergeblich, den Zug zum Entgleisen zu bringen. Um 23.19 Uhr kollidierte ein mit 160 Passagieren besetzter ICE mit einer Fahrtgeschwindigkeit von 204 km/h mit dem Stahlseil, was einen Lichtblitz und Schäden an der Frontscheibe sowie am Lack des Triebwagens, aber nicht mehr bewirkte. Die Drahtseil-/Holzpflock-Konstruktion stammte aus Bauanleitungen, die der „Islamische Staat“ über das Internet verbreitet hat, sie ist aber – nach Auskünften von Bahnexperten – ungeeignet, um einen Schnellzug zum Entgleisen zu bringen. Bei einer „professionelleren“ Konstruktion hätte es hingegen viele Tote und Verletzte geben können. (4) Man denke hier nur an den ICE-Unfall von Eschede am 3. Juni 1998 mit 101 Toten und 88 Verletzten. Am Tatort fand die Polizei zwei Drohbriefe gegen den europäischen Bahnverkehr, sollten die Angriffe auf den „IS“ andauern, und ein arabisches Graffiti.

- Am 15. Dezember 2018 kam es zu einem ähnlichen Vorfall auf der ICE-Trasse der „Deutschen Bundesbahn“ zwischen den Bahnhöfen Karlshorst und Treptow in Berlin. Der Atttentäter warf zu Hakenkrallen gebogene Eisenstangen über die Oberleitung. Allerdings fuhr erst ein Güterzug über die Bahntrasse, dem erst dann ein Personenzug folgte. Bei der Durchfahrt des Güterzuges wurde die Oberleitung durch einen Lichtblitz leicht beschädigt. Spätestens am 23. Dezember entdeckte die Deutsche Bahn AG den Anschlagsversuch und informierte die Polizei. Nach dem Anschlag in Berlin reiste Qaeser A. mit dem „Flixbus“ überstürzt ab und vergaß dabei seinen Reisepass und Bargeld im Hotel. Am Tatort wurde später eine zurückgelassene Schahāda-Flagge des „IS“ aufgefunden.

- Weitere Zuganschläge plante er u. a. in Österreich und Frankreich, allerdings konnte er diese Taten nicht mehr ausführen. Zudem erschien ihm die Durchführung von Anschlägen in Frankreich als zu schwierig.

Qaeser A. bestritt in seiner Vernehmung zu seiner Motivlage jeglichen terroristischen Hintergrund. „Das, was ich gemacht habe, diente ausschließlich der Aufmerksamkeit. Es war einzig und allein für PR-Zwecke gedacht,“ erklärte er vor Gericht. Andererseits betonte er, er wollte mit den Anschlägen einen Abzug der ausländischen Truppen aus dem Irak erzwingen und beklagte sich über „die ungerechte Politik Deutschlands, mein Heimatland betreffend“. Außerdem erklärte er bei seiner Festnahme: „Ich bin dem IS dankbar dafür, dass sie die Sunniten im Irak beschützt und dem Iran das Rückgrat gebrochen haben." Weitere Hinweise auf eine extremistische Gesinnung ergeben sich aus seinem „Facebook“-Profil. Dort präsentierte er sich als Anhänger des irakischen Diktators Saddam Hussein und teilte Videos islamistischer Prediger. Während er nach außen den biederen Ehemann und Familienvater mimte, postete er im Internet ein Foto, das ihn mit einem Sturmgewehr zeigte.

