Die Terroranschläge von Barcelona und Cambrils
Gerhard Piper
21. August 2017
Eine marokkanische Dschihadisten-Zelle im spanischen Pyrenäenstädtchen Ripoll hatte monatelang mehrere schwere Terroranschläge in Barcelona vorbereitet. So wollten sie die berühmte Kathedrale "Sagrada Familia" mit einer LKW-Bombe in die Luft sprengen. Als mehrere Terroristen in dem Dorf Alcanar bei Taragona den Sprengstoff TATP zusammen mixten, kam es am 16. August zur Explosion. Damit musste die Zelle ihre ursprünglchen Pläne aufgeben. Womöglich aus Angst vor Enttarnung entschlossen sie sich, bereits am nächsten Tag mit einem Lieferwagen die Touristenmassen auf der bekannten "Las Ramblas" niederzumetzeln, Noch einen Tag später kam es in Cambril zu einem weiteren Zwischenfall, als eine Polizeisperre einen Terroristenwagen auf dem Weg zu einem weiteren Massaker im letzten Moment stoppen konnte. Die Bilanz: 15 Tote und über 130 Verletzte, darunter 13 Deutsche; außerdem starben mindestens neun Terroristen, vier wurden festgenommen.
Younes Abouyaaqoub ist Marokkaner, er wurde im Januar 1995 in Mirit geboren, zuletzt wohne er im spanischen Ripoll. Am 17. August 2017 gegen 16.50 Uhr raste der 22-jährige mit einem Lieferwagen der Marke „Fiat“ im Zickzack-Kurs über die Flaniermeile „Las Ramblas“ - von der Plaça de Catalunya in Richtung Columbus-Säule. Erst nach ca. 550 bis 600 m, am Mosaik von Joan Miró an der Plaça de Boquería, kam er zum Stehen, als der Airbag sich auslöste. Den Lieferwagen hatten die Terroristen zuvor in Santa Perpètua de Mogoda angemietet.
Mindestens 13 Menschen wurden ermordet: u.a. der siebenjährige Julian Cadman aus Sidney in Australien, Pepita Codina (Sant Hipòlit de Voltregà, Spanien), Bruno Gulotta (Legnano, Italien), Carmen Lopardo (Argentinien bzw. Italien), Francisco López Rodríguez y Xavi (Lanteira, Spanien), Ian Moore Wilson (Kanada]), Silvina Pereyra (Argentinien), Luca Russo (Bassano del Grappa, Italien), Jared Tucker (Texas, USA), Elke Vanbockrijck (Tongeren, Belgien) und zwei Portugiesinnen aus Lissabon. Über 120 Personen wurden verletzt, darunter 15 Personen schwer. Die Opfer stammen aus insgesamt 35 Ländern. Unter den Verletzten waren mindestens 13 Deutsche, darunter zwei schwerverletzte Frauen. Mehrere Verletzte gehörten einer Jugendgruppe des CVJM in Oberhausen-Schmachtendorf an. Zu den Überlebenden gehörte auch Julia Monaco aus Melbourne, Australien, die sich z. Zt. auf einer Reise durch Europa befindet. Nach London und Paris war der Anschlag von Barcelona bereits der dritte islamistische Angriff innerhalb von kaum drei Monaten, den sie unversehrt überstand.
Vier Tatverdächtige wurden noch am selben Abend festgenommen: Mohamed Aallaa, Salh el-Karib (zuletzt wohnhaft in Ripoll), Mohamed Houli Chemlal (zuletzt wohnhaft in Melilla) und Driss Oukabir Soprano (Marokkaner aus Ripoll, Calle Pont d´Olot). Sie werden am 22. August dem Untersuchungsrichter der „Audiencia Nacional“, Fernando Andreu, in Madrid vorgeführt. Die Anklage wird durch die Staatsanwältin Ana Noé vorgetragen.
