Ende des Steinkohlezeitalters in Deutschland – Sicherheitsprobleme und Ewigkeitsaufgaben
Gerhard Piper
14. Oktober 2018
Der 21. Dezember 2018 ist ein historischer Tag. An diesem Tag endet die letzte Schicht auf der Zeche „Prosper Haniel“ in Bottrop. Damit wird die Steinkohlenförderung im „Kohlenpott“ eingestellt. Die Ära von Kohle und Stahl, die einst das Zeitalter der Industrialisierung eingeleitet hatte, endet. Aber mit der Schließung der letzten Zeche ist das Thema „Bergbau“ noch lange nicht beendet. Zurück bleiben langfristige Sicherheitsprobleme: Bergschäden und die so genannten „Ewigkeitsaufgaben“, schließlich haben hunderttausende Bergarbeiter im Laufe der Jahrzehnte das Ruhrgebiet ausgehöhlt wie einen „schweizer Käse“.
Das Ende einer Ära
Das Ruhrgebiet ist mit einer Ausdehnung von 4.435 qkm und einer Bevölkerung von 5.118.681 Einwohnern (Stand: 31. Dezember 2016) der größte Ballungsraum Deutschlands und der fünftgrößte in Europa.
Jahrhunderte lang prägte der Bergbau an Rhein und Ruhr das Gesicht des „Kohlenpotts“. So wie der Eiffelturm zum Symbol für Paris wurde, so prägten die zahlreichen ca. 70-Meter-hohen Stahlgerippe der Fördertürme das Antlitz des alten Kohlereviers und waren damit das weithin sichtbare Identifikationsobjekt. Der emeritierte Kunst- und Kulturhistoriker Prof. Dr. Roland Günter von der Fachhochschule Bielefeld schätzte, dass im Laufe der Zeit insgesamt etwa 3.200 Kohlenminen im Ruhrgebiet existierten. (1) Zeitweise waren fast 300 Zechenanlagen gleichzeitig in Betrieb. Nach offiziellen Angaben wurden allein im 20. Jahrhundert im Pott etwa 7.000.000.000 Tonnen Steinkohle gefördert und verbrannt. (2) Die damit einhergehende Umweltverdreckung kann wohl kaum ermessen werden.
Der Bergbau und die damit verbundene Stahlindustrie im Ruhrgebiet waren der Motor für die Industrialisierung Deutschlands. Erst die Steinkohlenförderung machte aus dem einstigen Agrarland des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einen modernen Industriestaat, der zeitweise sogar zum Exportweltmeister aufstieg. Aber dieselben ökonomischen Marktgesetze, die früher das Wachstum der Branche bewirkten, führen nun zur Ausrottung der Zechenanlagen.
In Vorkriegszeiten dienten sie der militärischen Aufrüstung, in Nachkriegszeiten dem Wiederaufbau. Mehrere der hier ansässigen Kohle-, Koks- und Stahlbarone (Krupp, Mannesmann, Stinnes, Thyssen usw.) wurden weltweit berühmt-berüchtigt. Mit der Gründung der Montanunion 1951 hat der Steinkohlenbergbau sogar einen historischen Beitrag zur Einigung Europas geleistet.
In politisch unruhigen Zeiten konnten die Massen der Bergleute ihren Einfluss auf den Gang der Geschichte ausüben, so bei den revolutionären Bestrebungen und beim Widerstand gegen die französische Besatzung in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. „Wenn es an der Ruhr brennt, hat der Rhein nicht genügend Wasser, das Feuer zu löschen,“ erklärte 1966 der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Bonner Bundestag Rainer Barzel. Am 11. März 1997 wäre es beinahe soweit gekommen, als 20.000 wütende Bergarbeiter in die damalige Bundeshauptstadt nach Bonn marschierten, den Bundestag belagerten und kurz davor waren, das Parlament zu stürmen. Das Volks wollte die Volksvertreter verprügeln. Derweil forderte der Ältestenrat den damaligen Bundesgrenzschutz (BGS) auf, das Hohe Haus zu schützen. Nach mehreren Tagen einigten sich Bundesregierung und Gewerkschaftsführung darauf, auf „betriebsbedingte Kündigungen“ zu verzichten, gleichzeitig wurde das so genannte Anpassungsgeld für Bergarbeiter, die in den Vorruhestand entlassen wurde, verlängert. Der politische Umsturz wurde abgewendet, aber die Bergarbeiterproteste leisteten ihren Beitrag dazu, dass Helmut Kohl ein Jahr später als Bundeskanzler endlich abgelöst wurde.
Aber die „Steinkohlenkrise“ dauert schon seit sechzig Jahren an, weil nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Verbrauch von Erdöl und Erdgas die Nutzung der Kohle teilweise zurückdrängte. Der Anteil der Kohle am Energieverbrauch sank von 1950 bis 1964 von fast 90 Prozent auf 60 Prozent. Außerdem konnten die enormen Kosten für die Kohleförderung in Deutschland mit der Entwicklung der Weltmarkpreise nicht mithalten, so dass die Bergwerksindustrie nur noch durch staatliche Subventionen überlebte. Bereits am 30. September 1958 musste die unrentabel gewordene Zeche Lieselotte in Bochum geschlossen werden. Danach folgten weitere Grubenanlagen. In den Jahren 1966/67 kam es erneut zu einer „Krise an der Ruhr“ und weitere Zechen mussten schließen, so die Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen-Bismarck, die erst kurz zuvor aufwendig modernisiert worden war. Durch Frühverrentung und die Verlegung von Bergarbeitern von einer geschlossenen zu einer aktiven Zeche, konnte Massenarbeitslosigkeit vermieden werden, allerdings mussten die Bergleute dafür längere Anfahrtswege von und zur Arbeit hinnehmen. Die Bundesregierung förderte damals sogar den Rückgang des Bergbaus durch Stilllegungsprämien. So wurden zwischen 1957 und 1967 rund die Hälfte aller Kohlenminen stillgelegt, mehrere Zulieferbetriebe machten dicht. (3) Die heute noch vorhandenen Zulieferbetriebe liefern über 90 Prozent ihrer Produkte ins Ausland (USA, Türkei, Russland, China etc.), schließlich gilt die deutsche Technik – aufgrund der hierzulande schwierigen Abbaubedingungen – als führend in der Welt.
Sechzig Jahre nach Beginn der Steinkohlekrise ist mit der Kohleförderung nun (endlich) Schluss: Bereits am 15. September 2018 wurde die letzte Regelförderschicht auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop, die einst im Jahre 1863 ihren Betrieb aufgenommen hatte, gefahren. Das Ziel der Förderung von 1,8 Millionen Tonnen Steinkohle in diesem Jahr haben die rund 900 verbliebenen Kumpels bereits erreicht. Nachfolgend findet nur noch die „Restförderung“ statt. (4)
Dieser letzte Pütt im Pott schließt offiziell mit einer großen Feierstunde am 21. Dezember 2018. Dann wird die Düsseldorfer Schickeria mit der Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei Champus und Schnittchen salbungsvollen Reden über das „schwarze Gold“, die Leistungen der Bergarbeiter und die Bedeutung des Bergbaus für die Geschichte Deutschlands lauschen. Die letzte Lore wird aus dem Förderschacht hervorgeholt werden, die mit dicken, glänzenden Steinkohlebrocken prall gefüllt sein wird. Die letzten Kumpels mit rußgeschwärzten Gesichtern und mit „Pippi inne Augen“, wie man im Kohlenpott sagt, beenden ihre letzte Schicht. (5) Zum Schluss wird ein Bergmannsorchester im schicken schwarz-goldenen Habitat mit Barbara-Knopfleiste und Schachthut das „Steiger-Lied“ und die Nationalhymne intonieren. Schicht im Schacht!
Angesichts der so genannten Energiewende, der Abbaubedingungen und der Weltmarktpreise ist ein rentabler Abbau der Steinkohle in Deutschland nicht mehr möglich. Bereits im Februar 2007 verständigte sich die Regierungskoalitionen des Bundes und der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes mit dem Förderunternehmen Ruhrkohle AG (RAG) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in einem Eckpunktepapier darauf, dass die jährlichen Steinkohlesubvention in Milliardenhöhe durch den Bund Ende 2018 auslaufen und die Steinkohlenförderung damit endgültig eingestellt wird. Bereits im Jahr 2014 stellte die Landesregierung NRW ihre Subventionszahlungen ein. Während die Förderkosten 2010 bei 160 € pro Tonne lagen, lag der erzielte Marktpreis im selben Jahr bei lediglich 85,33 € pro Tonne. (6) Bei gleichgebliebenen Förderkosten sank der Weltmarktpreis bis 2017 sogar auf 54 Euro weiter ab. (7) Der Ökonom Prof. Dr. Manuel Frondel vom Wirtschaftsforschungsinstitut RWI-Leipniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen schätzte, dass insgesamt rund 200.000.000.000 Euro an Steuergeldern in die Subvention des deutschen Steinkohlebergbaus geflossen sind. (8) Der Landesverband Bergbau-Betroffener (LVBB) taxierte die Subventionen sogar auf 300 Milliarden Euro. Viel „Kohle“ für die Kohle. Die letzten „Profite“ verbuchte die Bergbaubranche im Jahr 1958!
Die Geschichte des Bergbaus zeigte, dass Rationalisierungsmaßnahmen keine nennenswerten Verbesserungen bringen: So förderte ein Bergmann im Jahr 1900 263 Jahrestonnen, während es ein Kumpel im Jahr 1956 auf 257 Jahrestonnen (Jato) brachte, weil die Erfolge des technischen Fortschritts durch die schwierigeren Förderbedingungen unter Tage aufgefressen wurden. Da jeder Arbeitsplatz in der Steinkohleindustrie mit rund 100.000 Euro jährlich gefördert wurde, meinen Spötter, man hätte stattdessen lieber billige Importkohle aus Kolumbien, Südafrika, Australien oder Amerika importieren und die Kumpels elf bis zwölf Monate im Jahr nach Mallorca über Tage schicken sollen. Aber die in Düsseldorf regierenden Sozialdemokraten wollten, dass die Arbeiter lieber weiterhin malochen gingen, schließlich ist die schmierige SPD eine Arbeiter- und keine Urlauberpartei.
Nachdem das Bergwerk Saar (Ensdorf) als letzter Pütt im Saargebiet bereits am 30. Juni 2012 geschlossen worden war, folgten danach die Zeche Auguste-Victoria in Marl am 18. Dezember 2015 und das Bergwerk Anthrazit (Ibbenbüren) am 17. August 2018. Anthrazit war die letzte Kohlenmine im Ibbenbürener Fördergebiet. Nun soll am 21. Dezember 2018 auch der letzte aktive Pütt im Ruhrgebiet – Prosper-Haniel in Bottrop – ihren Förderbetrieb endgültig einstellen – nie mehr „Glück Auf!“. Dies ist das Ende der Steinkohlenförderung in Deutschland. Zur Zeit arbeiten noch – nach unterschiedlichen Angaben – 900 bis 3.000 Bergleute in dem Bergwerk, das in den letzten Jahren immer rund 2,4 Mio. Tonnen Kohle förderte, die meist bloß zur Stromerzeugung und zum Heizen verbraucht wurde. Noch immer beträgt der Anteil der (Import-)Kohle an der Stromerzeugung ca. 18 Prozent an der Deckung des deutschen Energiebedarfes. Außerdem wurde der wertvolle Naturstoff in der chemischen Industrie zur Herstellung des Süßstoffs Saccharin oder zur Produktion von Farben und Teerprodukten usw. eingesetzt.
Die letzten sechzig Azubis erhielten bereits im Frühjahr 2018 ihren Gesellenbrief und mussten sich in den letzten Monaten als Elektriker, Industriemechaniker oder Mechatroniker einen überirdischen Job in einer anderen Sparte suchen.
Nun beginnt die Ära des „Nachbergbaus“. Aber der sozio-ökonomische Strukturwandel beginnt nicht mit der Schließung der letzten Zeche, vielmehr begann er mit dem Zechensterben in den fünfziger Jahren. Seitdem wurde die Steinkohleförderung Jahr um Jahr „sozialverträglich“ zurückgefahren. Die sozialdemokratische Landesregierung versprach, aus dem Kohlenpott eine HighTech-Area zu machen mit den drei universitären Zentren Duisburg, Bochum und Dortmund. Es soll tatsächlich Wähler gegeben haben, die dies damals geglaubt haben. Stattdessen bedeutete die Schließung der Zechen und Stahlwerke eine schleichende Deindustrialisierung.
Dazu heißt es auf „Wikipedia“:
„Die Gesamtarbeitslosenquote des Ruhrgebiets liegt bei etwa 10,5 % und ist damit unter den regionalen Großräumen die höchste der westdeutschen Bundesländer. Auch die Arbeitslosenquoten einzelner Städte in der Kernzone des Ruhrgebiets gehören zu den höchsten der alten Bundesländer: In Gelsenkirchen beträgt die Arbeitslosenquote 14,2 %, Duisburg 13,3 %, Herne 12,8 %, Essen 12,1 % und Dortmund 11,6 % (alle Arbeitslosenquoten Stand Februar 2017). (…)
Die in Teilen des Ruhrgebiets stattfindende Abwanderung der leistungsfähigeren, gebildeteren Menschen hat ein schwindendes Humanvermögen und das Anwachsen eines Prekariats, Menschen in unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen, zur Folge. Hinzu kommen kommunale Finanznöte sowie Mängel der bisherigen Strukturpolitik. Infolge fehlerhafter Problemanalysen sowie fehlender Schwerpunktbildung blieben die Maßnahmen weitgehend wirkungslos und eine Verbesserung der Strukturen konnte nicht erzielt werden. Der Armutsbericht der Sozialverbände 2016 zeigt, dass die Armutsquote mit 20 Prozent und die Kinderarmutsquote im Ruhrgebiet mit 19 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt. Die Hälfte dieser Kinder lebt im Haushalt eines alleinerziehenden Elternteils. Erstmals lag 2016 auch die Armutsrisikoquote von Rentnern mit 15,6 Prozent über dem Durchschnitt. Schließlich führen Arbeitslosigkeit, Armut, prekäre Lebensverhältnisse, schlechte Wohnquartiere und höhere Immissionsbelastungen zu einer signifikant geringeren Lebenserwartung.
In einem regionalwirtschaftlichen Vergleich deutscher Agglomerationen aus dem Jahr 2008 wurde festgestellt, dass das Ruhrgebiet hinsichtlich der wirtschaftlichen Dynamik und der Beschäftigungsentwicklung gegenüber anderen Agglomerationsräumen deutlich zurückfällt und eine Trendwende nicht in Sicht ist, was zur Folge hat, dass das Image der nordrhein-westfälischen Wirtschaft insgesamt negativ geprägt wird. Obwohl Teile des Ruhrgebiets (vor allem Dortmund und Essen) einen sukzessiven Turnaround erleben und Investitionen und Dienstleistungsbesatz steigen, gehen in anderen Regionen Investitionen, Beschäftigung und sogar der Anteil qualifizierter Arbeitskräfte zurück.“ (9)
Selbst der frühere Bundeswirtschaftsminister und RAG-Aufsichtsratsvorsitzende Werner Müller (SPD) musste 2016 einräumen:
„NRW befindet sich seit Jahren in einem permanenten Strukturwandel. Wir haben mit solchen Prozessen Erfahrung. In den vergangenen 25 Jahren sind alleine durch die Schließung der Bergwerke etwa 500.000 Arbeitsplätze rund um die Kohle weggefallen. Das haben wir ohne soziale Unruhen und größere Verwerfungen geschafft. Darauf kann man stolz sein. (…)
Schauen Sie sich doch mal im Ruhrgebiet um. Viele Straßen, Brücken, Flusswege, Schienen, Häuser und Bahnhöfe sind marode, die Infrastruktur stammt aus den Fünfzigerjahren und wird notdürftig instand gehalten. Es gibt Stadtteile, in die niemand mehr zieht, weil sie heruntergekommen sind, wahre Gettos, die zu Problemzonen werden. Das ist kein gutes Umfeld für Investoren.“ (10)
Mit der Schließung ihrer letzten Zeche stellt sich ausgerechnet für die Ruhrkohle AG das Problem, woher bekommt sie in Zukunft ihre Kohle. Rund 100.000 Rentner und Bergarbeiterwitwen der stillgelegten Zechenbetrieben haben vertragsgemäß Anspruch auf jeweils 2,5 Tonnen Deputatkohle pro Jahr. Ersatzweise können sie sich 306,25 Euro auszahlen lassen, wenn sie keine Kohlenheizung besitzen. Die RAG wollte die Rentner – mit Zustimmung der IG BCE - mit einer größeren Einmalzahlung im Jahr 2019 abfinden, aber über 400 Bergbaupensionäre waren damit nicht einverstanden und klagten 2018 vor Gericht.
Dabei ist der Abbau der Steinkohle ja nur ein Bergbaubereich in NRW; daneben gibt es noch den Abbau der Braunkohle, Sand und Ton im Tagesbetrieb und die Förderung von Erzen, Salz und Schiefer etc..
Steinkohle
Die Geschichte begann im Erdzeitalter des Karbons vor 358,9 bis 298,9 Millionen Jahren (millions years ago - mya). Beim so genannten Hangenberg-Event (359 mya) am Übergang vom Devon zum Karbon wurden 75 Prozent aller Arten ausgerottet. Aber die Natur erholte sich wieder: Auf dem damaligen Großkontinent Laurussia, der auch die Landmasse des heutigen „Europa“ umfasste, lag „Deutschland“ damals am Erdäquator. Hier entwickelte sich ein subtropisches Klima mit einem Sauerstoffgehalt der Luft, der zeitweise auf 35 Prozent stieg (heute: 20,9 Prozent). Urwälder und Sümpfe mit baumartigen Schuppen- und Siegelpflanzen, die einen Stammdurchmesser von 1 Meter erreichten und bis zu 40 m hochwuchsen, sowie 20 m hohe Schachtelhalme besiedelten den Großkontinent. Außerdem entwickelten sich die ersten Samenpflanzen, wie z. B. Riesenfarne, und die ersten Nadelbäume. Gliederfüßler wie die bekannten Trilobiten, Amphibien, die ersten Reptilien und Riesenlibellen bevölkerten die Natur. (11)
Wenn in dieser urwüchsigen Wald-Sumpf-Torf-Landschaft Bäume umfielen oder bei großflächigen Waldbränden abstarben, versanken sie im Sumpf und wurden von Sand im Lauf der Zeit mehrfach überdeckt. Aus ihren Stämmen, Ästen und Blättern entwickelte sich im Laufe der Zeit durch den Prozess der „Inkohlung“ bzw. „Karbonisierung“ Steinkohle: In einer ersten, biochemischen Phase wurden die Kohlenhydrate und Proteine und schließlich die Zellulose und das Lignin der Pflanzen durch Bakterien und Pilze in Huminstoffe umgewandelt, dadurch entstand im Laufe von rund 8.000 Jahren Torf und schließlich Braunkohle. Dabei wurde das Material zunehmend zusammengepresst und entwässert, während der Kohlenstoffanteil der Trockenmasse auf über 60 Prozent anstieg. Danach begann eine zweite, geochemische Phase: Durch die Temperatur- und Druckverhältnisse werden Wasser, Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4) abgegeben. Es entstand im Laufe von rund 10 Millionen Jahre zunächst Steinkohle und später Anthrazit und Graphit. (12)
Bei der Steinkohle beträgt der Kohlenstoffgehalt mindestens 75 Prozent, während der Wassergehalt noch bis an 6,6 Prozent heranreicht, Anthrazit besteht zu mindestens 91,5 Prozent aus Kohlenstoff und maximal 3,75 Prozent Wasser, Graphit ist reiner Kohlenstoff. (13) Als Faustregel gilt: Aus 6 m Torf entstanden 3 m Braunkohle oder schließlich 1 m Steinkohle.
Allerdings ist Steinkohle nicht gleich Steinkohle. Gemäß dem Wasser- bzw. Kohlenstoffgehalt, dem Gehalt an flüchtigen Gasen und dem Brennwert unterscheiden die Bergleute zwischen Flamm-, Gasflamm-, Gas-, Fett-, Ess- und Magerkohle und Anthrazit.