Die Ermittlungen des Staatsschutzes

Nach Entdeckung der Anschlagsversuche gründeten das LKA Berlin und das LKA München die gemeinsame BAO TRASSE. Auf deutscher Seite leitete die Ermittlungen die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) in München. Zeitweise waren 200 deutsche Ermittler mit dem Fall befasst. In Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Wien, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung der Republik Österreich (BVT) und dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) in Wien, um die – von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene - Anschlagserie aufzuklären. An beiden Tatorten konnten DNA-Spuren von Qaeser A. sichergestellt werden. Neben den DNA-Spuren erhärten weitere kriminaltechnische Untersuchungen der Drohschreiben und Gegenstände, die in der Nähe der Gleise gefunden wurden, den Verdacht gegen Qaeser A. Auch konnten Ermittler seine Reisewege rekonstruieren. In einer islamwissenschaftlichen Analyse des Bekennerschreibens, das am Anschlagsort in Allersberg hinterlegt worden war, kam das BKA zu der Annahme, „dass es sich bei dem Täter oder den Tätern um eigeninitiativ handelnde Personen aus dem dschihadistischen Spektrum handelt“. Es sei aber auch möglich, dass eine solche Motivlage lediglich vorgetäuscht wurde, so das BKA. (5)

Die Polizei kam dem Attentäter schließlich auf die Spur, weil dieser in einem Copyshop am Westbahnhof in Wien neue Bekennerschreiben für einen Anschlag auf das österreichische Eisenbahnnetz fotokopiert hatte. Eines der brisanten Blätter vergaß der Terrorist schlichtweg im Drucker. Auf dem Bekennerschreiben fanden die Behörden einen Fingerabdruck. Eine Abfrage in der daktyloskopischen Datei ergab einen Treffer - Qaesem A..

Vier Monate warteten die deutschen Ermittler darauf, dass dieser erneut nach Deutschland einreisen würde, um ihn hier festzunehmen. Als er mit seiner Familie von Österreich nach Mekka (Saudi-Arabien) reisen wollte, entschloss man sich schließlich zur Festnahme in Wien.

Der Prozess in Wien

Am 25. März 2019 wurde der tatverdächtige Iraker Qaeser A. in seiner Wohnung in Wien-Simmering durch die Anti-Terroreinheit COBRA festgenommen. (6) Bei einer Hausdurchsuchung wurden u. a. ein Nachtsichtgerät und eine Drohne sichergestellt. Gegen den 42-Jährigen lagen Haftbefehle der Staatsanwaltschaft Wien wegen Verdachts der terroristischen Straftaten des versuchten Mordes und der schweren Sachbeschädigung, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und dem Verbrechen der kriminellen Organisation vor. Auch das Amtsgericht München hate einen Haftbefehl erlassen, wegen des Verdachts des versuchten Mordes. Nach Angaben der Wiener Staatsanwältin Nina Bussek trat Qaeser A. vor seiner Festnahme „nicht strafrechtlich in Erscheinung und wurde auch nicht als Gefährder eingestuft“.

Vor Gericht wurde Qaeser A. durch seine Rechtsanwälte Wolfgang Blaschitz und Dr. Wolfgang Langeder (beide Wien) vertreten. Rechtsanwalt Blaschitz räumte zum vorliegenden Fall ein: „In seinen Vernehmungen hat er nach meiner vorläufigen Kenntnis ausgesagt, dass er die Taten allein ausgeführt und ein Exempel habe statuieren wollen: (…) Offenbar hegt er aus mir bislang unbekannten Gründen einen Groll gegen die deutsche Regierung. Er ist in der Vergangenheit nicht als Islamist aufgefallen und beteuert, keinen Kontakt zu Terrororganisationen zu haben." (7)

Am 3. Dezember 2020 verurteilte das Landesgericht Wien Qaeser A. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sogleich reichten die Anwälte von Qaeser A. „Nichtigkeitsbeschwerde“ ein und gingen in die Berufung. (8)

Seine Frau wurde freigesprochen. Nach ihrer Freilassung möchte die noch-Ehefrau ihren Schulabschluss nachholen, eine Berufsausbildung machen und sich um ihre Kinder kümmern. Diese waren zuletzt in einem Kriseninterventionszentrum untergebracht und durften ihre Mutter nur selten im Knast besuchen.