Kurz darauf kam es in Sant Just Desvern an einer Polizeikontrolle (Operacíon JAULA) in der Avenida Diagonal zu einem Zwischenfall: Als ein „Ford Focus“ die Polizeisperre durchbrach, wurde ein Polizeibeamter verletzt; die Beamten der Mossos d'Esquadra gaben daraufhin mehrere Schüsse ab. Ungefähr drei Kilometer weiter stoppte der Wagen auf einem Parkplatz in Sant Just Devern. Im Inneren wurde der Autobesitzer Pablo Pérez Villán aus Villafranca del Penedés erstochen auf dem Rücksitz aufgefunden. Nach einigen Wirrungen kam die Polizei schließlich zu der Erkenntnis, dass der Autobesitzer von Younes Abouyaaqoub bei seiner Flucht überfallen und erstochen wurde, um sich mit dem Auto des Getöteten abzusetzen. Ein weiteres (Flucht-)Fahrzeug vom Typ „Renault Kangoo“ wurde in Vic sichergestellt.
Am 18. August 2017 um 1.30 Uhr kam es in der Touristenmetropole Cambrils (Spanien), ca. 100 km südlich von Barcelona, zu einem weiteren Zwischenfall. Bei den fünf Islamisten handelte es sich um folgende Personen: Said Aalla (Marokkaner aus Naour, zuletzt wohnhaft in Ribes de Freser, Plaza Gran de Ripoll), Houssaine Abouyaaqoub (Marokkaner), Mohamed Hychami (Marokkaner aus Mirit, zuletzt wohnhaft in Ripoll), Omar Hychami (Marokkaner aus Ripoll), Moussa Oukabir Soprano (17-jähriger Marokkaner gebürtig aus Ripoll, Calle Pont d`Olot). Diese fuhren mit ihrem Auto vom Typ „Audi A3“ zum „Paseo Marítimo“. Nachdem sie zunächst in eine vierköpfige Personengruppe gerast waren, wurden sie an einer Polizeisperre am „Club Nautico“ gestoppt. Dabei überschlug sich der Wagen. Einige Nachtschwärmer dachten zunächst, es sei ein Verkehrsunfall und wollten helfen, wurden dann aber von anderen gewarnt. Die Fahrzeuginsassen versuchten zu flüchten. Alle fünf Terrorverdächtigen wurden erschossen, dabei erschoss einer der Polizeibeamten, der früher bei der „Legión Española“ eine militärische Ausbildung gemacht hatte, alleine vier Terrorverdächtige. Darüber hinaus wurden unter den Polizeibeamten und Passanten eine Frau (Ana María Suárez aus Zaragoza) getötet und sechs Personen verletzt. Die fünf Terroristen waren mit Messern und Äxten bewaffnet, mit denen sie bei dem offensichtlich beabsichtigten Anschlag an der Strandpromenade die Passanten attackieren wollten. Außerdem trug jeder einen Sprengstoffgürtel, die sich aber als Attrappe herausstellten.
Schon zuvor, am Morgen des 16. August 2017, war es in Alcanar Platja bei Tarragona zu einer Hausexplosion gekommen. Bei der Explosion im Wohnviertel „Urbanización Montecarlo“, Hausnummer F9, wurden – wie sich erst Tage später herausstellte – drei bis vier Personen getötet. Unter den Todesopfern konnten bisher nur die Marokkaner Youssef Allah und Abdelbaqi Es Sattii identifiziert werden. Sieben weitere Personen wurden verletzt, u. a. Mohamed Houli Chemlal, der wegen Terrorverdachts festgenommen wurde. Zwölf weitere Häuser in der Nachbarschaft wurden durch die Explosion beschädigt. Die Behörden gingen zunächst von einem gewöhnlichen Gas-Unfall aus. Erst nach den Anschlägen von Barcelona und Cambrils wurde deutlich, dass es sich in Alcanar um die zentrale Bombenwerkstatt der Terrorzelle handelte. Anscheinend hatten sich die Terroristen bei der Produktion von TATP selbst in die Luft gesprengt. Beim Durchsuchen der Trümmer wurden 120 Gasflaschen mit Butan und Propan entdeckt. Die polizeilichen Feuerwerker vom Técnico Especialista en Desactivación de Artefactos Explosivos (TEDAX) mussten mit äußerster Vorsicht die Ruine durchsuchen.