Die Entwicklung des Ruhrgebietes
Durch den Prozess der Karbonisierung entstanden hunderte kohlenhaltiger Schichten, die so genannten Flöze, dazwischen Lagen aus Sandstein, Kalkstein oder Schieferton. Die Flöze begannen unerreichbar in einer Tiefe von rund 5.000 Meter im Untergrund unter der Nordsee und erstreckten sich dann über Norddeutschland bis ins Saarland. Nördlichstes Kohlerevier war der Raum Ibbenbüren zwischen Münster und Osnabrück in Niedersachsen. Weiter südlich lagen das Aachener Revier (Steinkohleabbau bis 1997) und das Ruhrgebiet (bis 2018). Ganz im Süden folgten die Lagestätten an der Saar (bis 2012). Auch in Ostdeutschland gab es mehrere Abbaugebiete: das Zwickau-Oelsnitzer Steinkohlenrevier am Nordrand des Erzgebirges (bis 1978), das Döhlener Becken in Sachsen (bis 1967) und im früheren Oberschlesien (bis 1945). Im Raum Bochum hat das geologische Steinkohlengebirge eine Mächtigkeit von rund 2.600 m, davon entfallen gerademal 100 m auf die verschiedenen Kohleflöze. (14)
Das größte Flöz erstreckte sich über eine Fläche von ca. 10.000 qkm, aber die meisten Flöze gingen auf viel kleinere Urmoore zurück. Insgesamt liegen rund 300 Flöze übereinander, aber abbauwürdig waren nur die rund 75 Flöze bis zu einer Tiefe von über 1.200 Meter, die eine Mächtigkeit von 1 bis 3 Meter aufwiesen, so dass sich deren Abbau ökonomisch lohnte. Die Flöze verlaufen nicht mehr parallel zur Erdoberfläche, sondern sind durch tektonische Prozesse gefaltet worden, sie steigen mal auf und fallen mal ab. Am Südrand des Ruhrgebietes erreichten die Flöze bei Marl die Erdoberfläche und fallen dann nach Norden hin um sechs Grad ab. Hier reichen die Flöze noch bis in eine Tiefe von 3.000 Meter hinab. Auch nach Osten in Richtung Ostwestfalen wanderten die Steinkohlenadern in die Tiefe, so dass in Hamm und Ahlen die Gruben weiter in den Erdboden vorgetrieben wurden als im westlichen Ruhrgebiet. So erreichte die Zeche Sachsen in Hamm-Heessen eine maximale Endteufe von 1.182 Metern, die Zeche Radbod in Hamm-Bockum-Hövel eine Teufe von 1.235 m, die Zeche Westfalen in Ahlen brachte es auf eine Tiefe von 1.330 m und das Verbundbergwerk Ost (vormals Heinrich-Robert) in Hamm-Herringen erreichte 2009 im Abbaugebiet Röttgersbank 331 eine maximale Endteufe von ca. 1.500 m. (15) Den Ruhrgebietsrekord hält der Schacht Grimberg 3 der Zeche Hans Aden in Bergkamen-Weddinghofen mit 1.635 m. Langsam fraß sich die Kohlenförderung von Süd nach Nord und von West nach Ost durchs Ruhrgebiet. Mit der Nord- und Ostwanderung ergab sich die Notwendigkeit, immer tiefer zu graben und verbesserte Techniken beim Schachtbau einzusetzen.
Wann die Steinkohlennutzung im „Kohlenpott“ begann, liegt im Dunkel der Geschichte. Im 12. Jahrhundert verwandten Jäger und Hirten Steinkohle für ihre Lagerfeuer unter freiem Himmel. Dadurch, dass die Flöze am Südrand bis an die Erdoberfläche heranreichten, wurde bereits im Mittelalter im Gebiet Witten-Sprockhövel-Haßlinghausen Kohle in einfachen Grablöchern („Pingen“) Steinkohle abgebaut. Das war noch kein „Bergbau“, sondern lediglich Kohlengräberei. Der erste Kohlenbergbau mit einem senkrechten Schacht ist urkundlich für das Gebiet Dortmund im Jahre 1296 beurkundet. Ab dem Spätmittelalter grub man von den einzelnen Schächten horizontale Stollen in den Boden. Ein solcher Stollen ist für den Schlebusch bei Wetter im Jahr 1552 belegt. Die modernen halbrunden Stollen habe die Größe eines U-Bahn-Schachtes. Die Stollen wiederum führten zu den Streben, die dem natürlichen Verlauf der Flöze folgten. Am Strebvortrieb wurde die Kohle abgebaut.
Ab dem 17. Jahrhundert führte der zunehmende Holzmangel zu einer vermehrten Nutzung von Steinkohle, zumal mit der Entwicklung geschlossener Öfen und Kamine deren erhebliche Rauch- und Rußentwicklung eingedämmt werden konnte. Bis ins 19. Jahrhundert diente die Kohle ausschIießlich zu Heizzwecken. Irgendwann zwischen dem Jahr 1800 und 1850 begann der so genannte „industrielle Kohlenbergbau“, als sich zeitgleich die Nutzung von Dampfmaschinen im Bergbau, in der Textilindustrie und im aufkommenden Eisenbahnwesen immer mehr ausbreitete. Zum Antrieb einer Dampfmaschine reichte die Verwendung von Holz nicht mehr aus, hierfür wurde Steinkohle aufgrund ihres höheren Energiegehaltes benötigt. Gleichzeitig nahmen die Fördermengen rasant zu: Immer mehr Zechen entstanden, die die gesteigerte Nachfrage decken sollten, die wiederum zu immer mehr Bergwerken führte.
Im Ruhrgebiet erstreckte sich das Gebiet der bisherigen Steinkohleförderung auf eine Fläche von 4.000 qkm mit insgesamt etwa 3.200 Kohlenminen im Lauf der Zeit. (16) Laut Bergamt gibt es im gesamten Landesgebiet NRW rund 32.000 alte Schächte der Steinkohlenzechen und Erzbergwerke, von denen eine Gefahr ausgehen könnte. (17)
In Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen machte die Landesregierung verschiedene Angaben zur Zahl der Schächte der Steinkohlebergwerke in ganz NRW. Mal sprach sie von 1.973 (S. 29), mal von 2.563 (S. 27), mal von 9.302 Schächten in ausgewählten Städten (S. 3). (18)
Kreis bzw. kreisfreie Stadt
|
Zahl der Schächte
|
Bielefeld
|
5
|
Bochum
|
23
|
Dortmund
|
82
|
Düren
|
3
|
Duisburg
|
7
|
Ennepe-Ruhr-Kreis
|
974
|
Essen
|
634
|
Euskirchen
|
11
|
Gütersloh
|
14
|
Hagen
|
10
|
Herford
|
1
|
Hochsauerlandkreis
|
7
|
Höxter
|
3
|
Leverkusen
|
1
|
Märkischer Kreis
|
10
|
Mettmann
|
82
|
Minden-Lübbecke
|
21
|
Mülheim an der Ruhr
|
65
|
Münster
|
5
|
Oberbergischer Kreis
|
32
|
Olpe
|
72
|
Rhein-Sieg-Kreis
|
103
|
Siegen-Wittgenstein
|
95
|
Soest
|
5
|
Städteregion Aachen
|
168
|
Unna
|
28
|
Warendorf
|
96
|
Wuppertal
|
6
|
|
2.563
|
Gemäß einer anderen Tabelle aus derselben Quelle liegt die Zahl der Bergschächte innerhalb eines Stadtgebietes oft weit höher, als es die Einwohner vermuten würden:
Stadt
|
Stadtgebiet (qkm)
|
Zahl der Schächte
|
Einwohner
(31.12.2017)
|
Bochum
|
145,66
|
2529
|
365.529
|
Dortmund
|
280,71
|
1209
|
586.600
|
Essen
|
210,34
|
1989
|
583.393
|
Hattingen
|
71,66
|
975
|
54.628
|
Sprockhövel
|
47,94
|
602
|
24.783
|
Witten
|
72,40
|
1998
|
96.565
|
|
|
9302
|
|
Die „Neue Ruhr Zeitung“ nannte im Mai 2018 unter Berufung auf die Bergbehörde noch höhere Zahlen:
„In einer „Hitliste“ der Städte mit den meisten Schächten und Stollen rangieren Revier-Kommunen nicht ganz überraschend weit oben: Allein in Bochum verortet die Bergbehörde über 3.000 Schächte, gefolgt von Essen mit rund 2.500, Witten (rund 2.300), Dortmund (rund 1.500), Hattingen (knapp 1.100) und Sprockhövel (rund 800). NRW-weit hat die Bergbehörde 30000 bergbaubedingte Tagesöffnungen digital erfasst. Insgesamt gehen die Spezialisten von der doppelten Menge verlassener Schacht- und Stollenanlagen aus. Die Auswertung wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen; (…).“ (19)
So reicht ein Teil der Schächte oder Stollen sogar bis an die Erdoberfläche, man spricht dann von „Tagesöffnungen“ oder „Mundlöchern“. Die Bergbaubehörde hat in Zusammenarbeit mit dem Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen“ in Krefeld (De-Greiff-Straße 195) die „Tagesöffnungen“ in einer digitalisierten Datenbank „Fachinformationssystem „Gefährdungspotential des Untergrundes in NRW“ (FIS GDU) registriert, die öffentlich zugänglich ist. (20) In Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage gab die Landesregierung im Dezember 2017 die Zahl der erfassten „Tagesöffnungen“ mal mit 13.885 (Seite 3), mal mit „fast 30.000“ (S. 11) an. (21)
Die Gesamtzahl der „Tagesöffnungen“ hingegen wird auf ca. 60.000 Exemplare geschätzt, so dass also mindestens die Hälfte bis heute noch nicht erfasst wurde. Diese Öffnungen erstrecken sich über ein Gebiet von 600 qkm. „Nach den bisherigen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Ressourcen die weitere Auswertung noch mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird,“ erklärte die Landesregierung. Nur 4.000 „Tagesöffnungen“ werden jährlich kontrolliert, pro Jahr werden ca. 25 saniert. (22)
Ebenso wie bei den Tagesöffnungen gibt es auch bei den unterirdischen Schächten und Stollen beträchtliche Registrierungsdefizite. Bei der RAG kannte man 2006 bei 2.200 Schächten noch nicht die genaue Lage, bis Ende 2017 hat sich diese Zahl auf mindestens 65 Schächte reduziert. (23) Eventuell befindet sich ein alter Stollen in einem Gebiet, das offiziell als „bergfrei“, also ohne jegliche Bergbautätigkeit, gilt.
Das Steinkohlenfeld Donar zwischen Hamm und Drensteinfurt mit einem Vorrat von schätzungsweise 100 Millionen Tonnen Kokskohle wurde zwar in den achtziger Jahren erkundet und dazu ein Schacht „Donar 1“ nördlich von Barsen ausgegraben, aber zu einer Förderung kam es nicht mehr. Das Projekt wurde im Herbst 2012 eingestellt. (24)
Die Zahl der Zechen schlug sich auch in der Zahl der Bergarbeiter und dem Umfang der Kohlenförderung nieder: Anfang des neunzehnten Jahrhunderts (1820) betrug die Zahl der Bergarbeiter 3.556 Mann in über 200 Zechen, die 410.000 Tonnen förderten. Im Jahr 1956 erreichte die Zahl der Kumpels mit 484.986 Mann einen Höchststand, die Kohlenförderung erreichte im Jahr 1940 mit 129,2 Millionen Tonnen einen Rekordwert.
Gemäß der Hierarchie unterschied man zwischen dem „Hauer“ (= einfache Bergarbeiter), den „Strebführer“, „Steiger“, die quasi als Vorarbeiter eingesetzt waren, „Fahrsteiger“ und „Obersteiger“. (25) Hinzu kamen alle möglichen Spezialisten für Maschinentechnik und Elektrik usw.. So musste der „Kübelmajor“ täglich den Toiletteneimer nach oben befördern und entleeren.
Die Herren der Kohle
Jahrzehntelang war es ein Konglomerat aus Ruhrkohle AG (RAG AG), Stahlkonzernen, der langjährigen sozialdemokratischen Landesregierung (Ministerpräsident ist seit dem 27. Juni 2017 Armin Laschet von der CDU), Bergamt und DGB-Gewerkschaften, die die Wirtschafts- und Zechenpolitik mit internen Absprachen dirigierten, Kompromisse schlossen, sich auf Fördermengen, Subventionssummen und Umweltauflagen einigten und das Leben und Schicksal der Menschen im Revier beherrschten. Seit Gründung des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats (RWKS) im Jahr 1893 bis heute hat sich also am Herrschaftsgebahren prinzipiell nichts geändert, obwohl doch zwischenzeitlich mehrfach die Staatsform wechselte. Für die betroffenen Arbeitnehmer waren die Entscheidungen manchmal so finster, wie eine unbeleuchtete Zeche unter Tage bei Nacht, dennoch wurde die herrschende Politik von den Beherrschten immer mitgetragen.
In dem Buch „Geschichte des Bergbaus“ des Deutschen Bergbau-Museums kamen die Autoren Lars Bluma, Michael Farrenkopf und Stefan Prizigoda im Jahr 2018 zu folgender Erkenntnis (S. 209f):
„Erst durch die Ausbildung tragfähiger Bergarbeiterorganisationen und Gewerkschaften sowie deren partieller Anerkennung seit der Weimarer Republik gewannen die Bergarbeiter sukzessive Teilhabe am demokratisch-politischen System der Moderne. Mit der (…) Durchsetzung der Montanmitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland erlangte der Teilhabeprozess nicht nur seine konsequente Fortsetzung. Er wandelte das tripartistische System häufig zu einer Art „Branchenindividualismus“, indem der frühere klassenbezogene Antagonismus von Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch eine weitgehende Interessenkoalition zum Erhalt des Bergbaus auf Basis nationaler Subventionsmuster gegenüber dem Staat im Zeichen der Strukturkrise ab Ende der 1950er Jahre ersetzt wurde.“
Oberste Landesbergbehörde ist die Bezirksregierung Arnsberg – Abteilung 6 „Bergbau und Energie in NRW“ unter Leitung von Friedrich Wilhelm Wagner und Michaela Kirchdörfer. Die Abteilung hat 200 Mitarbeiter und gliedert sich in fünf Dezernate. Für den „Nachbergbau“ ist das Dezernat 63 unter dem Leitenden Bergvermessungsdirektor (LBVD) Andreas Welz zuständig. Die Abteilung hat ihren Sitz nicht in Arnsberg, sondern traditionell in Dortmund (Goebenstraße 25). Handlungsgrundlage der Behörde ist das deutsche Bundesberggesetz (BBerG) vom 13. August 1980. Der damalige Vorsitzende des Landtags-Unterausschusses für Bergsicherheit, Josef Hovenjürgen (CDU), kritisierte im Jahr 2012, das Bergrecht sei insgesamt „ein Umsetzungsrecht ohne wirkliche Transparenz“. (26)
Das Berggesetz ist in seinen Bestimmungen z. T. sehr lasch, was z. B. die Einhaltung von Umweltschutzbestimmungen anbelangt. (27) Jahrzehntelang spielte der Umweltschutz für die Verursacher der Verschmutzung keinerlei Rolle. So stellten das Autorenteam Lars Bluma, Michael Farrenkopf und Stefan Przigoda in ihrem Buch des Deutschen Bergbaumuseums fest:
„Die negativen Folgeerscheinungen des Bergbaus sind bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein mehr oder minder bereitwillig in Kauf genommen worden. (…) Juristische Auseinandersetzungen oder politischen Druck hatte die Montanindustrie lange Jahre kaum zu fürchten. Denn für Politik und Behörden war der Schutz der Industrie als dem Garanten wirtschaftlichen Aufschwungs und Wohlstands bis dahin meist wichtiger als der Schutz der Umwelt gewesen. Gerade das Ruhrgebiet konnte, wie es Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher prägnant formuliert haben, als ein „großräumiges Industrie-Schutzgebiet“ gelten. Bis in die höchstrichterliche Rechtssprechung hinein wurden die hiesigen Umweltbelastungen als ortsüblich normal und demnach als akzeptabel eingestuft.“
Auch die Landespolitik beschäftigt sich dauerhaft mit der Thematik. So hat der Landtag in Düsseldorf einen „Ausschuss für Bergsicherheit“ (A18/1) unter dem Vorsitz von Frank Sundermann (SPD) und dreizehn weiteren Abgeordneten eingerichtet.
Das letzte verbliebene Steinkohleunternehmen ist die Ruhrkohle AG. Die RAG wurde nach Kohlekrise und Zechensterben am 27. November 1968 als Konsolidierungsgesellschaft von 23 deutschen Bergwerksunternehmen gegründet. Damals vertrat sie mit 52 Zechen, 29 Kokereien, 5 Brikettfabriken und 186.000 Mitarbeitern 80 Prozent der Steinkohleförderunternehmen. Die übrigen Kohlenkonzerne (E.on, RWE, ThyssenKrupp Real Estate, Littlefuse, …) haben ihren Bergbaubetrieb längst eingestellt, gelten heute nur noch als „Altbetriebe“ und arbeiten im „Arbeitskreis Altbergbau“ zusammen.
Die RAG hatte bisher ihre Firmenzentrale in Herne, Ende 2017 zog man um auf das Gelände der früheren Zeche Zollverein in Essen-Stoppenberg. Rund 220 Mitarbeiter arbeiten jetzt hier. Ende 2015 hatte die RAG bzw. ihr Tochterunternehmen, die Deutsche Steinkohle AG (DSK), noch 9.631 Mitarbeiter und machte einen Jahresumsatz von 3,074 Milliarden Euro. Amtierender Vorstandvorsitzender ist seit dem 24. Mai 2018 Dipl. Ing. Peter Schrimpf aus Hamm; der Aufsichtsrat wird von dessen Vorgänger Bernd Tönjes geleitet, der wiederum den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Wilhelm Werner Müller (SPD) ablöste. Gemäß der so genannten „Strategie 2020“ wird zum Jahresende 2018 das Bergwerk geschlossen. (28) Trotzdem wird das Unternehmen in Teilen vorerst weiterexistieren.
Ab dem 1. Januar 2019 stellt die RAG ihre bisherigen Wirtschaftsaktivitäten ein, sie lebt dann nur noch von den Dividenden ihrer Beteiligungen an anderen Unternehmen und von den in heutiger Zeit bescheidenen Zinsgewinnen: Ein großes Wirtschaftsunternehmen fast ohne eigene Wirtschaft. Ein Großteil der RAG-Aktivitäten wird an die gleichnamige Stiftung übertragen. Während die RAG selbst in den kommenden Jahrzehnten noch für die Abwicklung alter und neuer Bergschäden verantwortlich ist, kommt die Stiftung für alle anderen Folgeschäden des Bergbaus insbesondere im Bereich der Wasserhaltung auf. Für diese „Ewigkeitsaufgaben“ stehen jährlich erstmal 220 Millionen Euro zur Verfügung.
Angesichts der begrenzten Kapitaldecke kommt es für die RAG derzeit darauf an, die Entsorgung der alten Zechen so billig wie möglich zu gestalten. Dazu muss nicht nur das vorhandene Bergarbeiter-Personal abgebaut, sondern auch die entsprechende (Ersatz-)Technik bereitgestellt und einschlägige Absprachen mit dem Bergamt und der Landesregierung getroffen werden. Zukünftig wird niemand mehr unter Tage arbeiten, daher muss auch die eingesetzte Technik über Tage installiert oder von der Erdoberfläche aus zugänglich sein. Dazu vereinbarte die RAG zu ihrer Rückendeckung mit den Landesregierungen NRW und Saarland am 14. August 2007 einen Erblastenvertrag, die darin festgeschriebenen ökonomischen Prinzipien sind: „Erforderlichkeit“, „Wirtschaftlichkeit“, „Sparsamkeit“ und „Effizienz“. So heißt es in Paragraph 4 Abs. 1:
„Die Vertragsparteien sind sich einig, dass im Zuge der vereinbarten sozialverträglichen Beendigung des subventionierten deutschen Steinkohlenbergbaus und in Ansehung der Gewährleistung der Durchführung der Ewigkeitslasten der Geschäftsbetrieb der RAG-Stiftung an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Effizienz auszurichten und zu betreiben ist. Die Vertragsparteien sind sich einig, dass die Durchführung der Ewigkeitslasten durch die RAG AG gemäß den Grundsätzen der gesetzlichen Erforderlichkeit, der Wirtschaftlichkeit, der Sparsamkeit und der Effizienz erfolgen soll.“ (29)
Von der Einhaltung irgendwelcher Umweltstandards oder der Vermeidung großflächiger Schadensereignisse ist in den neun Paragraphen des Vertrages nirgends die Rede, es heißt lediglich, dass die Beendigung der subventionierten Steinkohleförderung „sozialverträglich“ abgewickelt werden soll und dass es „Altlasten des Bergbaus“ gibt. Verantwortlich für die Unterzeichnung des Vertrages war auf Seiten der Landesregierung NRW die damalige Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, Frau Christa Thoben (CDU) aus Bochum-Wattenscheid.