Die Rolle muslimischen Ehefrau

Seine Ehefrau heißt Shehrazad A. und hat vier Kinder (drei Mädchen und ein Junge). Sie wurde am 27. März 1987 in Bagdad geboren, ihr Vater war Beamter, die Mutter kümmerte sich um den Haushalt. Als sie neun Jahre alt war, starb ihre meine Mutter an Nierenversagen. Danach hat ihr Vater erneut geheiratet und drei weitere Kinder gezeugt. Um Sherazad und ihren Bruder aus erster Ehe kümmerte sich fortan einer der Opas. Die Schule musste sie nach der siebten Klasse abbrechen.

Als sie sechzehn oder siebzehn wurde, arrangierte ihre Familie ihre Verehelichung mit dem siebzehn Jahre älteren Mann. Dieser hat sie oft mit Elektrokabeln misshandelt. So berichtete die Ehefrau 2020 vor Gericht, dass Qaeser A. bereits seit 2014 mehr oder weniger oft von Scheidung gesprochen habe. „Er hasste Europa, wollte nach Syrien und dort eine Witwe heiraten“. Damit ihn seine Kinder in guter Erinnerung behalten, „hatte er vor, mit ihnen und mir im kommenden Sommer in Ägypten Urlaub zu machen“. (9) Während ihrer Ehe hatte sie kaum Kontakt zur Außenwelt, konnte nur Arabisch. „Ich war eine Gefangene meiner Umstände“, erklärte die 33-Jährige vor Gericht.

Auch die Ehefrau wurde – zeitgleich mit ihrem Gatten - unter dem Tatverdacht der „Beitragstäterschaft“ festgenommen, da an den Anschlagsorten auf den Kleberollen DNA-Spuren von ihr sichergestellt werden konnten. Allerdings fanden sich auch genetische Spuren der Kinder des Ehepaares auf dem Tatmaterial. Nach ihrer Festnahme gab die Ehefrau gegenüber der Polizei bereitwillig Auskunft:

„Im Verhör packte dann die Frau des Verdächtigen aus: Sie bestritt eine Mittäterschaft vehement und beschrieb ihrerseits, wie sie und die Kinder unter der Schreckensherrschaft ihres Mannes gelitten hätten. Anwältin Astrid Wagner vertritt die 33-Jährige nun vor Gericht: „Meine Mandantin ist in der U-Haft zu einer selbstbewussten Frau geworden. Sie versteht jetzt, dass ihr Mann fürchterliche Dinge getan hat. Sie wusste nichts von seinen Verbrechen.““ (10)

Dennoch misstraute der Staatsanwalt der Ehefrau: Sie habe nach ihrer Festnahme immer wieder ihre Aussagen den Ermittlungsergebnisse angepasst. So habe sie bei neun Vernehmungen neun verschiedene Versionen erzählt. Dieser Einschätzung wurde von der Angeklagten widersprochen: Teilweise hätte es Missverständnisse gegeben, teilweise sei sie von den Ermittlern unter Druck gesetzt worden.

 

Quellen:

(1) www.derstandard.de/story/2000122148119/terrorprozess-der-spinner-und-vier-anschlaege-als-pr-aktion

(2) www.krone.at/1907722

(3) www.derstandard.de/story/2000122148119/terrorprozess-der-
spinner-und-vier-anschlaege-als-pr-aktion

(4) www.heise.de/tp/features/Bataclan-Massaker-als-Inspiration-4400745.html

(5) www.spiegel.de/politik/deutschland/terror-geplante-anschlaege-auf-ice-
zuege-wer-ist-der-iraker-qaesar-a-a-1259997.html

(6) www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/2019/
pressemitteilung.796919.php

(7) www.spiegel.de/politik/deutschland/terror-geplante-anschlaege-auf-ice-
zuege-wer-ist-der-iraker-qaesar-a-a-1259997.html

(8) www.derstandard.de/story/2000122226108/terrorprozess-lebenslang-
fuer-anschlaege-auf-ice-schnellzuege

(9) www.krone.at/1907722

(10) www.heute.at/s/gemeindebau-terroristen-bekamen-3000-euro-
im-monat-100107926