Die spanischen Sicherheitsbehörden gingen davon aus, dass die genannten Vorfälle auf eine Terrorzelle mit circa 13 Mitgliedern zurückzuführen waren. Es handelte sich um Marokkaner bzw. Spanier marokkanischer Abstammung. Schwerpunkt der Zelle war das Pyrenäendorf Ripoll (ca. 10.000 Einwohner). Der religiöse Führer der Zelle war vermutlich der Marokkaner Abdelbaqi Es Sattii (Ripoll, Calle Sant Pere 4), der Iman der Annour-Moschee in Ripoll; der operative Führer Younes Abouyaaqou.
Der Iman ist vorbestraft wegen Drogenhandels. Im Gefängnis von Castellón lernte er den Häftling Rachid Aglif alias “El conejo” kennen, der an dem Anschlag auf die Nahverkehrszüge am Bahnhof Atocha am 11. März 2004 in Madrid (191 Tote, ca.1500 Verletzte) beteiligt gewesen sein soll. Außerdem wurde der Imam im Zusammenhang mit einer fünfköpfigen Terrorgruppe genannt, die Kämpfer für den Dschihad im Irak anwarb und 2006 in Vilanova i la Geltrú bei Barcelona aufflog (Operacíon CHACAL). Der Imam hatte sich im Juni 2017 aus Ripoll verabschiedet und war angeblich nach Marokko gereist; die Polizei vermutet, dass er stattdessen nach Alcanar reiste, um Anschläge vorzubereiten. Während mindestens acht Terrorverdächtige getötet und vier festgenommen wurden, befand sich Houssaine Abouyaaqoub zunächst auf der Flucht. Auch er wurde am 21. August in Subirats von der Polizei umstellt und erschossen.
Nach den Ermittlungen der spanischen Sicherheitsbehörden hatte die Zelle seit Monaten drei große Anschläge mit Sprengstoff-Lkws in Barcelona geplant. Ziele waren die noch im Bau befindliche Kathedrale Basílica i Temple Expiatori de la Sagrada Família des Jugendstil-Architekten Antonio Gaudí, die Flaniermeile Las Ramplas und das alte Amüsierviertel am Hafen. Durch die irrtümliche Explosion in dem konspirativen Haus in Alcanar wurden diese Pläne durchkreuzt, so dass sich die Zelle – möglicherweise aus Angst vor Entdeckung – spontan zu den wesentlich kleineren Auto-Anschlägen in Barcelona und Cambrils entschloss. Angeblich hatte der US-Geheimdienst CIA die spanischen Behörden schon Wochen zuvor vor einem Anschlag auf den Boulevard Las Ramblas gewarnt.
Das Innenministerium in Madrid behielt die Terrorwarnstufe „Nivel 4 Rojo - Riesgo Alto“, die zweithöchste Stufe, gemäß dem „Plan de Prevención y Protección Antiterrorista” bei. Höchstes Koordinationsorgan für die Terrorismusbekämpfung ist das „Centro de Inteligencia contra el Terrorismo y el Crimen Organizado“ (CITCO).
Nachtrag (23.8.2017): Der Untersuchungsrichter entschied, dass Mohamed Houli Chemlal und Driss Oukabir Soprano in U-Haft bleiben; Sal(e)h el-Karib bleibt vorerst nur bis zum 25. August in Polizeigewahrsam; Mohamed Aallaa, der Besitzer des Audi "A3", mit dem die Attentäter in Cambrils unterwegs waren, wurde - aus Mangel an Beweisen - aus der Haft entlassen. Der Beschluss des "Juzgado Central de Instrucción Num. Cuartro" der Audiencia Nacionál (14 Seiten) ist im Internet verfügbar:
https://politica.elpais.com/politica/2017/08/22/actualidad/1503423751_569021.html
Bei Nachermittlungen nahm die marokkanische Polizei am 22. August Nourine Oukabir, den Vetter der beiden Brüder Driss und Moussa Oukabir, der ebenfalls eine zeitlang in Ripoll gelebt hatte, fest.