Der damalige RAG-Vorstandsvorsitzende Bernd Tönjes erklärte 2017 die Unternehmenspolitik:
„Für den Steinkohlebergbau galt es, die Folgen der einschneidenden Veränderungen zuvor sorgfältig zu bedenken. Hierfür war eine betriebswirtschaftliche Optimierungsrechnung erforderlich – unter Berücksichtigung der Lagerstätte und des Personalbedarfs.“
Zur Infrastruktur des Kohlebergbaus im Ruhrgebiet gehört auch dessen wissenschaftliche „Begleitung“: Die Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum unter Leitung des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Jürgen Kretschmann betreibt seit Oktober 2015 ein Forschungszentrum Nachbergbau. (30) Seit 2012/2013 fördert die RAG Stiftung eine Stiftungsprofessur für Geoingenieurwesen und Nachbergbau; die Stelle ist derzeit mit Herrn Prof. Dr. Christian Melchers besetzt. Seit 2013 verfügt die Hochschule über ein Labor für Geotechnik und Nachbergbau, seit Oktober 2015 über ein Forschungszentrum Nachbergbau. Allerdings haben sich nur 70 Studenten für den Masterstudiengang immatrikuliert. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie ist sachlich geboten, aber in welchem Umfang eine solch spezialisierte Hochschule noch unabhängig sein kann, sei dahingestellt.
Mit der letzten Schicht auf Prosper-Haniel ist der Bergbau dann nur noch Teil der Lebensgeschichte der (Früh-)Rentner im Revier, wenn der „Oppa“ bei Familienfesten mal wieder von „früüher“ erzählt. Außerdem werden in Zukunft noch ein paar alte Museen zur Bewahrung der „Industriekultur“ an die Zeit erinnern, als das Ruhrgebiet der „Kohlenpott“ war: Das Deutsche Bergbaumuseum (Bochum) mit dem weithin sichtbaren Förderturm der früheren Zeche Germania aus Dortmund und dem Montanhistorischen Dokumentationszentrum. (31) Hinzu kommen mehrere Industriemuseen des Landesverbandes Westfalen-Lippe (LWL): Zeche Hannover (Bochum-Hordel), Zeche Nachtigall (Witten-Bommern), Zeche Zollern (Dortmund-Bövinghausen) und Zeche Zollverein (Essen-Stoppenberg), die einstmals größte Zeche der Welt, die seit Dezember 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe gezählt wird (32), etc.. Außerdem gibt es noch das Trainingsbergwerk Recklinghausen (TZB) mit seiner 1.200 m langen Anschauungsstrecke. Außerdem haben sich in den letzten Jahren an mehreren Orten Arbeitskreise gebildet, in denen ex-Bergleute die Historie ihrer Zeche bzw. ihres Zechenstandortes selbst aufarbeiten wollen. Mit ihren Publikationen leisten sie einen wertvollen Beitrag zur „Heimatgeschichte von unten“. Nicht zuletzt gab/gibt es im laufenden Jahr mehrere (Wander-)Ausstellungen, die die Geschichte des Bergbaus eher verklären als erklären. Der Rest ist Folklore.
Die Technische Entwicklung des Bergbaus
Seit 1959 wurde der gesamte Bergwerksbetrieb überirdisch von einer Gruben- und Sicherheitswarte aus gesteuert. Hier gingen die Meldungen von tausenden unterirdischen Sensoren ein; ein Teil des Maschinenparks wurde ferngesteuert und alle Betriebsabläufe überwacht. Seit den siebziger Jahren wurde die Arbeit der Grubenwarte durch Computer unterstützt.
Das Grubenfeld einer Zeche wurde „unter Tage“ durch senkrechte Schächte und horizontale Stollen erschlossen. Der Hauptförderschacht hatte einen Durchmesser von 7 bis 10 Metern, hinzu kamen mehrere Belüftungsschächte. Die Schächte ins Grubeninnere wurden zunächst nur mit Holzbohlen verteuft, später wurden zur Umrandung Klinkersteine eingesetzt, um die Standfestigkeit zu erhöhen. Um die Förderkörbe herauf oder herunter zu lassen, wurden über den Schächten zunächst hölzerne Malakowtürme gebaut, ab 1880 errichtete man stählerne Fördergerüste, die zum weithin sichtbaren Objekt für eine moderne Zechenanlage wurden. Manche Fördergerüste waren als Doppelblock mit zwei bis vier Seilscheiben über- und nebeneinander ausgeführt.
Dabei wurde ein Seil über eine kreisrunde Seilscheibe geführt, an der ein „Förderkorb“ hing. Ein solcher Förderkorb war wesentlich größer als ein herkömmlicher Fahrstuhl. So verfügte er über vier Etagen und konnte bis zu 120 Bergleute gleichzeitig aufnehmen. Die Bergleute fuhren mit ihrem „Gezähe“ (= Werkzeug), dem Henkelmann und einer Blechpulle voll Pfefferminztee mit 12 bis 13 Metern pro Sekunde ins Bergwerk ein oder Kohlecontainer wurden hochgezogen. Eine Fahrt auf 1.000 m Tiefe dauerte ca. 2 Minuten. Alle hundert Meter stieg die Umgebungstemperatur um ca. drei Grad an. Früher verwendete man Hanfseile, mit zunehmender Tiefe wurden Stahlseile eingesetzt. Ein solches Stahlseil hatte bei einer Länge von 1.000 m ein Eigengewicht von bis zu 250 Tonnen. Eine oberirdische Fördermaschine mit Elektromotor trieb das Seil an.
Vom senkrechten Hauptförderschacht gingen mehrere horizontale Stollen (neuere Bezeichnung: Strecken) ab, die zu einem Streb führten, wo ein Kohleflöz abgebaut wurde. Das gesamte unterirdische Wegenetz einer einzelnen Zeche summierte sich i. d. R. auf eine Länge von 100 bis 150 km. Angesichts der Vielzahl der Zechen summieren sich die Gänge auf eine stattliche Gesamtstrecke unter Tage.
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts musste die Kohle noch händisch mit Schlegel und Eisen, also Hammer und Meißel, abgetragen werden. Die gekreuzten Werkzeuge bilden noch heute das Symbol für den Bergbau. Ab den zwanziger Jahren kamen Drucklufthämmer zum Einsatz, die mit einem Gewicht von 5 bis 10 kg schwer in der Hand lagen. Im Rahmen der Vollmechanisierung folgte der so genannte Strebbau mit großen, halbautomatischen bzw. ferngesteuerten HighTech-Anlagen wie Kohlenhobel und Schrämmaschine, die auf einer Länge bis zu 450 m und 8 m Breite die Kohle aus den Flözen herausfrästen. Die ersten Kohlenhobel wurden Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre eingeführt. Sie dienen dem Abbau schmaler Flöze. Die erste Schrämmaschine wurde 1959 auf der Zeche Osterfeld in Oberhausen in Betrieb genommen; im Jahr 1975 folgten die ersten Walzenschrämlader auf der Zeche Hugo in Gelsenkirchen-Buer. Solche Ungetüme wie der Eickhoff „SL 750“, der erstmals 2009 auf der Zeche Prosper-Haniel eingesetzt wurde, haben eine Länge von zwölf Metern und ein Gewicht von bis zu 80 Tonnen. Ihre Meißel aus Hartmetall ähneln den Zähnen einer Baggerschaufel, damit kratzen sie die Kohle aus dem Flöz. Je nach den örtlichen Gegebenheiten kann ein solcher Walzenschrämlader monatlich bis zu 1 Million Tonnen Kohle abbauen. Beim Langfrontbau wurde die Steinkohleschicht zwischen zwei parallel verlaufenden Streb-Strecken abgebaut.
Die Stollen bzw. Strebe wurden vermutlich bis Anfang der neunziger Jahre mit Holzstämmen aus Akazie, Eiche oder Buche gegen Einsturz gesichert. Diese hatten ein Gewicht von jeweils 40 bis 80 kg. Zuletzt setzte man nur noch schwere, hydraulische Stahlschilde ein, die 1970 erstmals auf der Zeche Victor-Ickern in Castrop-Rauxel eingeführt wurden. Ein solches Ungetüm war i. d. R. 1,5 m breit, konnte auf eine Höhe zwischen 0,65 bis 4 m eingestellt werden und hatte ein Gewicht von 30 bis 60 Tonnen. Jeder Schild drückte gegen das über ihm liegende Gestein mit einer Setzkraft von bis zu 11.000 Kilonewton, d. h., sie trugen pro Quadratmeter maximal zehn Tonnen. Mehrere Schilde wurden in Reihe hintereinander verbunden und folgten der Abräummaschine automatisch und sicherten so den freigelegten Raum nach oben ab. Man sprach hier auch vom „Schildausbau“. Mit der Abräummaschine wanderten die Schilde wie bei einer Wanderbaustelle langsam nach vorne, so dass hinter dem Schildausbau das Deckgebirge ohne Abstützung blieb und sich langsam absenkte. (33)
Die gewonnene Kohle wurde vom Abraumgebiet zum Füllort am Förderschacht transportiert. Dazu setzte man zunächst „Grubenhunde“ ein, das waren mit Eisenbeschlagene Holzkarren auf Holzgleisen; später schienengebundene Loren aus Metall. Spätestens ab 1785 nutzte man Pferde unterirdisch, wo die armen Tiere die Kohlenkarren ziehen mussten. Zeitweise waren im Ruhrgebiet mehr als 8.000 Grubenpferde tätig. In der Regel handelte es sich um englische Welsh-Ponys oder russische Panjepferde. Sie wurden bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts eingesetzt. Ab Ende des 19. Jahrhundert kamen elektrische Grubenbahnen auf Stahlschienen zum Einsatz. Parallel dazu wurden auch verschiedene Förderbänder (Schüttelrutschen, Mitnehmerrutschen usw.) entwickelt. Am Füllort wurde die Rohkohle in Fördercontainer (Skip) umgekippt und im Hauptförderschacht hochgefahren. Auf solchen Bändern fuhren auch die Hauer zu ihrem Arbeitsort hin und zurück, damit sie den mitunter Kilometer-langen Weg nicht laufen mussten.
Bereits ab dem 14. Jahrhundert begann die Mechanisierung im Steinkohlebergbau, als die ersten Maschinen mit Wasserantrieb eingesetzt wurden. Ab dem 16. Jahrhundert verwendeten die Bergleute hölzerne Saugpumpen. Ab 1809 verfügte die Zeche Vereinigte Sälzer & Neuack in Essen über eine erste Dampfmaschine. Mit der Einführung der Dampfmaschinen konnte man größere Tiefen erschließen, so spricht man ab Mitte des 19. Jahrhunderts vom Tiefbau. Mit der zunehmenden Tiefe der Grubenanlagen stellte sich die technische Notwendigkeit, diese auch ausreichend zu belüften:
In der Berufssprache der Bergleute wird die Luft als „Wetter“ bezeichnet. So verfügt jede Zeche neben dem Förderschacht über mehrere „Wetterschächte“, über die die unterirdischen Gänge belüftet werden. Man unterschied zwischen den Ansaugschächten mit Frischwetter und den Ausziehschächten, die mit ihren Ventilatoren oder Unterdruck-Wasserringpumpen die verbrauchten Abwetter wegblasten. Diese Ventilatoren der Hauptgrubenlüfter waren mit einem Durchmesser von circa 5 Metern die Größten ihrer Art. Sie beförderten pro Minute bis zu 26.000 Liter und sorgten dafür, dass am anderen Ende der Zeche Frischluft automatisch nachströmte. So herrschte unter Tage immer ein leichter Luftzug (max. 6 m/s).
Zusätzlich gab es noch Gasbohrlöcher mit einer Grubengasausblaseinrichtung. Durch das Abgraben der Kohleflöze hatte man die darin gebundenen Kohlegase freigesetzt: Methan, Ethan, Kohlendioxid und Stickstoff. Pro Tonne Steinkohle betrug der Gasgehalt durchschnittlich zwischen 0 und 22 m3. Dieses so genannte Grubengas war ein farb- und geruchloses Gemisch. Der Methangehalt lag bei über 90 Prozent. Im Jahr 2001 summierte sich der Methanausstoß aller deutschen Steinkohlebergwerke auf rund 1.956 Millionen m3.
Methan ist leichter als „Luft“. Es konnte in Verbindung mit Sauerstoff, der den Bergwerksstollen absichtlich über die Belüftungsanlagen erst zugeführt wurde, eine Explosion auslösen. Bei einer Konzentration von 4,4 bis 16,5 Prozent (bei rund 1 Bar und 200 C) sprach man von einer „zündfähigen Grubengaskonzentration“, die bei einer Temperatur von 650 Grad durchzündete. Dazu konnte es durch einen Zündfunken, mechanische Reibung oder elektrostatische Aufladung kommen. Tausende Bergleute kamen durch solche „Schlagwetterexplosionen“ unter Tage ums Leben. Ab 1880 wurden nach und nach Sicherheitslampen eingeführt, die keine offene Flamme mehr hatten. Ab den fünfziger Jahren standen tragbare Gasmessgeräte zur Verfügung, der „Wettermann“ war unter Tage für die ständige Messung der Gaskonzentration zuständig.
Ab den fünfziger Jahren standen auch Kühlmaschinen zur Verfügung, mit der die Hitzeentwicklung unter Tage stellenweise eingedämmt werden konnte. Außerdem mussten die Gruben entwässert werden, um das eindringende Regen- und Oberflächenwasser abzupumpen.
Weil die einzelnen Zechenanlagen sich unterirdisch immer weiter ausbreiteten, wurden irgendwann Durchbrüche zwischen den Gängen der einen Zeche zu den Stollen der benachbarten Zeche gebohrt, so dass Verbundbergwerke (Auguste-Victoria / Blumenthal, Lippe, Ost, West und Lohberg-Osterfeld) entstanden. Theoretisch konnten so die Bergleute in der einen Zeche herunterfahren und im nächsten Pütt wieder herauskommen. Dies könnte bald gravierende Auswirkungen haben: Diese über das gesamte Ruhrgebiet verteilten Bergwerke stehen untereinander in physikalischer Verbindung, das heißt, sie sind eine große geologisch und wasserwirtschaftlich zusammenhängende Landmasse unter Tage. Sollte eine der alten Zechen absaufen, würden auch die anderen Bergwerke – nach dem Prinzip kommunizierender Röhren – nach und nach absaufen, als würde der Kohlenpott quasi auf einer unterirdischen Seenplatte aufschwimmen.
Arbeitsbedingungen unter Tage
Der Beruf des Bergmanns ist ein extrem anstrengender und gefährlicher Beruf. Unter Tage mussten die Kumpels bei einer Temperatur von 30 bis 50 Grad, bis zu 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, einem ständigen Luftzug, jeder Menge Kohlenstaub in der Atemluft und hohem Lärmpegel körperlich schwer arbeiten. Diese „Malooche“ forderte den Kumpels alles ab. Früher mussten die Bergleute mit dem schweren Drucklufthammer stundenlang über dem Kopf arbeiten; manche Flöze waren so schmal, dass man nur im Liegen abbohren konnte. „Da waren Wirbelsäulen, die konnte man röntgenologisch gar nicht mehr auf ein Bild kriegen, so krumm waren die“, meinte der Arzt und WDR-Kabarettist Ludger Stratmann nur halb im Scherz. (34) Der Arbeitstag wurde „Schicht“ genannt, nach den Gesteinsschichten im Berg, die nacheinander abgebaut wurden, später übernahmen auch andere Industriezweige diese Bezeichnung.
Seitdem die Bergarbeiter sich immer tiefer in die Erde buddelten, die Mechanisierung im Bergbau und die geförderten Kohlemenge immer mehr zunahmen so stieg auch die Staubbelastung unter Tage im zwanzigsten Jahrhundert immer mehr an. In der Folge litten viele Bergarbeiter durch das jahrlange einatmen von Kohlen- und Quarzstäuben an einer Berufskrankheit, die als „Staublunge“ (Pneumokoniose bzw. Anthrakosilikose) bekannt wurde. Die erkrankten Bergleute wurden dann in Knappschaftskrankenhäusern behandelt, ohne dass sie wirklich geheilt werden konnten. Außerdem trugen viele Bergleute (früher) Gelenkschäden durch das jahrelange hantieren mit dem Pressluftbohrhammer, viele trugen Hörschäden davon. Nicht wenige alte Bergmänner haben unter ihrer Haut scharfe Schrammen oder Flecke, die von alten, schlecht gereinigten Wunden zeugen.
Ludger Wilp berichtete über seine erste Grubenfahrt im reinsten „Ruhrdeutsch“, einer Urform des „Hochdeutschen“:
„Ich waa selber ma da unten. Mein Patenonkel war damals noch auf Pluto in Wanne-Eickel Obersteiger und da hatter uns ma mitgenommn.
Ärßma musse die ganzen Klamotten anziehn. Dann siehße genauso aus wien Berchmann. Krisse auch ne Gasmaske fürn Notfall annen Gürtel und ne Lampe für annen Helm dranzumachen, weil datta unten ja nicht so voll beleuchtet is, wie in deine Küche zum Beispiel.
Wennze dann fertich bis, kannet losgehn. Ärßma inn Fahstuhl. (…) Der Fahstuhl heißt hier ja auch Förderkorb, weil damit die ganze Kohle nach obn gefördert wird. Wir dann ärßma da rein und dann gehtet ab nach untn, abba mit Schmackes, sach ich dich. Da pfeifen dich ganz gewaltig die Ohrn. Immerhin mußtenwa ja so schnell wie möglich nach untn, weil, wenn der Förderkorb so langsam is, dann is doch eher wieder Schicht alz bisser angekommen is. Dann würdn die Kumpels ja alle nur den ganzen Tach am Fahrstuhl fahrn dran sein und hättn bis heute noch kein Stücksken Kohle gefördert.
Auf 800 Meter Tiefe hielt der Förderkorb plötzlich an und wir konntn aussteigen.
Kohle? Fehlanzeige. Dat sah hier aus wie auffem Bahnhof vorn Eingang zum Tauerntunnel. Nur die Züge warn viel kleiner. Für Personen hatten die aber nur ganz wenich Waggons. Wir dann in son Ding rein und ab die Post. Hömma, nich ma Fenster zum rauskuckn warn da drin. Na, sehen konntnwa sowieso nix, weil ja allet stockduster war, wennze man ma von so einzelne, kleine Funzeln absiehß. Hier unten kannze ja theoretisch von Kamen bis nach Duisburch mittn Zuch fahrn, ohne dattat hier obn einer merkt. Nur, datte total schwatt bis, verrät dich dann immer woe gerade herkommen tus.
Wir dann angekommen und immer noch nix vonne Kohle zu sehen, obwohl alles schwatt war.
Keine Kohle, aber dicke Rohre hamse hier und viele Kabels und son Gedöns... und Telefon hamse, wahrscheinlich um die Alte zu Hause anzurufen, op dat Mittachessen schon feddich is. (…)
Und warm war dat hier. Konntesse kein Fenster aufmachen, wie Anton immer sachte. Hamse total vergessen die Fenster reinzumachen, dat man ma lüften kann, damitta der Mief abzieht.
Gut, die Luft hamse ja dann über die dicken Rohre reingebracht.
Wir also nach links rübba, anne Maschine kuckn. Jau, die Maschine schrappte da die ganze Kohle vonne Wand. Die Kohle fiel dann auffn Fließband und weck warse. Die kommt dann in die Loren und diese dann übern Förderkorb und nachn paar Hunnertmillion Jahrn endlich wieder obn anne frische Luft.
Dann krichte ich aba auch ma son richtigen Abbauhammer inne Fingers gedrückt. Mann, war dat schwer, mit sonnem Preßlufthammer die Kohle abzubauen, und ich dachte an die Kumpels, die dat früher ewich so machen mußten. Zum Glück machte ja hier getz die meiste Arbeit diese große Schrämmaschine. Heute hat man noch modernere Maschinen, die die Kohle noch schneller abbauen tun. Heute ham die auch so Schilde, die mitti Maschine mitwandern und wo dahinter gleich wieder alles einbrechen tut, datti heute keine Säulenhalle mehr ham, da untn. (…)
Mit Schmackes ginget na obn und dann hießet saubermachen. Mann, dafür brauchße Stunden. Darfße ja über keinen lachen, musse ärßma inn Spiegel kucken, wiee selba aussehen tus.“ (35)
Weil die Arbeit der Bergleute gefährlich und die Arbeitsbedingungen extrem waren, war unter Tage jeder auf jeden angewiesen. Schließlich ist der Betrieb einer Zechenanlage ein technisch aufwendiger Vorgang, der zahlreiche Spezialisten erforderte. (36) Der Fehler eines Einzelnen konnte das Leben aller gefährden. So musste jeder auf jeden aufpassen. Dies galt umso mehr, da so mancher Kumpel seinen Sohn auf dem Pütt untergebracht hatte, weil der Döskopp wegen Unfähigkeit in einem „normalen“ Handwerksbetrieb oder Einzelhandel niemals einen Ausbildungsplatz bekommen hätte.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts rekrutierte man zunächst junge Männer aus den damaligen deutschen Ostgebieten (Schlesien, Pommern sowie Ostpreußen) und (Ruhr-)Polen, ab Mitte des 20. Jahrhunderts kamen Gastarbeiter aus allen möglichen Ländern Europas und Nordafrikas. Anders als heute, bereitete die Integration der damaligen Generation der Arbeitsmigranten keine nennenswerten Komplikationen. Die „Heilige Barbara von Nikomedien“, die Schutzpatronin der Bergleute, stammte ja selbst aus dem türkischen İzmit. In den fünfziger und sechziger Jahren nahm so manche Bergarbeiterfrau ein, zwei Gastarbeiter als Untermieter und Kostgänger auf, um ein Zubrot dazu zu verdienen. So waren die Zechen auch immer Sozialstationen, die jedem ein Auskommen sicherten.
Hinzu kamen tausende von Zwangsarbeitern vor allem aus Russland, die im Zweiten Weltkrieg als Arbeitssklaven die deutschen Kumpels ersetzen mussten, die als Soldaten auf den Schlachtfeldern verbluteten. Gegen Kriegsende stellten die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ungefähr ein Drittel der Belegschaft. Erst nach der Jahrtausendwende später erhielten die überlebenden Arbeitssklaven nur eine marginale Entschädigung für das erlittene Unrecht durch die am 12. August 2000 per Bundesgesetz gegründete Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ). (37)
Zu der Geschichte des Bergbaus gehörte auch, dass man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kinder zum Kohlenabbau einsetzte, erst ab 2009 durften auch Frauen den Beruf des Berg-„Mannes“ ergreifen; nur wenige Frauen aus Bergarbeiterfamilien machten davon Gebrauch. Vereinzelt arbeiteten Frauen in anderen Berufen unter Tage, z. B. als Vermessungstechnikerin.
Aufgrund der notwendigen gegenseitigen Hilfsbereitschaft entwickelten die Kumpels eine Solidarität untereinander, die ausgesprochen groß war und den Kohlenpott und seine Kultur lange Zeit prägte. So gründeten die privilegierten Bergarbeiter ab der Mitte des 13. Jahrhunderts die ersten Knappschaftsvereine, um im Krankheitsfall versorgt zu sein. Diese unterstützten im Unglücksfall auch die Witwen und Waisen. Somit ist das Knappschaftswesen der frühe Vorläufer der modernen Sozialversicherung.
Zechenunglücke
Der Mensch ist zwar ein alter Höhlenbewohner, aber dennoch nicht für das Leben unter Tage gemacht. Durch seine Graberei beschwörte er Gefahren für sich und andere herauf. Nur mit modernster Messtechnik konnten diese Gefahren schließlich eingeschätzt und kontrolliert werden, und es bedurfte eines enormen technischen Aufwands, um die unterirdischen Arbeiten zu verrichten.
Nach den geltenden Bestimmungen galt ein Arbeitsunfall auf einer Zeche dann als „Unglück“, wenn mindestens zwei Kumpels ums Leben kamen oder mindestens drei verletzt wurden. Mehrere größere Grubenunglücke haben zahlreiche Todesopfer gefordert:
- Schießen: Ab dem Jahr 1700 begann man damit, unterirdischen Sprengungen vorzunehmen, um an die Kohle heranzukommen. Der Bergmann sprach hier vom „Schießen“. Zunächst verwendete man einfaches Schwarzpulver, später sichere Wettersprengstoffen (Roburit B, Sekurit B, Wasagit B etc.) und elektrische Sicherheitszünder. Zunächst wurden Löcher gebohrt und das Sprengmaterial dann eingefüllt. Manchmal waren die Bohrlöcher zu kurz, dann sprach man von einem „Knappschuss“ und so musste die Sprengung durch den „Schießmeister“ wiederholt werden. Gelegentlich führte dieses „Schießen“ zu Unfällen oder Unglücken. (38)
- Gebirgsschlag: „Vor der Hacke ist es duster“, sagte der Bergmann und meint damit, dass er nicht wusste, ob er mit dem nächsten Schlag Kohle, brüchiges Gestein oder eine Methangasblase auftat. Im Gestein knirschte und knackte es durch den Gebirgsdruck ständig. Hinzu kamen Spannungen im Gestein, die sich durch tektonische Bewegungen und Faltungen aufgestaucht hatten. Plötzlich konnten Steine herunterfallen, Kohlenschichten um mehrere Meter nach vorne springen oder ganze Stollen einstürzen. Der Bergmann sprach dann vom „Gebirgsschlag“. Um diese Gefahr zu erkennen, wurden Löcher bis zu 20 m tief ins Gestein gebohrt. Das herausgeholte Gestein wurde „Bohrklein“ genannt. Nahm dessen Pulverisierungsgrad mit zunehmender Bohrtiefe zu, bestand Gefahr. Mit Ankern, langen Holznägeln und Spritzbeton versuchte man, das Problem in den Griff zu bekommen.
- Schlagwetterexplosionen: Mit der Entwicklung des Tiefenbergbaus ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam eine weitere Gefahr hinzu: Künstliche Sprengungen konnten eine Sekundärexplosion der Grubengase auslösen. Das Grubengas ist ein Gemisch u. a. aus Methan und Sauerstoff. Sind beide in einem bestimmten Verhältnis zueinander vorhanden, konnte ein Funke eine so genannte „Schlagwetterexplosion“ auslösen.
Um die Folgen einer Schlagwetterexplosion einzudämmen. legte man seit 1962 Wassertrogsperren an: Unter die Decke der Stollen wurden pro Zeche 15.000 bis 20.000 Plastiktröge gehängt, die mit Wasser gefüllt waren. Da bei jeder Explosion die Druckwelle der Flamme vorauseilt, wären die Tröge bei einer Explosion zerborsten und hätten innerhalb von 200 Millisekunden ihre Wassermassen als feinen Nebel freigesetzt und dass im Entstehen begriffene Feuer - hoffentlich - erstickt.
- Kohlenstaubexplosion: Eine Schlagwetterexplosion konnte dann wiederum eine noch größere Kohlenstaubexplosion auslösen. Kohlenstaub breitet sich in einer Zeche überall aus. Solange er irgendwo rumliegt, ist er ungefährlich. Wenn er aber durch einen Luftzug aufgewirbelt wird, kann es bei einer dichten Wolke von 100 bis 300 Gramm Kohlenstaub pro Kubikmeter Luft und dem Vorhandensein einer Zündquelle zu einer Explosion kommen.
Zunächst machten die abergläubischen Bergleute irgendwelche erbosten „Berggeister“ für solche Unglücke verantwortlich, erst mit der weiteren wissenschaftlich-technischen Entwicklung begann man zu verstehen, welche physikalisch-chemischen Hintergründe die Zechenunglücke hatte.
- Grubenbrände: Bei der ein oder anderen Explosion kam es zu einem unterirdischen Grubenbrand, der mitunter nicht mehr gelöscht werden konnte. Dann konnten nur noch die Zugänge zu dem betroffenen Stollenbereich zugemauert werden, um dem Feuer den notwendigen Sauerstoff zu entziehen. Dabei wurden auch die vor Ort tätigen (toten) Bergleute, die nicht mehr gerettet werden konnten, mit eingemauert. In den Zechensiedlungen mit ihren Ein- und Zweifamilienhäusern kam es so gelegentlich vor, dass ein Bergmann, der als Mauer auf dem Pütt arbeitete, seinen Nachbarn einmauern und anschließend dessen Ehefrau mit ihren Kindern unter die Augen treten musste. Zwar sind Bergarbeiter hartgesottene Typen, aber manchmal reichte die Arbeit bis an die Grenzen der erträglichen Nervenbelastung, das lastete dann viele Jahre schwer auf der Seele des Maurers.
Später setzte man stattdessen bei Grubenbränden auf die so genannte Inertisierung: Der betroffenen Abbaubereich wurde abgedämmt und dann mit Stickstoff vollgepumpt, das das Feuer erstickte. Das Verfahren musste erstmals 1974 auf der Zeche Osterfeld (Oberhausen) eingesetzt werden. In den folgenden zehn Jahren wurde das Verfahren noch 74-mal angewendet.
Besonders gefährlich waren die „verdeckten Grubenbrände“. Diese entwickelten sich durch Selbstentzündung in alten, verlassenen Streben. Sie konnten erst verspätet entdeckt und lokalisiert werden, setzen aber giftige oder explosive Gase wie z. B. Wasserstoff frei.
- Zeche Radbod: Am 12. November 1908 kam es um 4.20 Uhr auf der Zeche Radbod in Bockum-Hövel (jetzt: Hamm) während der Nachtschicht zu einem schweren Grubenunglück, bei dem 348 Kumpels starben - erschlagen, erstickt, ersoffen, verblutet oder verbrand: Jacob Adamsky, Julius Badwa, Johann Capuder, Christoph Doerr, …, Philipp Zuber.
Der Hauer Aloys Finkstein, geborener Pinkava aus der Gegend von Bad Reinerz (Oberschlesien), einer der 47 Überlebenden, berichtete:
„Das spürten wir alle plötzlich einen gewaltigen Schlag, der uns allesamt zu Boden warf und die Lampen, die wir aufgehängt hatten, zertrümmerte. Ein furchtbares Dröhnen folgte, für Sekunden waren wir wie betäubt. Erst das Brechen, Splittern, Krachen und das Aufschlagen schwerer Gegenstände rief uns zu Bewusstsein zurück. Um uns dunkle Nacht. Nur immerfort das Krachen, als ob Feuerwerkskörper explodierten. (…)
Wir tappten uns an der Wasserleitung, die auch stellenweise auseinandergerissen war, aus dem Querschlag durch den Abbau zum Füllort der dritten Sohle. Dabei kamen wir auch am Pferdestall vorbei, der lichterloh brannte. Ein furchtbarer, dichter Qualm hinderte uns am Atmen, in höchster Eile und voller Schrecken stürzten wir zum Förderschacht. Auf dem Weg züngelten uns die Flammen von allen Seiten ins Gesicht. Abe wir mussten durch, nur vom Förderkorb konnte unsere Rettung kommen.
Am Füllort: Auf einem Schlachtfeld kann es nicht schlimmer aussehen. Wir stolperten über zwei, drei Körper. Waren es Tote oder Schwerverletzte? Wir konnten uns nicht darum kümmern, hinter uns züngelten Flammen und tönten fortgesetzt Detonationen. Im Schacht polterte und rumorte es. Herzzerfleischende Schreie der Schwerverwundeten, Wimmer und Stöhnen der mit dem Tode ringenden. (…)
Bis in die unmittelbare Nähe der Ladebühne ein Flammenmeer. Und darin Kameraden, die vor Schmerz brüllten. Die Kleider brannten, und fast irrsinnig vor Pein rannten die Männer erst recht in die Flammen. (…) Voller Entsetzen eilte ich zu meinen Kameraden zurück, die mittlerweile durch Anschlagen dringend um Herablassen des Korbes gebeten hatten.
Endlich, nach langen, langen und bangen Sekunden, kam er. Wir packten die drei nächstliegenden Verwundeten, warfen sie auf den Korb, sprangen nach und gaben das Zeichen zur Auffahrt.“
Bis heute ist ungeklärt, durch was die Katastrophe ausgelöst wurde. Die Angabe von „Wikipedia“, die Ursache sei eine durch eine defekte Benzinsicherheitslampe ausgelöste Schlagwetterexplosion gewesen, ist vermutlich falsch. (39) Nach Angaben der Autoren Olaf Schmidt-Rutsch und Ingrid Telsemeyer („Die Radbod-Katastrophe – Berichte und Zeichnungen des Einfahrers Moritz Wilhelm“) wurde das Unglück wahrscheinlich durch eine außer Kontrolle geratene Abbauexplosion auf Flöz 6 ausgelöst. Um 17.30 Uhr des Unglückstages wurden alle Rettungsversuche eingestellt. Um 18.00 Uhr stellte man die Belüftung der Grube ein. Ab 18.30 Uhr wurde das Wasser des Flusses Lippe (ca. 300.000 m3) in den Pütt umgeleitet, um die unterirdischen Brände zu löschen. Am Unglückstag fand – zufälliger Weise – eine Sitzung des Reichstages zu den Problemen im Bergbau statt. Als die Nachrichten aus Bockum-Hövel in Berlin eintrafen, erklärte der Abgeordnete Johannes Brejski von der polnischen Fraktion: „Die Grubenverwaltung hat den Bergleuten, welche noch in der Grube waren und vielleicht noch lebten, die Luft durch Schließung der Wetterführung entzogen, hat sie mit einem Schlage getötet.“ (40)
Nur 36 Tote konnten am Unglückstag geborgen werden. Die Bergung der weiteren, zum Teil skelettierten Leichen und Leichenteile zog sich ungefähr ein Jahr hin. Die Verunglückten wurden – nach und nach – in einem Massengrab in der Nähe der Sankt-Pankratius-Kirche beigesetzt. Zwölf Tote konnten bis zur Schließung der Zeche im Jahr 1990 nie gefunden und geborgen werden.
Wie erst Jahre später herauskam, hatte die Zechenleitung durch ihr Profitstreben im Vorfeld des Unglücks zu der Katastrophe beigetragen. Die Betreibergesellschaft Trier mbH Hamm war 1905 mit allzu wenig Eigenkapital gegründet worden. Kapitaleigner waren der damalige Grubendirektor Bergassessor Heinrich Janssen aus Hamm, der Bankier Wilhelm Laupenmühlen aus Berlin-Heiligensee sowie der Politiker und Konsul Wilhelm Josef Valentin Rautenstrauch aus Trier-Kürenz. Aufgrund der prekären finanziellen Situation wollte man möglichst schnell einen Schacht teufen, um an die Steinkohlenflöze heranzukommen und Profite zu erwirtschaften. Schon nach fünfzehn Monaten begann man mit der Kohleförderung. Allerdings fehlte bis zum Mai 1908 der Hauptventilator der Belüftungsanlage, so dass einzelne Grubenbereiche längere Zeit nicht ausreichend belüftet wurden. Bereits am 29. Oktober 1908 kam es zu einer Schlagwetterexplosion mit mehreren Verletzten. Ab dem 21. Oktober 1908 erhöhte die Bergwerksgesellschaft die tägliche Fördermenge um das Sechsfache, bis es schließlich zur Katastrophe kam. Die Verantwortlichen mussten sich nie vor Gericht verantworten, allerdings kam Bergwerksdirektor Janssen 1919 unter ungeklärten Umständen zu Tode; ein Jahr später wurde seine finanziell klamme Bergwerksgesellschaft vom Köln-Neuessener-Bergwerksverein übernommen. Heutzutage bemüht sich der „Geschichtskreis Zeche Radbod“ um den ex-Bergmann Heinz Assmann um eine Aufklärung der damaligen Vorkommnisse und Hintergründe.
- Zeche Monopol: Noch mehr Opfer forderte das Grubenunglück auf der Zeche Monopol, Schachtanlage Grimberg 3/4 in Bergkamen-Weddinghofen am 20. Februar 1946 um 12.05 Uhr in 900 m Tiefe. Ein Funke entzündete ein Luft-Methan-Gasgemisch, durch dessen Explosion wurde wiederum eine Kohlenstaubexplosion ausgelöst, die so heftig war, dass selbst die technischen Anlagen über Tage zerstört wurden. Insgesamt starben - nach unterschiedlichen Angaben - 405 bis 466 Kumpels. Die meisten Leichen konnten nicht geborgen werden und blieben in der Grube. Noch in den sechziger Jahren konnte man Reste der getöteten Kumpels bergen. Nach dem Unglück stellte man fest, dass die meisten Bergleute an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung verstorben waren, dabei gab bereits seit den dreißiger Jahren funktionierende CO-Filter-Selbstretter (FSR), mit denen man die Bergleute hätte ausrüsten können.
Die Rettungsmaßnahmen blieben dürftig. So kurz nach Kriegsende fehlten Lastwagen, die Rettungsgeräte hätten heranschaffen können. Hinzu kamen schlechte Straßenverhältnisse. Lediglich 64 bis 67 Bergleute konnten lebend gerettet werden. Vermutlich waren Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten worden, obwohl die Kohle dieses Bergwerks bekanntlich einen hohen Methangasgehalt hatte. Bereits im September 1944 war es auf demselben Pütt zu einer Explosion gekommen, bei der 107 Bergleute, meist russische Zwangsarbeiter, ums Leben gekommen waren. (41) Einer der Überlebenden, Friedrich Hägerling, wurde nach dem Unglück von der britischen Militärverwaltung angeklagt, er hätte nur deshalb überlebt, weil er sich vor der Arbeit gedrückt hätte. Erst nach seiner detaillierten Zeugenaussage wurde Hägerling freigesprochen. (42)
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges standen moderne Gasmessgeräte zur Verfügung, so dass die chemische Luftkonzentration kontinuierlich unter Tage überwacht wurden und man entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten konnte. Wurde in einem Streb zuviel Methan freigesetzt, stellte man dort vorübergehend die Abbauarbeiten ein, bis sich der Gasgehalt normalisiert hatte. So bekam man die Schlagwettergefahr halbwegs unter Kontrolle.
Neben den großen Unglücken gab es immer wieder kleinere Unfälle mit Todesfolge. Nur ein Beispiel unter vielen: Am 27. März 1965 riss das Seil des Förderkorbes auf der Zeche Sachsen in Hamm-Heessen. Zehn Bergleute starben. Die letzte Minute in ihrem Leben muss schrecklich gewesen sein, als sie schneller und schneller in die Tiefe sausten – bis zum Aufprall. Durch diesen Absturz wurden mehrere Leitern im Förderschacht verbogen. Mehrere Bergleute im Gegenkorb hingen im Schacht fest, bis sich – nach sechs langen Stunden voller Angst – ein Kumpel zu ihnen abseilen konnte. Die Kumpels konnten daraufhin mit schlotternden Knien aus ihrem Förderkorb in einen Stollen klettern; über einen Nebenschacht gelang schließlich die Selbstrettung. (43)
Bei einem Grubenunglück kommen die erfahrenen und besonders ausgebildeten Bergleute der Grubenwehren mit ihren Atemschutzgeräten, wie dem seit 2003 eingesetzten „PSS BG 4 Plus“, Feuerschutzanzügen und Schleifkörben zur Verwundetenbergung zum Einsatz. Feuerwehrleute sind für einen Einsatz unter Tage nicht hinreichend ausgebildet und ausgerüstet. So haben die Atemschutzgeräte der Grubenwehr eine andere Konstruktion als die Luftflaschen der Feuerwehr, denn sie besitzen ein System zur Kühlung der Atemluft. Die Filter-Selbstretter, die jeder Bergmann mit sich führen muss, sind für eine Einsatzzeit von 90 Minuten ausgelegt. Als besonderes Rettungsgerät zur Befreiung von Kumpels, die sich in einen Hohlraum retten konnten, kommt heutzutage die so genannte Dahlbuschbombe (2,05 m lang, 38,5 cm Durchmesser) zum Einsatz, wenn der Hohlraum nicht zu tief liegt. Sie wurde im Mai 1955 auf der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen-Rotthausen spontan entwickelt, um drei eingeschlossene Bergleute zu retten. Später kam sie auch bei dem Unglück in der Eisenerzgrube „Mathilde“ in Lengede (November 1963) zum Einsatz und rettete elf Minenarbeiter. Ergänzt wurden die Grubenwehren durch die Gasschutzwehren der Kokereien. Die letzte Grubenwehr soll 2021 aufgelöst werden, wenn die Raub- und Sanierungsarbeiten auf der Zeche Prosper-Haniel unter Tage abgeschlossen sind. „Sicherheit geht vor Produktion“, lautete seit 1991 einer der Grundsätze der RAG.
Rückbau der Industrieruinen
Die RAG-Tochter Montan Immobilien GmbH (MI) nennt rund tausend Gebäude auf einer Gesamtfläche von über 10.000 ha ihr Eigentum. Die oberirdischen Industrieanlagen müssen weitgehend zurückgebaut werden, der Boden auf den Zechengeländen saniert werden. Dies gilt insbesondere für die Kokereien. Nach einer Zechenschließung müssen die unterirdischen Fördergänge – soweit möglich – abgedichtet werden, dazu reicht es nicht, auf den alten Zechenschacht einfach eine Abdeckplatte aus Stahlbeton zu platzieren. Hinzu kommen rund 7.400 Tagesöffnungen, wo früher Kohle in der Nähe zur Erdoberfläche abgebaut wurde. So werden auf Prosper-Haniel ab Januar 2019 rund 650 ex-Bergleute etwa zwei bis drei Jahre lang mit den Aufräum-, Sanierungs- und Stillsetzungsarbeiten weiterhin beschäftigt sein.
Mehrere hunderttausend Kubikmeter umbauter Raum müssen oberirdisch gesprengt oder abgetragen werden. (44) Unter Tage muss der alte, vorhandene Maschinenpark soweit möglich und lohnemswert abgebaut werden. Was „geraubt“ werden kann, wird „geraubt“, so nennen die Bergleute den Ausbau der Maschinen aus dem Betriebsbereich Der Rest - im Millionenwert - verbleibt vielfach an seinem Ort; andernfalls müsste er aufwendig zerlegt und nach oben befördert werden, wo er aber nicht mehr gebraucht wird oder exportiert werden könnte. Danach müssen die Schächte dauerhaft und wartungsfrei „verwahrt“ werden; als Füllmaterial eignen sich Beton, Schotter, Asphalt, Bitumen oder Kies etc.. Die Verfüllung alter Stollen wurde bis Mitte der neunziger Jahre durch Druckluft bewerkstelligt, so dass man hier vom „Blasversatz“ sprach. Andernfalls kann es zu einem Schachtverbruch kommen, oder es sammelt sich Grubengas in Hohlräumen in unzureichend verfüllten Schachtanlagen. So gehen Experten davon aus, dass es im Ruhrgebiet über tausend alte Schächte gibt, die nur unzureichend abgesichert sind. (45)
Diese Arbeiten dauern ein oder mehrere Jahre. Erst nach Abschluss der Arbeiten, kann die Bergaufsicht die Überwachung der früheren Zeche einstellen. Dann wird das frühere Zechengelände am liebsten als Sukzessionsfläche bzw. grüne Wiese mit neu gepflanzten Bäumen und Sträuchern der Allgemeinheit übergeben. Dies hat weniger mit Umweltschutz zu tun, vielmehr gehen von einer „grünen Wiese“ die wenigstens Gefahren für die Umwelt und das Bergbauunternehmen aus. Immerhin pflanzt die RAG schonmal mehrere zehntausend Pflanzen und Bäume auf ihr altes Zechengelände und verwandelt eine frühere Industriebrache so in ein attraktives Naturschutz- und Naherholungsgebiet.
Während des aktiven Zechenbetriebes wurde das „taube Felsgestein“ zum Teil wieder unter Tage in den alten Stollen verfüllt, als Baumaterial verkauft oder am Rande des Zechengeländes zu Halden aufgeschüttet, die teilweise über 100 m hoch sind. Wenn die Zeche schließt, bleiben diese Abraumhalden als künstliche Hügel zurück und werden begrünt und mit einem künstlerischen Haldenzeichen versehen.
Bergschäden
- Bodensenkungen und Bodenhebungen
Der Boden im Ruhrgebiet ist durchlöchert wie ein „schweizer Käse“. Früher hat man sich wie blöde durch den Berg gebuddelt, ohne an die Folgen zu denken. Erst seit Verabschiedung des Preußischen Berggesetzes im Jahre 1865 sind die Bergbaubetriebe verpflichtet, ihre Abraumgebiete zu kartografieren. Aber in den Kriegszeiten und Nachkriegszeiten hat man sich nicht immer und überall an diese gesetzliche Vorschrift gehalten, so dass das bei den Bergämtern vorhandene Kartenmaterial unzureichend und ungenau ist. Außerdem vergleicht man heute die alten Karten der Preußischen Landesaufnahme aus dem Jahr 1892 mit den aktuellen Gegebenheiten. Hinzu kommen die noch vorhandenen Akten und Bücher der Zechenanlagen. Aber rund 10 Prozent dieser Karten, Risszeichnungen und Dokumente wurde bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg vernichtet. Außerdem greift man auf die britischen Luftbildaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg zurück, die „normalerweise“ zu Identifizierung von Bombenblindgängern genutzt werden. Insgesamt handelt es sich um rund 130.000 Karten und Aufrisse.
Zur Vermessung der Erdoberfläche bzw. „Geometrisches Monitoring“ (GeoMon) setzt man heute auf Radarsatelliten, GPS-Daten und eine 4-D-Datenbank. Erst seit dem Zechensterben in den 1960er Jahren macht man sich Gedanken über die notwenige Nachsorge.
„Die Städte in NRW sind zu zwei Dritteln vom Bergbau untergraben,“ erklärte dazu Andreas Nörten vom Bergamt des Bezirks Arnsberg. (46) Durch den jahrhundertelangen Kohlenabbau kommt es im gesamten Ruhrgebiet seit Mitte des 19. Jahrhundert zu einer großflächigen Absenkung des Höhenniveaus. Durch die Ausbeutung der Kohleschichten bleibt ein Hohlraum zurück, in das – nach und nach – das obere Gestein einbricht, das wiederum an seiner ursprünglichen Stelle eine Lücke hinterlässt, in die dann wiederum weiteres Gestein von oben herabfällt. So senkt sich allmählich das gesamte Deckgestein durch sein Eigengewicht. Dieser Prozess dauert 5 bis zehn Jahre und wird als „Konvergieren“ bezeichnet. Das Ausmaß der Bergsenkung macht ungefähr 90 Prozent der früheren Flözdicke aus, ist aber räumlich ausgedehnter als der ursprüngliche Flözbereich.
Die Senkungsgebiete haben eine Ausdehnung von etwa 750 qkm. Nach offiziellen Angaben ist das ganze Ruhrgebiet im Durchschnitt um 3 m abgesackt, (47) in einigen Gebieten hat sich die Erdoberfläche bzw. der Boden sogar um bis zu 30 m gesenkt. Dreißig Meter, das entspricht einem 12-stöckigen Wohnhaus; niemand würde da freiwillig runterfallen wollen, aber wenn um einen herum langsam alles mit absackt, dann merkt man nichts davon. Im Bereich der Zechen Ewald und Consolidation (beide Gelsenkirchen), Minister Stein (Dortmund-Eving) und Zollverein (Essen-Stoppenberg) hat sich der Erdboden um 20 m gesenkt, im Bereich der Zeche Prosper-Haniel (Bottrop) um über 14 m. Die Stadt Gelsenkirchen (105 qkm) hat sich um mindestens 5,2 m abgesenkt, (48); mehrere Ortsteile der Stadt Essen haben sich gar um 20 m abgesenkt und liegen heute unter dem Grundwasserspiegel. (49) Hier muss ständig abgepumpt werden, sonst verwandelt sich Essen innerhalb weniger Wochen in Nord-Venedig.
Manchmal muten solche Bergsenkungen an wie ein kleines Erdbeben, denn Gesteinsspannungen können sich urplötzlich entladen. Auch an Abbaukanten kann es zu Erderschütterungen kommen. (50) Bei Bergsenkungen kommt es dann zu Zerrungen und Pressungen im Gestein, die zu weiteren Bruchspalten und neuen Hohlräumen führen. Wann es zu Tagesbrüchen oder Bergsenkungen kommt und wie die Verbruchsvorgänge verlaufen, lässt sich nicht vorhersagen. So können zwischen Verursachung und Schadenereignis Jahre und Jahrzehnte vergehen, was zu Problemen bei der Klärung der Schuldfrage und der Schadensersatzansprüche führen kann. So kam es im Dezember 2013 durch den Kohleabbau auf der Zeche Auguste-Victoria in Haltern-Lippramsdorf zu einem Erdbeben der Stärke 3,0 und am 15. November 2014 zu einem weiteren Erdbeben der Stärke 3,5. (51) Um die Erderschütterungen zu messen, betreibt die Deutsche Montantechnologie (DTM) im Revier ein Netz aus mehreren seismischen Messstationen. Auch das Deutsche Geoforschungszentrum in Potsdam bei Berlin wird immer wieder unfreiwilliger Zeuge des Kohleabbaus im Ruhrgebiet.
Wenn Ackerflächen von Bergsenkungen betroffen sind, hält sich der Sachschaden nur scheinbar in Grenzen, denn diese versumpften Äcker können dann über Jahre nicht mehr bewirtschaftet werden und gefährden somit die Existenzgrundlage des betreffenden Bauernhofes.
Der Bergbau führt aber nicht nur zu Bodensenkungen, in anderen Gebieten führt er zu Bodenhebungen. Dies ist dann der Fall, wenn das Grubenwasser allzu hoch ansteigt und dabei in Gesteinsschichten vordringt, die durch Wasser aufquellen. Der Landesverband Bergbau-Betroffener (LVBB) befürchtet, dass es dadurch zu weiteren Bergschäden in zweistelliger Millionenhöhe kommen wird. Dazu erklärte Volker Spreckels, seit 2010 Leiter der Gruppe Geomonitoring der RAG: „Mit dem kontrollierten Anstieg des Grubenwassers nach dem Ende des Bergbaus verändert sich das Bewegungsmuster von bergbaubedingten Senkungen im Meterbereich hin zu Hebungen im Zentimeter- bis Dezimeterbereich.“
- Tagesbrüche
Gemäß der Tiefe unterscheidet man beim Bergbau zwischen dem „tagesnahen Bergbau“ (bis 50 m Teufe), dem „oberflächennahen Bergbau“ (51 bis 100 m) und dem „Tiefbergbau“. Beim Tiefenbergbau kommt es zu einem „automatischen“ Verschluss der abgeräumten Flöze durch das Gewicht des Deckgesteins, dies ist beim Bergbau an der Erdoberfläche nicht der Fall, da hier die Deckschicht des Gesteins nicht genügend Gewicht hat, um die Hohlräume zu verschließen. Durch Ausspühlung von Schächten und Stollen durch Regenwasser oder das Verrotten von Holzstempeln kann es hier zu lokal begrenzten „Tagesbrüchen“ kommen. Im gesamten Landesgebiet von NRW kommt es jährlich – nach unterschiedlichen Angaben - zu circa 100 (52) bis 120 solcher Tagesbrüche (53). Davon sind rund 60 Prozent auf frühere Bergbauaktivitäten zurückzuführen.
Zu den Hohlräumen zählen auch die alten abgebauten Bergwerksstollen, die von den Kumpels als „alter Mann“ bezeichnet werden. Wenn diese verlassenen Stollen nicht mehr gewartet werden und die Stützen vergammeln, kann durch den Gebirgsdruck das Deckgebirge einbrechen und das „Hängende“ herabstürzen. Es sind gerade diese uralten Stollen, die von einer früheren Generation von Bergleuten mit den damals verfügbaren Techniken errichtet wurden und in die sich heute kein Bergmann mehr hineintraut, die den Sicherheitsingenieuren Sorgen bereiten. Laut Bergamt gibt es im gesamten Landesgebiet NRW rund 32.000 alte Schächte der Steinkohlenzechen und Erzbergwerke, die potentiell gefährlich sind. So ist oft unbekannt, dass sich mehr oder weniger flach unter der Erdoberfläche ein unverfüllter Hohlraum befindet. Insgesamt verteilen sich die Hohlräume auf ein Gebiet von ca. 267 qkm. Eine genauere zahlenmäßige Risikoabschätzung ist nicht möglich:
„Nach aktuellem Stand der Grundlagenermittlung bei der Bergbehörde NRW liegen innerhalb der bestehenden Bergbauberechtigungen der Altgesellschaften Flächen mit einer Gesamtgröße von ca. 267 km², welche von Einwirkungen des tages- und oberflächennahen Bergbaus betroffen sein können. Im Rahmen der ausstehenden Ordnungspflichtprüfungen kann sich diese Zahl jedoch verändern, da beispielsweise Überlagerungen durch andere Bergbauberechtigungen vorliegen.
Eine numerische Erfassung tages- und oberflächennaher bergbaulicher Hohlräume ist nicht möglich, da die einzelnen Grubenbaue eines Bergwerks oder evtl. auch mehrerer Bergwerke miteinander verbunden und somit nicht zahlenmäßig voneinander abgrenzbar sind und konkrete Angaben zum tatsächlichen Umfang und zur tatsächlichen Ausdehnung heute vorhandener Hohlräume erst im Zuge von Untersuchungsmaßnahmen gewonnen werden. Die nachfolgende Tabelle verdeutlicht, welche Kreise und kreisfreie Städte in welchem Ausmaß nach Auswertung des bei der Bergbehörde NRW digital erfassten Datenbestandes von Einwirkungen des tages- und oberflächennahen Bergbaus betroffen sein können, der in bestehenden Bergbauberechtigungen der Altgesellschaften geführt worden ist.“ (54)
Zum Problem der alten Schächte und Stollen erklärte das NRW-Energieministerium am 7. Dezember Jahr 2017 auf eine parlamentarische Anfrage „Gefährdungen durch Altbergbau“ (Drucksache 17/1407) (S. 10):
„Das Gefährdungspotential durch Hohlräume des tagesnahen Bergbaus besteht zeitlich unbefristet. Die Standzeit unverfüllter, offener Hohlräume kann sich bei besonderen geologischen, hydrogeologischen und hydraulischen Randbedingungen reduzieren oder verlängern.“ (55)
Gleichzeitig teilte die Landesregierung mit, dass sie die vorhandenen 1.216 Schächte in fünf Gefahrenklassen einordnet (S. 30):
„Bei den Schächten der Risikoklassen I bis III handelt es sich um Schächte, in deren Einwirkungsbereich an der Tagesoberfläche grundsätzlich mit dem Eintritt eines durch das Abgehen einer Schachtverfüllung und/oder einem Schachtverbruch verursachten Tagesbruch gerechnet werden muss. Diese Schächte stellen aufgrund der Höhe der Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder des Schadensumfangs ein langfristig nicht zu akzeptierendes Risiko dar, sodass für diese Schächte die tatsächlich vorhandene Gefährdung durch Untersuchungen nachzuweisen und erforderlichenfalls Maßnahmen zur Risikobewältigung (z. B. bautechnische Sicherungsmaßnahmen) oder zur Risikominimierung (z. B. Nutzungsänderungen) durchzuführen sind. Der Risikoklasse IV gehören alle diejenigen Schächte an, in deren Einwirkungsbereich an der Tagesoberfläche ein Tagesbruch nicht ausgeschlossen werden kann. Aufgrund des geringen möglichen Schadensumfangs bzw. der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit haben diese Schächte ein geringes und damit tolerierbares Risikopotenzial. Bei diesen Schächten sind keine zusätzlichen risikomindernden Maßnahmen erforderlich. In der Risikoklasse V werden alle Schächte zusammengefasst, von denen keine Gefährdung ausgeht.“ (56)
Gefährdungsklasse
|
Zahl der Schächte
|
Risikobewertung
|
I
|
595
|
langfristig nicht zu akzeptierendes Risiko
|
II
|
4
|
III
|
415
|
IV
|
28
|
nicht ausgeschlossen
|
V
|
174
|
keine Gefährdung
|
|
1216
|
|
Daraufhin fasste die Landtagsabgeordnete Wibke Brems (Bündnis 90/Die Grünen), die damals Parteisprecherin für Bergbausicherheit war, die Welterkenntnis ihrer Partei in folgende sokratische Worte: „Beunruhigend ist, dass wir nun wissen, dass wir nichts wissen.“ (57)
Zur Zeit entwickelt die RAG in Zusammenarbeit mit der Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum das Monitoring-System „Mineberry“ für Tagesöffnungen. (58) Die Kosten für die Sanierung eines Schachtes beläuft sich derzeit auf rund 128.000 Euro.
Kreis / kreisfreie Stadt
(gesamt NRW)
|
Tagesbrüche innerhalb der erloschenen und aufgehobenen Steinkohlen-Bergbauberechtigungen sowie in bergfreien Bereichen
(2005-2016)
|
Tagesbrüche innerhalb der bestehenden Steinkohlen-Bergbauberechtigungen der Altgesellschaften (2005-2016)
|
Bochum
|
1
|
344
|
Coesfeld
|
0
|
1
|
Dortmund
|
2
|
130
|
Düren
|
0
|
1
|
Ennepe-Ruhr-Kreis
|
82
|
588
|
Essen
|
108
|
307
|
Mettmann
|
0
|
1
|
Minden-Lübbecke
|
4
|
4
|
Mülheim
|
1
|
39
|
Städteregion Aachen
|
3
|
263
|
Steinfurt
|
0
|
2
|
Unna
|
0
|
2
|
Warendorf
|
0
|
14
|
|
201
|
1696
|
Quelle: www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/
Dokument/MMD17-1407.pdf
- Gebäudeschäden
Neubauten können sich durch ihr Eigengewicht im Laufe von Jahren absenken, was zu Rissbildungen im Mauerwerk führt; solche Risse können aber auch Folge von Bergsenkungen und Tagesbrüchen durch den Steinkohleabbau sein. Weil das Ruhrgebiet nun mal dichtbesiedelt ist, gibt es tausendfache Rissbildungen an Gebäuden. Das Haus kann auch auf einer Seite abgesunken sein und steht dann schief. Die Folge ist, dass das Wasser in der Badewanne nicht mehr richtig abläuft oder das Fett sind in der Pfanne nur auf einer Seite sammelt. Zu den weiteren spürbaren Bergschäden an Gebäuden zählen Rohrleitungsbrüche oder eine Durchnässung des Kellerbodens. Im Extremfall müssen die Bewohner evakuiert und die Immobilie abgerissen werden.
Für den Haus- oder Wohnungsbesitzer ist es kaum möglich zu entscheiden, ob ein Wandriss durch den Bergbau verursacht wurde oder weil sich die Grundplatte des Hauses im Lauf der Jahre etwas gesenkt hat. Will der Hauseigentümer Schadensersatzansprüche geltend machen - allein schon um die Reparaturkosten zu decken - muss im Schadensfall ein Gutachter feststellen, ob der Kohleabbau verantwortlich gemacht werden kann und muss. Die Erstellung eines solchen Gutachtens dauert i. d. R. drei bis sechs Monate. In dieser Zeit muss der Hauseigentümer eventuell in Vorleistung gehen, um einen bestehenden Schaden zu reparieren.
Dazu muss das Gebäude innerhalb der so genannten Nulllinie liegen, die den möglichen Einwirkungsbereich des (früheren) Bergbaus begrenzt, und das Haus muss während der Abbautätigkeit errichtet worden sein. Gesetzliche Grundlage für Schadensersatzansprüche ist das Bundesberggesetz (BbergG) vom 13. August 1980: Dieses legt in Paragraph 110 fest, dass minimale Bergschäden nicht als „Bergschäden“ im juristischen Sinne geltend gemacht werden können. Bei einer Schieflage des Hauses muss die Abweichung mindestens 2 Millimeter pro Meter Hauslänge betragen. Allerdings haben Betroffene nur einen Anspruch auf Schadensersatz, sie haben keine weitergehenden Ansprüche, eine Betriebsstillegung zu erwirken, um weiteren Schaden abzuwenden.
Außerdem mussten viele Bauherren schon vor Baubeginn einen so genannten „Bergschadensverzicht“ unterzeichnen, da sie sonst von vornherein keine Baugenehmigung erhalten hätten. Diese Verzichtserklärung wird dann im Grundbuch eingetragen. Es wäre schön, wenn der Hauseigentümer durch eine bloße Unterschrift auf einen Bergschaden verzichten könnte, aber er verzichtet nur auf einen Teil eines möglichen Schadensersatzes im Falle eines Falles:
„Der Bauherr ist verpflichtet Einwirkungen wie Bodenbewegungen, Zuführung von Rauch, Staub, Wasser, Entziehung von Wasser und dergl. mehr auch über die vom Gesetz gezogenen Grenzen hinaus zu dulden, ohne Unterlassung, Wiederherstellung, Ersatz für Beschädigung verlangen oder eine Wertminderung bis zu 10 vom Hundert des Verkehrswertes beanspruchen zu können Die Verpflichtung gilt auch für die Einwirkungen, die von den Gesamtrechtsnachfolgern der genannten Gesellschaft ausgehen sowie für die Einwirkungen, die von Einzelrechtsnachfolgern des im Berggrundbuch eingetragenen Steinkohlebergwerks oder einzelner Teile desselben einschließlich der dazugehörigen Nebenbetriebe, insbesondere Kokereien und Kraftwerke, ausgehen werden.“
Ein Trick der Bergbauindustrie, um ihre Schadenssumme in Grenzen zu halten, bestand darin, die oberirdischen Grundstücke über den Kohleabraumgebieten unter Tage aufzukaufen. So war der Bergbau zeitweise einer der größten Grundbesitzer. Die Flächen wurden dann teilweise wieder an private Bauherren (preiswert) weiterverkauft unter der Auflage, dass die Käufer in einen Bergschadensverzicht einwilligten. Allerdings erwies sich diese expansive Flächenerwerbspolitik als Hindernis für die Ansiedlung neuerer Industriezweige. Es bleibt dem potentiellen Bauherrn allein überlassen, bei der Auswahl des Grundstücks besondere Sorgfalt walten zu lassen und auf sein Glück zu vertrauen. Erst nach dem Kauf eines Grundstücks, hat man – aus datenschutzrechtlichen Gründen – das Recht, „Auskunft zur bergbaulichen Situation und Bergschadensgefährdung im Bereich eines Grundstücks“ zu erlangen. Die Anfrage beim Bergamt in Dortmund ist gebührenpflichtig und kostet zwischen 20 bis 120 Euro. (59)
Um die Entstehung von Bergschäden am eigenen Objekt zu vermeiden, können Bauunternehmen verschiedene Maßnahmen präemptiv durchführen: die Größe von Bauwerken beschränken, Skelettbauweise, konstruktive Verstärkungen, Dehnungsfugen etc.. Ein Beispiel ist der Ernst Kuzorra sein Frau ihr Stadion, die „Veltins-Arena“ in Gelsenkirchen-Erle, wo der Fußballbundesligaclubs Schalke 04 mal siegt und mal verliert. Das ganze Stadion wurde auf einem ausgeklügelten System von Bohrpfählen errichtet und die Tribünenkonstruktion mit 62.271 Plätzen durch Verformungsgleitlager gesichert. Dazu wurde die Tribüne in mehrere Segmente unterteilt, die baulich getrennt sind. Da es im Bereich des Stadions zu Absenkungen des Erdbodens durch den Bergbau kommt, ist zu erwarten, dass sich die Sitzreihen des einen Segmentes langsam gegenüber den Sitzreihen des benachbarten Segmentes verschieben werden. Auch die Dachkonstruktion ist für etwaige Absenkungen des Erdbodens ausgelegt. (60)
Gegenwärtig wird die Zahl der Bergschadensfälle mit jährlich 25.500 angegeben. (61) Wiederholt kam es zu – mehr oder weniger – schweren Gebäudeschäden: Am 2. Januar 2000 versanken in Bochum-Höntrop in der Emilstraße drei Garagen und mehrere Autos in einem 15 m tiefen und 500 qm großen Loch in der Erde. Der alte Schacht Nr. 4 der Zeche Vereinigte Maria Anna Steinbank war – nach 95 Jahren – plötzlich eingestürzt. Zehn Häuser mit 30 Bewohnern wurden evakuiert, zwei Häuser wegen Einsturzgefahr gesperrt. Der S-Bahn-Verkehr zwischen Bochum und Essen musste unterbrochen werden. Noch während der Reparaturarbeiten tat sich ein zweites Loch in der Nachbarschaft auf: Es verschluckte einen halben Garten und die Rettungsfahrzeuge des Technischen Hilfswerks (THW), die gerade mit den Arbeiten am ersten Loch beschäftigt waren. Zur Verfüllung der Tagesbrüche wurden 7.500 m³ Beton benötigt. Die Reparaturarbeiten kosteten rund 12 Millionen DM. (62)
Besonders gravierend sind Gebäudeschäden an Industrieanlagen wie z. B. Chemieanlagen, da sie Folgeschäden nach sich ziehen können. Dabei hat der Gesetzgeber ausgeschlossen, dass Zechen gegenüber anderen Zechen Schadensersatzansprüche stellen können.
Über die Zahl der Bergschäden in allen deutschen Steinkohlerevieren berichtete „Wikipedia“:
„In den 1990er Jahren waren bis zu 30.000 Bergschadensfälle registriert. Diese Bergschäden wurden von den Bergbaubetreibern (RAG) reguliert. Mehr als 90 Prozent der Schadensfälle hatten einen Schadensrahmen von unter 5000 Euro pro Schaden. Jährlich werden auch bis zu 70 Schäden von stillgelegten Bergwerken an das Landesoberbergamt gemeldet. Unter den gemeldeten Schadensfällen wurden rund 30 durch Tagesbrüche verursacht. Da die Schäden von Stollenbergwerken stammen, die vielfach im 18. Jahrhundert betrieben wurden, lässt sich der Verursacher meist nicht mehr ermitteln.
2008 wurden der DSK (Deutsche Steinkohle AG, eine Tochter der RAG, G. P.) etwa 35.000 neue Bergschäden mit einem Schadensvolumen von ca. 70 Millionen Euro gemeldet, für die Gelder zur Instandsetzung und Regulierung ausgezahlt werden.“ (63)
Es ist nicht zu erwarten, dass mit dem Ende des Bergbaus die Zahl der Bergschäden in absehbarer Zeit zurückgehen, da solche Beschädigungen manchmal erst nach Jahren sichtbar werden. Es muss vielmehr vermutet werden, dass mit dem Ende der Steinkohlenförderung die Schäden langfristig eher zunehmen, da stillgelegte Zechen nicht im gleichen Umfang gewartet werden können wie die Bergwerke, die noch in Betrieb sind. Bereits 2015 waren 85 Prozent aller Schadensverursacher Altanlagen aus dem Stillstandsbereich. (64) Laut Gesetzeslage können Schadensersatzansprüche bis zu 30 Jahre nach Ende des Bergbaus geltend gemacht werden. Sollte eine Immobilie zwischenzeitlich weiterverkauft worden sein, müssen eventuelle Schadensersatzansprüche auf den neuen Hauseigentümer übertragen worden sein.
Bergschäden gelten aber – nach der Definition der Ruhrkohle AG – nicht als „Ewigkeitsaufgaben“, sie werden daher auch zukünftig nicht durch die RAG-Stiftung abgewickelt, sondern weiterhin durch die RAG selbst, die dafür Rückstellungen angelegt hat. Geschädigte können sich beim „Service-Center Bergschäden“ in Duisburg-Homberg (Tel.: 0800/2727271) melden. Das „Center“ hatte bei seiner Gründung im Jahre 2001 bereits 160 Mitarbeiter.
Darüber hinaus sind wichtige Ansprechpartner und Gutachter die so genannten Markscheider, das sind auf den Bergbau spezialisierte Vermessungsingenieure. (65) Allerdings wurde die Objektivität dieser Markscheider in Frage gestellt, da sie zugleich Angestellte der RAG sind. Diesbezüglich kritisierte der damalige Vorsitzende des Landtags-Unterausschusses für Bergsicherheit, Josef Hovenjürgen (CDU), im Jahr 2012: „Zur Sicherung der Unabhängigkeit der Markscheider ist der jetzige Zustand als Mitarbeiter des Unternehmens in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, vorsichtig formuliert, kein Idealzustand.“ Schon diese milde Kritik erboste die RAG: „Wir sehen die geäußerten Zweifel als unbegründeten Angriff auf die Integrität und Unabhängigkeit unserer Markscheider“, erklärte ein Unternehmenssprecher. (66)
In Jahr 2013 kam zusätzlich der Vorwurf auf, die RAG-Markscheider hätten jahrelang ihre „Risswerk-Karten“ manipuliert, um Schadensersatzansprüche Geschädigter abzuwehren. Dadurch seien die Betroffenen auf Schadenskosten in Millionenhöhe sitzen geblieben. (67) So sollen die RAG-Angestellten die Karten „geschönt“ haben. Demnach wurden nicht alle Störungshorizonte in die Karten eingetragen, um sonst drohende Abbaubeschränkungen zu vermeiden. Ein zusätzliches Problem ist, dass die Unterlagen über stillgelegte Zechenanlagen im Laufe der Zeit (absichtlich) vernichtet wurden.
In diesem Zusammenhang kritisierte der Landtagsabgeordnete Dietmar Brockes (FDP) die Rechtslage:
„Da ein von der Behörde anerkannter Markscheider gem. § 64 Abs. 2 BBergG befugt ist, innerhalb seines Geschäftskreises Tatsachen mit öffentlichem Glauben zu beurkunden, stellt das Risswerk für die Existenz bzw. das Nichtvorliegen von Erdspalten und Geländeabrissen insoweit eine öffentliche Urkunde dar. Wollen Bergbaubetroffene mögliche fehlerhafte Eintragungen bei der Risswerkführung geltend machen, so kann ihnen dies wegen des besonderen Urkundscharakters nur gelingen, wenn sie den Beweis für die Unrichtigkeit des Risswerks erbringen. Selbst von Sachverständigen festgestellte und begründete Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung reichen dafür nicht. Diese von der Erfüllung hoher Anforderungen abhängige Rechtsschutzmöglichkeit läuft in der Praxis allerdings leer. Im Ergebnis sieht die Landesbergbehörde die Feststellungen und Eintragungen des risswerkführenden Markscheiders als allein entscheidend an, so dass für Betroffene kaum die Möglichkeit besteht, die etwaige Fehlerhaftigkeit des Risswerks überhaupt rechtswirksam geltend machen zu können.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beinhaltet das Prinzip der Waffengleichheit, dass jeder Partei eine vernünftige Möglichkeit eingeräumt werden muss, ihren Fall vor Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die für diese Partei keinen substanziellen Nachteil im Verhältnis zu seinem Prozessgegner bedeuten.“ (68)
Teilweise wurden Gerichtsprozesse in die Länge gezogen, um Schadensersatzforderungen zu entgehen. (69) Um solche Vorwürfe in Zukunft zu vermeiden, richtete die Bergbehörde eine Arbeitsgruppe „Risswerkführung“ ein, ebenso erstellt die RAG seit 2012 eine „Dokumentation besonderer Sachverhalte“, die öffentlich zugänglich ist. So berichtete die RAG über ihre Schadenabwicklung RAG stolz:
„Bei einem Vor-Ort-Termin prüfen RAG-Mitarbeiter dann, ob die gemeldeten Schäden auf Bergbauaktivitäten zurückzuführen sind. Liegt ein Bergschaden vor, können Eigentümer zwischen finanzieller Entschädigung und Reparatur wählen. Nachhaltigkeit bei der Schadensregulierung umfasst für die RAG drei Komponenten: den fairen Umgang miteinander, ein transparentes Verfahren und vorausschauendes Handeln. Das stellen unter anderem ein standardisiertes Bearbeitungsverfahren, zertifiziert nach internationaler Norm DIN EN 9001, und Rücklagen sicher. Eine Umfrage zeigt, dass die Bergschadensabteilung einen guten Job macht: 74 % der befragten Immobilieneigentümer zeigten sich mit den Leistungen „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“.“ (70)
Dennoch: In jährlich 120 Fällen können sich die Geschädigten nicht mit der RAG gütlich einigen, so dass die Angelegenheit durch neutrale Schlichtungsstellen entschieden werden muss. In zwanzig Fällen wird dies nicht erreicht und die Sache landet vor in einem Zivilverfahren vor Gericht, wo sich die Kläger mit den versierten Hausanwälten der RAG auseinandersetzen müssen. (71)
Um ihre Interessen gegenüber der Ruhrkohle AG und der Landesregierung durchzusetzen, haben sich die Geschädigten im „Landesverband Bergbaubetroffener NRW e. V.“ (LVBB-NRW) mit Sitz in Rheinberg zusammengeschlossen. (72) Geschäftsführer des Landesverbandes ist z. Zt. Ulrich Behrens. An einzelnen Zechenstandorten haben sich die Betroffenen zu Bürgerinitiativen zusammengeschlossen: Altendorf-Ulfkotte, einem Stadtteil von Dorsten, in Bottrop, in Haltern-Lippramsdorf und in Rheinberg. In einem „Memorandum zum Auslauf des Steinkohlebergbaus in Deutschland“ vom 10. September 2018 beklagte der Landesverband der Bergbaubetroffenen im Saarland:
„Das Berggesetz schützte die RAG und die genehmigungsgebenden Bergbaubehörden stützten durch ihre „Bergbau orientierte Genehmigungspraxis“ den schädlichen, unwirtschaftlichen Bergbau. Die zahlreichen Verfahren der Bergbaubetroffenen und Kommunen, an den höchsten Gerichten der Bundesrepublik belegen diesen leidvollen, finanziell risikoreichen und aufwendigen Weg. Es war und ist ein Kampf David gegen Goliath!“ (73)
- Schäden an der Verkehrsinfrastruktur
Die Bodensenkungen haben z. T. gravierende Auswirkungen auf die Infrastruktur, insbesondere Rohr- und Elektroleitungen, Straßenverläufe und Straßenbahn- oder Eisenbahnschienen. Durch den Einbau von Kompensatoren an Rohren und von Dehnungsfugen an Gleisen kann im begrenzten Umfang Bergschäden vorgesorgt werden.
Dennoch kommt es immer wieder zu Bergschäden an der Verkehrsinfrastruktur, die im dicht besiedelten Ruhrgebiet besonders ausgeprägt ist. So durchziehen zahlreiche Autobahnen die Wohngebiete: A1, A2, A3, A40 „Ruhrschnellweg“, A42, A43, A45, A52, A57, A59 und A535. Dazu erklärte Andreas Welz von der Bezirksregierung Arnsberg im Mai 2018:
„Alles südlich der A 40 ist ein Problem. (…) Hier erleben wir heute Tagesbrüche, die ihre Ursache in einem Stollen haben, der beispielsweise 200 Jahre alt ist. (…) Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis sich die unterirdischen Hohlräume bis zur Oberfläche durchpausen.“ (74)
Im Juli 2009 entstand auf der Autobahn 45 zwischen Olpe und Freudenberg nach starken Regenfällen ein 11 m tiefes und 1,5 m breites Loch. Mitte Januar 2012 tat sich auf der Autobahn A 54 bei Dortmund die Erde auf. Mitarbeiter des Landdesbetriebs Straßen NRW entdeckten einen 12 qm großer und 2 m tiefen Tagesbruch. Da sich dieser im Mittelstreifen befand, kamen Verkehrsteilnehmer nicht zu Schaden. Die Autobahn wurde sofort in beide Richtungen gesperrt. Bei weiteren Überprüfungen durch die Bezirksregierung Arnsberg wurde festgestellt, dass bis zu vier Kilometer der Straßen einsturzgefährdet waren. Zahlreiche alte Kohlenflöze bzw. Stollen verlaufen in diesem Teilstück nur wenige Meter unter der Erde. Der Tagesbruch geht vermutlich auf einen Stollen der alten Zeche Gottessegen zurück, die bereits in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts geschlossen worden war. Für die Straßenreparatur musste daher der Steuerzahler aufkommen. (75)
Hinzu kommt das umfangreiche Schienennetz der Eisen- bzw. Zechenbahnen: Im November 2013 tat sich in der Nähe des Hauptbahnhofes in Essen die Erde auf, der Hohlraum umfasste 1.230 m3. Die Sicherungsarbeiten dauerten mehrere Wochen, während dieser Zeit wurde der gesamte Zugverkehr massiv gestört, die Züge durften nur noch im Schneckentempo passieren. Im Rahmen der Arbeiten wurden mindestens drei weitere Hohlräume in der Nähe, die noch nicht eingestürzt waren, bei Bohrungen entdeckt. (76) Mehrere Stollen aus dem Jahr 1840 waren eingestürzt.
- Schäden an Flüssen und Kanälen
Mehrere große Flüsse durchziehen bzw. begrenzen das Ruhrgebiet: Emscher, Lippe, Rhein und Ruhr. Hinzu kommen gleich vier Kanäle, auf denen die Steinkohle und Eisenerze befördert werden: Rhein-Herne-Kanal, Wesel-Dattel-Kanal, Dattel-Hamm-Kanal und Dortmund-Ems-Kanal.
Durch Bergsenkungen kann der Grund eines Flusses oder Schifffahrtskanals über eine längere Strecke absinken, ohne dass dies einen Einfluss auf den Wasserstand hätte. Das Risiko ist hier, dass mit dem Absinken des Bodens im gleichen Umfang auch die Deichanlagen absinken. Dann müssen sofort Aufdeichungen durchgeführt und Rückhaltebecken geöffnet werden. Flüsse können durch Bergsenkungen oder Berghebungen in ihrem Verlauf empfindlich gestört werden. Dann kann der natürliche Abfluss des Wassers in den Bach- und Fußläufen durch Veränderungen des Gefälles nicht mehr gewährleistet sein. Im Extremfall führt dies dazu führen, dass ein Fluss plötzlich „rückwärts“ fließt. (77) So müssen Fließgewässer zur Aufrechterhaltung des Abflusses über Senkungsgebiete hinweg gegebenenfalls angehoben oder umgeleitet werden. Andernfalls droht eine Überschwemmung oder Versumpfung der betreffenden Gebiete, wie es im Ruhrgebiet schon zu Zeiten der Germanen gewesen sein soll.
Um die Bildung von Urwäldern zu verhindern, müssen bereits seit 1914 ständig Entwässerungsmaßnahmen durch Einsatz von Pumpen durchgeführt werden. Die elf Wasserwirtschaftsverbände in NRW (u. a. Emschergenossenschaft, Wasserverband Obere Lippe und Linksniederrheinische Entwässerungs-Genossenschaft etc.) betreiben heutzutage insgesamt 1.115 Pumpwerke, die sich auf eine Fläche von 4.600 km2 verteilen, weil das gesamte Niederschlags- und Quellwasser sowie das Haushalts-Abwasser abgepumpt werden muss. Manche Pumpwerke sind so groß wie Fabrikhallen, so schafft die Station in Bottrop-Boye 42.000 Liter pro Sekunde. Kleine Pumpstationen stehen am Straßenrand und werden von den vorbeigehenden Passanten mit Stromkästen verwechselt.
Pro Jahr werden über 1 Milliarde m3 Oberflächenwasser abgepumpt. (78) Allein im Bereich der Flüsse Emscher und Lippe sind heutzutage 209 Pumpwerke im Einsatz, die jährlich 608 Millionen m3 Flusswasser befördern. (79) Die Kosten allein hierfür betragen 55 Millionen Euro. Die Pumpanlagen der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes werden zentral von einer Betriebsführungszentrale in Bottrop überwacht.
Eine weitere Möglichkeit ist der Bau von Deichen. Mit bis zu 17 m Höhe kann das Ruhrgebiet heute die höchsten Binnendeiche in Europa vorweisen. Bergschäden hatte solch gravierende Auswirkungen auf dem Lauf des kleinen Flusses Emscher, dass er mittlerweile auf einer Länge von 75 km von zehn Meter hohen Deichen begrenzt wird. Durch Bodensenkungen im Bereich der Zeche Walsum (Duisburg-Walsum) müssen im laufenden Jahr u. a. die Deichanlagen am Niederrhein im Bereich Dinslaken-Stapp erhöht werden, dazu wurden die Fördermittel für den Deichbau im gegenwärtigen Landeshaushalt entsprechend erhöht. (80) Allerdings wird die Aufdeichung mittlerweile kritisch gesehen, da dadurch der Fluss begradigt und damit seine Fließgeschwindigkeit erhöht wird. Dadurch verlagern sich Hochwasserspitzen nach flussabwärts.
Eine dritte Möglichkeit besteht darin, Hochwasser in Rückhaltebecken aufzufangen. So gibt es im gesamten Ruhrgebiet rund 600 Rückhaltebecken, die so genannte Polder. Reichen alle Maßnahmen nicht aus, gestaltet man – in Kooperation mit den Behörden und Naturschutzverbänden - einfach ein Feuchtbiotop mit seltenen Tieren und Pflanzen, so dass „Bachsystem des Wienbaches“ bei Dorsten.
All diese Maßnahmen können im Einzelfall nicht ausreichend sein: An manchen Stellen entstand quasi über Nacht ein See, wie z. B. der Weihnachts- und der Elsbachsee bei Kirchhellen (81) oder der Beversee bei Bergkamen (82). Manchmal verschwindet ein See nach ein paar Jahren auch wieder so plötzlich, wie er entstanden war, wie z. B. der frühere Concordia-See bei Oberhausen. (83) Kommt es „nur“ zu einer Versumpfung von Grünflächen, besteht die Gefahr, dass sich ein neues Biotop entwickelt, dass eine Brutstätte für Bakterien und Viren bildet.
Über die (früheren) Zustände am Fluss Emscher berichtete das Autorenteam Bluma, Farrenkopf und Przigoda 2018 (S. 217f):
„Ein drastisches Beispiel ist die Emscher, die südöstlich von Dortmund entspringt und in den Rhein mündet. Wie kein anderer Fluss wurde sie mit ihren Zuflüssen zum Abwasserkanal des Industriegebietes umgestaltet. Um die Bergsenkungen auszugleichen, wurde das Flussbett seit 1906 begradigt, tiefer gelegt und in Deiche gefasst. Angesichts des ohnehin geringen Gefälles des Flusses sollte dadurch der Wasserabfluss gewährleistet und eine Überflutung der Uferbereiche verhindert werden. Dies geschah unter der Ägide der 1899 auf staatlichen Druck hin als Selbstverwaltungsorgan der Industrie gegründeten Emschergenossenschaft, die Vorbild für eine Reihe weiterer Wasserwirtschaftsverbände wurde. In Teilen liegt der Flusslauf heute über dem Umgebungsniveau, so dass das Wasser der Zuflüsse in die Emscher hochgepumpt werden muss. Sogar die Einmündung in den Rhein wurde mehrmals verlegt. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts galt die Emscher als der schmutzigste Fluss Europas und als „Kloake des Ruhrgebietes“. Und selbst noch im letzten Jahrzehnt des alten Jahrtausends beurteilten kritische Zeitgenossen die Erfolgsaussichten der Pläne zu ökologischen Verbesserungen im Emschersystem als zumindest ungewiss.“
Trinkwassergefährdung
Im Ruhrgebiet leben über fünf Millionen Menschen, die auf eine Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser angewiesen sind.
- Anstieg des Grubenwassers
Regen- oder Oberflächenwasser sickert ständig in den Boden ein und schafft dort ein Reservoir an Grundwasser. Dieses Grundwasser kann unter Tage durch das Deckgebirge in einen Bergbaubetrieb eindringen und wird dann zum Grubenwasser. Dieser Prozess dauert – je nach Mächtigkeit und geologischer Beschaffenheit der Deckschicht - drei bis hundert Jahre. Solange eine Zeche in Betrieb ist, muss daher ständig das eindringende Wasser gesammelt, gereinigt, hochgepumpt und über Vorfluter in Bäche und Flüsse (gereinigt) abgegeben werden, damit die Grube nicht absäuft. Die anfallende Menge an Grubenwasser variiert von Zeche zu Zeche. Bei einem durchschnittlichen Bergwerk sind dies - in 700 m Tiefe - etwa 2 m3 pro verwertbarer Tonne Steinkohle. Derzeit werden jährlich rund 70 bis 72 Millionen m3 Grubenwasser in die Flüsse Emscher, Lippe, Rhein und Ruhr abgepumpt. (84)
Bei einer aktiven Zeche ist das Grubenwassermanagement i. d. R. kein Problem, da es für die Sicherheit der Grube und der Bergleute existentiell ist:
„Die Entwässerungen auf den Bergwerken bestehen im aktiven Bergbau aus einer Vielzahl von Sammelbecken, Pumpen und Rohrleitungen. An einer zentralen Stelle des Bergwerks wird ein Sammelbecken (Pumpensumpf) angelegt, in dem die Wässer aus allen Strecken, Abbauen und Schächten gesammelt werden. Am Rande des Pumpensumpfes liegt die Pumpenkammer. Hier stehen die Pumpen, die das Grubenwasser im Ruhrgebiet aus derzeit bis zu 1400 Metern Tiefe an die Tagesoberfläche fördern.“ (85)
Wird eine Zeche geschlossen, sammelt sich das Grubenwasser auf dem Grund dieses Bergwerkes und steigt langsam an. Man spricht dann vom so genannten „Standwasser“. Dieses beträgt schon heute über 100 Millionen m3 im Ruhrgebiet. (86) Da nach der Schließung einer Zeche ständig Wasser nachsickert, ist es langfristig unvermeidlich, dass in den stillgelegten Gruben das Standwasser bis zu seinem „natürlichen“ Niveau ansteigt.
Dazu präsentierte die RAG folgende Milchmädchenrechnung: Der Wasserspiegel soll um mindestens zweihundert Meter von 800 auf 500 bis 600 m angehoben werden! (87) Ursprünglich wollte man sogar eine Erhöhung des Grubenwasserspiegels um 400 m. Durch die Verringerung der Pumphöhe sinkt die Höhe der Kosten, außerdem wurden von der RAG mögliche Nebeneffekte als „überschaubar“ eingestuft. (88)
Dabei verschweigt die RAG, dass die Gruben im Ruhrgebiet bis zu einer Tiefe von 1.400 m hinabreichten, die während ihrer Betriebszeit vom Grubenwasser freigehalten werden mussten. Wenn die RAG jetzt von einem Wasserstand von 800 m redet, kann dies nur bedeuten, dass man die alten Zechen bereits in aller Heimlichkeit hat halbvoll laufen lassen, ohne dass die Bevölkerung überirdisch davon etwas mitbekam. Die Flutung der Zechen mit Millionen von Kubikmetern Wasser bewirkte, dass die dort vorhandenen Giftstoffe in den Stollen sich im Grubenwasser ansammelten, zugleich aber in der größer werdenden Brühe zunehmend verdünnt wurden. So spart sich die RAG eine kostspielige Sanierung der alten Schachtanlagen. Dazu berichtete der „Spiegel“ 2015:
„Geduldet von den Landesregierungen und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ließ das Unternehmen das Wasser in manchen Bergwerken bereits von ursprünglich 1100 Metern auf Höhen von bis zu 260 Metern ansteigen. Neben der Kosteneinsparung hat die Flutung für die RAG einen weiteren positiven Nebeneffekt: In jedes Bergwerk fließen bei einer Flutung mehrere Millionen Kubikmeter Wasser. Dermaßen verdünnt ist die giftige Chemikalie in den Wasserproben der Untersuchungsämter kaum noch nachweisbar. An den „schlimmen Folgen für Mensch und Umwelt“, sagt Wasserexperte Friedrich, „ändert das aber nichts. Denn über die Zeit und die große Menge Wasser, das in die Flüsse eingeleitet wird, landen die gesamten 10000 Tonnen PCB langfristig in den Flüssen und damit in der Nahrungskette.“ (89)
Das abgepumpte Grubenwasser – über 70 Millionen m3 pro Jahr - wird – mehr oder weniger gereinigt - in mehrere Flüsse (Emscher, Lippe, Rhein, Ruhr und kleinere Bäche) abgegeben und beeinflusst dort die Wasserqualität. In Zukunft soll die Emscher, in die heute das Grubenwasser der mehrerer Zechen (Amalie [Essen-Altendorf], Carolinenglück [Bochum-Hamme], Concordia [Oberhausen], Prosper Haniel [Bottrop] und Zollverein [Essen-Stoppenberg]) abgeleitet wird, als natürlicher Abwasserkanal ausgespart bleiben. Dies trägt zwar zum Umweltschutz im Bereich der Emscher bei, allerdings wird sich dies auf den Schadstoffeintrag in die anderen drei Flüsse langfristig auswirken.
Ein Abpumpen ist dauerhaft notwendig, damit das Grubenwasser nicht zu hochsteigt, da es sonst in die Tonschichten des Deckgebirges eindringt. Diese würden dadurch aufquellen und den Erdboden anheben, wodurch zahlreiche Schäden an Straßen und Gebäuden entstehen würden. Außerdem könnte durch einen Anstieg des Grubenwassers Methan beschleunigt an die Erdoberfläche gedrückt werden. Aber weil das Grubenwasser ständig abgepumpt werden muss, kam es im Ruhrgebiet schon zu einer großflächigen Absenkung des Grundwasserspiegels.
Andererseits kann ein Anstieg des Grubenwassers zu einem Anstieg des Grundwasserspiegels führen, so dass Gebäudefundamente und Kellergeschosse vernässen mit entsprechenden Feuchtigkeitsschäden.
Auch muss man verhindern, dass sich dreckige Gruben- und Grundwasser miteinander vermischen und die Trinkwassergewinnung belasten. Die Ruhrkohle AG hat angekündigt, dass sie zwischen dem Grubenwasser und dem Grundwasserreservoir, das bei Haltern bis zu einer Tiefe von 350 m reicht, einen Sicherheitsabstand von 150 m dauerhaft einhalten will, was einige Kritiker für zu gering erachten.
Der „Spiegel“ schrieb dazu im Januar 2015 (S. 73): „Doch was der Konzern nun mit dem Grubenwasser plant, hat eine neue Dimension. Es sei ein flächendeckender Feldversuch mit offenem Ausgang und unvorhersehbaren Konsequenzen, sagen die Kritiker.“ (90)
-- Pumpstationen für Grubenwasser
Mit der Einstellung des Bergbaubetriebes auf einer Zeche fallen die dort installierten untertägigen Pumpenanlagen – früher oder später – aus, da sie nicht mehr gewartet oder repariert werden können. Daher sollen moderne Tauchpumpen ihre Aufgabe übernehmen. Um die Wassermassen zu bändigen, sind derzeit 11 bis 13 Grubenwasserhaltungen im Kohlenpott im Einsatz. Um Kosten zu sparen sollte die Zahl der Wasserhaltungen mittelfristig auf 6 Zechenstandorte begrenzt werden: Friedlicher Nachbar (Bochum-Linden), Haus Aden (Bergkamen-Oberaden), Heinrich (Essen-Überruhr), Lohberg (Dinslaken-Lohberg), Robert Müser (Bochum-Werne) und Walsum (Duisburg-Walsum). Als erstes wurde die ex-Zeche in Duisburg-Walsum mit einer neuen Pumpanlage ausgestattet. Aber bis 2021 sollen mehrere dieser Stationen schon wieder geschlossen werden. Langfristig werden nur noch drei Wasserhaltungen betrieben: Haus Aden und Friedlicher Nachbar an der Ruhr und Lohberg am Rhein. Hinzu kommen vereinzelte Reservebrunnen.
Eine Reduzierung der Pumpstationen ist nur dadurch möglich, dass die RAG den Pegel des Grubenwassers gezielt ansteigen lässt, so dass die Wassermassen den jeweiligen Stationen über untertägige Wasseradern, Rohre oder nasse Stollen zugeführt werden können.
Heute verwendet man doppelflutige Tauchmotorkreiselpumpen. Jede Tauchpumpe ist ca. 12 m lang und hat ein Eigengewicht von 20 bis 24 Tonnen. Sie werden von einem Elektromotor angetrieben und können mit einem Druck von rund 80 bar 9.000 Liter pro Minute abpumpen. Jede Pumpe wird in einem Hüllrohr einfach in den Bergwerksschacht gehängt. Die Zahl der Pumpen pro Standort variiert voraussichtlich zwischen drei und sechs Aggregaten. Eine Pumpe kostet rund eine Million Euro. Bei der RAG ist Markus Roth für die neuen Pumpstationen verantwortlich.
Über die modernen Pumpstationen berichtete Dr. Michael Drobniewski, Betriebsdirektor des Direktionsbereichs Grubenwasserhaltung im Servicebereich Technik- und Logistikdienste der RAG:
„Die für die Bewältigung der Ewigkeitsaufgabe „Grubenwasserhaltung” vorgesehenen Standorte rüstet die RAG auf moderne Brunnenwasserhaltung um. Im Gegensatz zur konventionellen untertägigen Wasserhaltung mit Pumpenkammern bedarf es für die neue Technik keiner Aufrechterhaltung einer Infrastruktur unter Tage. Für die Brunnenwasserhaltung erhalten die Schächte eine Ausstattung mit Hüllrohren, durch die Tauchpumpen von über Tage bis in das wasserführende Niveau gelangen. Zwei Pumpen, versetzt in den Schacht eingehängt, heben das Grubenwasser. Sollte eine Pumpe ausfallen, dient eine dritte als Reserve und stellt die Leistungsfähigkeit des Wasserhaltungsstandorts sicher. Das zutage gepumpte Grubenwasser gelang durch Leitungsrohre in den nächsten größeren Fluss. Eine möglichst geringe Pumphöhe erhöht die Wirtschaftlichkeit der Anlagen. Neben den geplanten Wasserhaltungen hält das Unternehmen weitere ausgewählte Standorte als Reservebrunnen vor, die es bei der Stilllegung entsprechend präpariert. (…)
Zeche Zollverein, 14. Sohle: In der Pumpenkammer in rund 1000 Meter Tiefe arbeiten immer zwei von insgesamt sechs großen Kreiselpumpen ständig auf vollen Touren. Circa 9000 Liter Wasser schafft die Anlage über zwei Steigleitungen pro Minute an die Tagesoberfläche – mit dem immensen Anfangsdruck von rund 100 bar. Um den energetischen Aufwand für den Betrieb der Anlage so gering wie möglich zu halten, arbeitet die RAG kontinuierlich an innovativen Sparmaßnahmen. (…)
Unter Federführung der Servicebereiche Technik und Logistikdienste (BT) sowie Standort und Geodienste erfolgt zurzeit am Schacht 2 des ehemaligen Bergwerks Walsum die Errichtung des ersten Brunnenwasserbetriebs. Das Projekt ist mit Blick auf seine Größenordnung bisher einzigartig im Steinkohlenbergbau.
Bei der Schachtverfüllung ließen Fachleute Rohre mit einem Durchmesser von jeweils 1000 Millimetern ein. In diese werden die Tauchpumpen und die dazugehörigen Rohrleitungen eingehängt. Bis zum Jahr 2018 kommen vorerst zwei Tauchpumpen zum Einsatz, von denen sich immer nur eine in Betrieb befindet. Die Förderleistung beträgt jeweils acht Kubikmeter Wasser pro Minute. Eine dritte Pumpe steht als Reserve bereit.“ (91)
Im November 2017 begann man auf dem Gelände der früheren Zeche Pluto in Herne mit dem Bau einer Leitwarte, die die Wasserhaltung im Ruhrgebiet, im Ibbenbürener Gebiet und im Saarland zentral überwachen soll. Langfristig rechnet die RAG hier mit einem Personalbedarf von rund 470 Mitarbeitern.
- Kontamination des Grubenwassers
Das Grubenwasser ist stark biologisch und chemisch kontaminiert. Verfaulendes Grubenholz der Stempel führt dazu, dass das Wasser mit Schimmelpilzen belastet ist. Dabei ist die Haltbarkeit von Holz in der feuchten Luft höchst unterschiedlich:
„Eichenholz hält durchschnittlich, auch im Abwetterstrom, sieben bis acht Jahre. Gutes Eichenholz kann sogar bis zu zwölf Jahre standfest bleiben. Tannenholz hält im Abwetterstrom maximal vier Jahre, oftmals sogar noch weniger. Besonders schnell wird Buchenholz von Fäulnispilzen angegriffen. In einziehenden Wetterströmen bleibt Eichenholz etwa 25 Jahre haltbar. Kiefernholz hat in dieser Umgebung eine Haltbarkeit von bis zu 15 Jahren. Unter besonders günstigen Umgebungsverhältnissen hält Eichenholz bis zu 40 Jahre und Nadelholz bis zu 20 Jahre. Es wurde sogar in einigen Gruben im alten Mann verschiedene Zimmerungen gefunden, deren Holz bereits seit 300 Jahren im Einsatz und noch intakt war.“ (92)
Grubenwasser ist eine Mischung aus Grundwasser und Sole. Es enthält verschiedene Salze aus dem Gestein, so dass der Salzgehalt bis zu 20 Prozent ausmachen kann. Außerdem enthält das Grubenwasser verschiedene Mineralien wie z. B. Pyrit, Schwefelkies und Kupferkies. Durch Oxydation dieser Sulfide ist das Grubenwasser sauer (ph-Wert: bis zu -3,6).
Dazu muss man wissen, dass die letzten Holzstempel nicht später als Anfang der neunziger Jahre verbaut wurden, also gut dreißig Jahre alt sind.
Hinzu kommen weitere umweltgefährdende Chemikalien. So setzte die RAG seit den sechziger Jahren bis 1984 insgesamt rund 12.500 Tonnen PCB-haltiges Hydrauliköl und Kühlflüssigkeiten für die Hydraulikanlagen, Transformatoren und Getriebe in ihren unterirdischen Maschinenhallen ein. Durch technische Defekte, Leckagen, Schlauchbrüche und Spritzer wurde ein Teil des Öls freigesetzt. Weniger als zehn Prozent dieser Öle wurden ordnungsgemäß und umweltverträglich entsorgt, so dass über 10.000 Tonnen Öl in irgendwelchen Fässern und im Boden in irgendwelchen Stollen verschwunden sind. (93) Hierzu räumte die RAG ein: „Wie viel von den mehreren Tausend Tonnen PCB-haltiger Flüssigkeiten unter Tage zurückblieb, ist heute kaum noch zu bestimmen.“ (94) Um das Problem einzudämmen, ließ die RAG einzelne Stollen mit Beton verkleiden, aber für den Biochemiker und ehemalige Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium Harald Friedrich waren das nur „konzeptionslose Versuche, eine drohende Umweltkatastrophe zu verhindern“. (95)
Während der amtliche Grenzwert für den PCB-Gehalt im Wasser bei 20 Mikrogramm pro Kilogramm liegt, wurde bereits 2003 am Katernberger Bach in der Nähe der Zeche Zollverein (Essen-Stoppenberg) bis zu 840 Mikrogramm pro Kilogramm gemessen. (96) Außerdem waren die Experten des Landesamtes für Natur-, Umwelt- und Naturschutz zeitweise zu doof, die genaue Kontamination der Oberflächengewässer durch das vergiftete Grubenwasser zu bestimmen. So berichtete der „Spiegel“ im August 2015:
„Der Grund für die niedrigen Werte liegt offenbar in der von der RAG und der Bergbaubehörde angewandten Messmethode.
PCB ist nicht wasserlöslich. Es heftet sich an kleine Schwebstoffe im Wasser. Um es zu finden, sagen Experten wie Friedrich, sind spezielle Untersuchungen mit Zentrifugen oder in dem von Chemikern als Sediment bezeichneten Bodensatz der Einleitungsstellen nötig.
Die RAG und ihre Aufsichtsbehörde nahmen die Proben jedoch in der Regel nur aus fließendem Grubenwasser. Das vielleicht gewünschte Ergebnis: PCB war darin kaum enthalten. Die RAG verweist darauf, dass Proben in enger Absprache mit Behörden entnommen wurden und dass die UQN (= Umweltqualitätsnorm, G. P.) nicht für Grubenwasser gelte.“ (97)
Die polychlorierten Biphenyle sind sehr toxisch und krebserregend, sie verursachen Haut-, Nerven-, Nieren und Leberkrankheiten. Eine unbekannte Anzahl von Grubenarbeitern, die an den Maschinen mit diesem Hydrauliköl arbeiten mussten, sind erkrankt.
Der RAG war die Gesundheitsgefährdung bekannt, dennoch wurde sie von Seiten des Unternehmens ignoriert:
„(S)chon Anfang der Achtzigerjahre war die immense Gefahr von PCB bekannt, doch immer wieder gab es Hinweise, dass die RAG mit den giftigen Stoffen unverantwortlich umging. So geriet das Unternehmen schon früh unter Verdacht, sich die aufwendige und teure Entsorgung von PCB-Ölen in Spezialanlagen zu sparen und Abfälle stattdessen unter normales Altöl zu mischen oder sie geräuschlos unter Tage verschwinden zu lassen. Die Staatsanwaltschaften Essen und Bochum rückten in den Achtzigerjahren gleich mehrfach zu Razzien in Sachen RAG aus. Durchsucht wurden Geschäftsräume, Lager und Bergwerke. In einem Fall stellten die Staatsanwälte rund 3000 Fässer mit PCB-haltigen Abfällen sicher. „Sie sollten“, erinnert sich ein Beamter der zuständigen Aufsichtsbehörde, „kurze Zeit später in einem Stollen eingemauert werden und für immer verschwinden.“ (…)
„Wir sind mit dem Zeug umgegangen, als wäre es Milch“, so der Bergmann. Erst nach 1984 seien Handschuhe und Masken verteilt worden. Von da an sei auch die Entsorgung komplizierter geworden. Habe man das Öl bis dahin noch „direkt in eine Ecke gekippt, musste es nun in Fässer gefüllt werden“. Diese seien dann in den Abbaubereich geschoben worden „und verschwanden unter den zusammenbrechenden Gesteinsmassen“.“ (98)
Um die Umweltgefährdung des PCB-Gehaltes im Grubenwasser einzuschätzen zu können, haben das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE) und das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur‑ und Verbraucherschutz (MULNV) in Düsseldorf im Juli 2015 gemeinsam ein Gutachten bei der „ahu GmbH Wasser Boden Geomatik“ (Aachen) in Auftrag gegeben, das derzeit noch erarbeitet wird. Mitttlerweile liegt ein Erster Teil der Expertise vor. (99) Am 26. September 2018 versuchte der amtierende Landeswirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP) die Umweltgefahren gegenüber dem Landtag herunterzuspielen:
„Das Gutachterkonsortium hat im Gutachten weiterhin geprüft, ob von den früher eingesetzten PCB-haltigen Betriebsstoffen und entsprechenden Substituten eine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgeht. In Bezug auf einen Grubenwasseranstieg und die Entwicklung der PCB-Gesamtfracht im gehobenen bzw. später nach einem Grubenwasseranstieg zu hebenden Grubenwasser kamen die Gutachter zu folgendem Ergebnis:
Ein Grubenwasseranstieg hat (…) positive Effekte für die PCB-Gesamtfracht im gehobenen Grubenwasser. Die PCB-Belastung im Grubenwasser kann durch untertägige und übertägige Maßnahmen reduziert werden.“ (100)
Obwohl die Vergiftung der Umwelt durch PCB nach Ansicht der Liberalen also durchaus „positive Effekte“ hat, plant die RAG z. Zt. die Errichtung einer Pilotanlage, um das PCB aus dem Grubenwasser herauszufiltern. Die Pilotanlage soll auf dem Gelände der Zeche Haus Aden (Bergkamen-Oberaden) für sechs Monate einen Probebetrieb durchführen. Auftragnehmer sind die IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasser Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH (Mülheim) und die Spiekermann GmbH Consulting Engineers (Düsseldorf). (101)
Hinzu kommt eine Kontamination durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) wie z. B. Benzol, Phenol, Toluol und Xylol. Auch Teeröltropfen stellen ein Problem dar. Daher muss das Grubenwasser gefiltert werden, bevor es über Vorfluter an die Oberflächengewässer abgegeben wird, wo sich die enthaltenen Schadstoffe in Wassertieren und -Pflanzen anreichern. Bei Überschreitung der Toxizitätsgrenzen führt dies zum Tod.
Darüber hinaus wurden sechs Zechenanlagen seit den neunziger Jahren als unterirdische Zwischenlager für Sondermüll genutzt. Zwischen 1993 und 1998 wurden - nach unterschiedlichen Angaben - 578.000 bis mehr als 700.000 Tonnen eines zähflüssigen Breis aus hochgiftigen Filterstäuben aus Müllverbrennungsanlagen mit einer Art Zement vermischt und einfach in die alten Stollen verfüllt. Betroffen sich folgende Zechen: Consolidation (Gelsenkirchen), Ewald (Herten), Hans Aden (Bergkamen-Oberaden), Hugo (Gelsenkirchen-Buer), Walsum (Duisburg-Walsum) und Zollverein (Essen-Stoppenberg). (102) Die Abfälle wurden zu einem „Wertstoff“ umdeklariert und konnten so unter Umgehung der abfallrechtlichen Vorschriften allein nach Bergrecht zur Bruch-Hohlraumverfüllung (BHV) entsorgt werden. Es reichte, dass die RAG vorgab, der verbrachte Abfall würde die Standsicherheit oder die Bewetterung der alten Stollen verbessern. Zwar härtete hier der Zement aus, aber – wider Erwarten – haben die im Grubenwasser gelösten Salze den Zement ausgewaschen und nun befürchtet man, dass die Giftstoffe (Arsen, Dioxine, Furane, Quecksilber etc.) wieder freigesetzt werden. Das „Prinzip des vollständigen Einschlusses“ funktionierte in der Praxis nicht. (103)
Über die Zusammensetzung des so verklappten Sondermülls berichtete der Biochemiker Harald Friedrich:
„Der Bergbautreibende und die Bergbehörden sind bei vollem Bewusstsein ein Risiko eingegangen, das sie offensichtlich weder technisch noch in ihren umweltökologischen Folgen überblickt haben. (…)
Es handelt sich bei den eingelagerten Abfällen um das Giftigste vom Giftigen, was als Sonderabfall in einem mitteleuropäischen Land anfällt. Die Filterstäube aus Hausmüllverbrennungsanlagen stellen die Schadstoffsenke des Verbrennungsprozesses dar. Alle im Abfall enthaltenen Stoffe wie zum Beispiel die giftigen Schwermetalle Cadmium und Blei, die Krebs erzeugenden polyaromatischen Kohlenwasserstoffe und die bei der Verbrennung entstehenden Giftstoffe wie Dioxine und Furane werden in der Schadstoffsenke als Filterstaub abgeschieden. Es gehört schon eine gewisse Kaltschnäuzigkeit dazu, ein aufkonzentriertes Gift-Abfall-Gemisch einer Schadstoffsenke wieder großräumig in der Umwelt zu verteilen und möglicherweise riesigen Grundwasserleitern zugänglich zu machen. (…)
Derzeit wird noch gesümpft, das heißt, das Grundwasser in den Tiefenbereichen der Steinkohlebergwerke wird technisch an definierten Punkten gehoben. Wenn jedoch mit Eintritt des Endes der Steinkohleförderung im Jahre 2018 die Grundwasserabsenkung in den Bergwerken beendet wird, werden alle ausgebeuteten Steinkohlebergwerke zwischen Kamp-Lintfort am Niederrhein und Dortmund/Hamm absaufen. Diese Bergwerke stehen untereinander in physikalischer Verbindung, das heißt, eine große geologisch und wasserwirtschaftlich zusammenhängende Landmasse wird unter Tage wie eine riesige Anordnung von kommunizierenden Röhren miteinander in Verbindung stehen und über unterirdische Strömungen den wässrigen Inhalt der ausgebeuteten Bergwerke untereinander austauschen. (…)
Eine Tonne dioxinhaltiger Filterstaub ist zu damaliger Zeit zu Preisen zwischen 500 und 800 Mark in den dafür nach Abfallrecht zugelassenen Sonderabfalldeponien entsorgt worden. Die RAG hat mit ihrer nach sicherheitstechnischen Gesichtspunkten betriebenen „Billigvariante“ Millionensummen in dreistelliger Höhe verdient.“ (104)
Das besagte Gutachten im Auftrag der Landesministerien für Wirtschaft und Umweltschutz beschäftigte sich auch mit dieser Problematik. Auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse erklärte der Landeswirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP) am 26. September 2018 gegenüber dem Landtag, es gäbe „keinen Handlungsbedarf zur Vermeidung/Verringerung von Risiken aus der Bruchhohlraumverfüllung“. (105)
Darüber hinaus wurden – nach Angaben des BUND – rund 1.022.000 Tonnen „bergbaufremder Abfälle“ in mehreren Steinkohlenbergwerken im Ruhrgebiet zu Versatzzwecken eingesetzt: Auguste Victoria (Marl), Blumenthal / Haard (Recklinghausen), Consolidation / Hugo (Gelsenkirchen), Ewald / Schlägel & Eisen (Herten), Fürst Leopold / Wulfen (Dorsten), Haus Aden / Monopol (Bergkamen-Oberaden), Lippe (Dorsten), Lohberg / Osterfeld (Oberhausen) und Walsum (Duisburg-Walsum). (106)
In jedem Fall muss das abgepumpte Gruben- bzw. Standwasser auch nach Schließung der Zeche weiterhin gereinigt werden. Dazu räumte die RAG im Januar 2016 vornehm ein:
„Der Steinkohlenbergbau beeinflusst die Qualität von Oberflächengewässern vorrangig durch Begleitstoffe des eingeleiteten Grubenwassers.“
Für den Fall, dass es zu umweltunverträglichen Grubenwassereinleitungen in Oberflächengewässern kommen, hat die RAG „vorgesorgt“: „Zudem werden von der RAG an den Wasserhaltungsstandorten Flächen vorgehalten, auf denen im Bedarfsfall Grubenwasseraufbereitungsanlagen installiert werden können.“ (107) Dabei lässt das Unternehmen offen, wie lange eine solche Installation im Bedarfsfall dauert.
- Kontamination des Grundwassers
Gleiches gilt für das Grundwasser, das längst belastet ist. An rund 100 Standorten wird die Qualität des Grundwassers durch rund 2.100 Messstellen vom linksrheinischen Kampf-Lintfort und Neukirchen-Vluyn über Marl und Essen bis nach Hamm und Ahlen überwacht. (108) Zwanzig Pumpanlagen mit über 80 Förderbrunnen und Drainagen dienen zugleich der Grundwasserreinigung durch Aktivkohleabsorber. Allerdings räumt die RAG ein, dass auch die Grundwasserreinigung eine Ewigkeitsaufgabe ist:
„Bis Erfolge bei der Grundwassersanierung einstellen, braucht es unter Umständen viel Zeit – da die Schadstoffe nur mit sehr großem Aufwand und letztendlich nie vollständig aus dem Untergrund geholt werden können, muss die Grundwasserreinigung als eine Ewigkeitsaufgabe durchgeführt werden, um Beeinträchtigungen der Umwelt dauerhaft zu minimieren.“ (109)
Die Kontrolle der Einleitungen in die Flüsse nimmt die RAG-Montan Immobilien GmbH weitgehend in „Selbstüberwachung“ vor, wie die RAG in ihrer Broschüre „Aufgaben für die Ewigkeit“ (S. 14) im Januar 2016 darlegte:
„Einmal jährlich führt die Bezirksregierung Arnsberg eine Überprüfung der bergbaulichen Gewässerbenutzungen (Wasserschau) durch. Dabei erhält die Bergbehörde unter anderem Einblick in die Betriebstagebücher, in denen die Fachleute der RAG ihre Arbeit in der Wasserhaltung dokumentieren. (…) Zur Überprüfung der Grubenwasserqualität auf die Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie erarbeitete die RAG mit dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in NRW einen sogenannten Parameterkatalog. Die Daten des Monitorings erhebt die RAG bei der Selbstüberwachung. Das LANUV wertet die Daten aus, um den Einfluss von Grubenwasser auf den Zustand von Gewässern zu beurteilen.“ (110)
Explosives Grubengas
Während das Ende des Steinkohlebergbaus neue Gefahren für das Ruhrgebiet heraufbeschwört, gibt es ein Problem fortan nicht mehr: die Luftverschmutzung durch die Steinkohleförderung.
Für rund hundert Jahre war die Luftverschmutzung durch die Rauchgasfreisetzung und Staubemissionen über die Schornsteine der Wohnungen und die Schlote der Fabriken ein ernstes Gesundheitsproblem. Bereits im Jahr 1909 berichtete der Königliche Gewerberat Dr. Klocke (Bochum):
„Wer von Berlin kommend den Industriebezirk durchquert, der wird es deutlich wahrnehmen, wie der Zug bei Hamm plötzlich in diese Dunstwolke gerät und darin bis Düsseldorf und darüber hinaus verbleibt, so dass sich wohl schon mancher Reisender gefragt haben mag, wie die Menschen in solcher Luft überhaupt zu leben vermögen.“
An dieser Sachlage sollte sich bis in die siebziger/achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht viel ändern. Damals gab es wiederholt SMOG-Alarm in den Städten des Ruhrgebietes: Dann wurden Fahrverbote vorübergehend verhängt, die Industrie musste ihre Produktion zeitweise zurückfahren.
Erst mit der Steinkohlenkrise und dem Zechensterben ab den späten fünfziger Jahren wurde das Prärogativ der Steinkohlenförderung um jeden Preis gebrochen und es konnte sich langsam die Forderung nach einem verbesserten Umweltschutz auch in der Bergbauindustrie durchsetzen: „Blauer Himmel über der Ruhr“ lautete die neue politische Parole. Mit der Technischen Anleitung Luft (TA Luft) aus dem Jahr 1964 und der Großfeuerungsanlagen-Verordnung von 1983 wurden gesetzliche Grundlagen geschaffen. Mit dem Ende der Steinkohlenförderung fällt zwar diese Ursache des Umweltproblems weg, damit ist das Problem an sich aber noch nicht völlig aus der Welt geschafft. Die Problematik hat sich nur gewandelt.
Entgegen dieser blau-grünen Ökoidylle tritt auch bei einer stillgelegten Zechenanlage fortwährend eine bestimmte Restmenge an Grubengas aus den unterirdischen Stollen aus, da die nicht abgetragene Kohleschichten weiterhin ausgast. Dies ist deshalb bedenklich, weil das diffundierende Methan rund 21-mal so klimaschädlich ist wie Kohlendioxid.
Die RAG taxierte die Gasvolumina folgendermaßen:
„Für das Ruhrrevier kann man eine Menge von ca. 500 bis 1000 km3 Gas annehmen, das nach der Ausgasung in geologischen Zeiten noch im Gebirgskörper verblieben ist. Hiervon sind durch den Bergbau bislang 10 – 20 % freigesetzt worden, rund 100 Mrd. m3. Von diesen großen Restgasmengen, die durch die vom Bergbau aktivierten Gaswegigkeiten an die Tagesoberfläche dringen können, befinden sich ca. 100 Mrd. m3 noch in den unmittelbar durch Bergbau erschlossenen Lagerstättenanteilen zwischen - 600 m und – 1000 m Tiefe und meist oberhalb des derzeitigen Grubenwasserspiegels. (…)
DMT-Untersuchungen (gemeint ist die DMT GmbH & Co KG in Essen, G. P.) führten zu der Erkenntnis, dass „bei einer im Ruhrgebiet üblichen Durchbauung der Lagerstätte im Mittel davon auszugehen ist, dass nach Einstellung der Abbautätigkeit eines Bergwerks ein Restgehalt von 10 – 30 % des ursprünglichen Gasinhalts in den beeinflussten Flözen verbleibt.“ (111)
Bei mindestens 3.600 Schächte im Ruhrgebiet gilt das Volumen der Ausgasung als „beachtlich“. Ein stillgelegtes Bergwerk kann noch über Jahrzehnte ausgasen. (112)
Nach Stilllegung einer Zeche wird der Schacht durch Füllmaterial und bis zu 15.000 Tonnen Zement auf einer Länge von mehreren hundert Metern zugeschüttet und durch eine Betonplatte abgedeckt. Diese Haube wird nach ihrem Hersteller, der Firma „Protego Flammenfilter GmbH“ (Braunschweig), als „Protegohaube“ bezeichnet. Sie hat ein Loch, durch das das immer weiter anfallende Grubengas Methan mittels einer Entgasungsanlage an der Erdoberfläche an die Umwelt abgegeben werden kann. Dazu ist die Entgasungsanlage mit einer Flammdurchschlagssicherung und einem Blitzschutz ausgestattet. (113) Zu ihrem Schutz wird die kleine Anlage eingezäunt.
Darüber hinaus wird das überschüssige Grubengas an 124 RAG-Standorten in Blockheizkraftwerken zum Heizen und zur Stromerzeugung genutzt. Daran ändert sich anscheinend auch nichts durch die Stilllegung der Gruben. Obwohl die RAG als Zechenbetreiber jahrzehntelang die Luft im Kohlenpott verpestet hat, versucht sie heute, sich in ihren Publikationen als menschen- und umweltfreundliches Unternehmen darzustellen, das verantwortungsvoll wirtschaftet. Zentralbereichsleiter Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz (AGU) ist z. Zt. Joachim Löchte.
Wie lange dauert die Ewigkeit?
Um die gegenwärtigen und zukünftigen Folgeschäden des Bergbaus zu händeln, spricht die Ruhrkohle AG von den „Ewigkeitsaufgaben“. Dieser Begriff bezieht sich aber nur auf das Wassermanagement, nicht auf die weiterhin drohenden Bergschäden. Niemand weiß, wie lange diese „Ewigkeit“ dauert, jedenfalls müssen diese Aufgaben solange erledigt werden, wie Menschen das Ruhrgebiet bevölkern. Wie umfangreich diese jährlichen „Aufgaben“ zukünftig werden, bleibt abzuwarten. Matthias Brake meinte schon Anfang 2014 auf „Telepolis“: „Eines Tages könnte sich allerdings schon die Frage stellen, was wirtschaftlicher ist: Pumpen oder Umsiedeln.“ (114)
Zur Finanzierung der Ewigkeitskosten gründete die RAG bereits im Jahr 2007 eine eigene Stiftung und unterzeichnete einen entsprechenden Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag. Die Unternehmenseigene Stiftung hat ihre Zentrale auf dem Gelände der Zeche Zollverein (Essen-Stoppenberg) und soll ab dem 1. Januar 2019 für die Ewigkeitslasten aufkommen. (115) Die RAG Stiftung erwirtschaftet ihre Mittel aus Beteiligungs- und Kapitalerträgen an der „Evonik Industries AG“ oder der „Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH“ etc. und aus den Zinsgewinnen. Sie hat mittlerweile ein Vermögen von 17 Milliarden Euro angehäuft. Sie hat ihre entsprechenden Rückstellungen auf mittlerweile mindestens 5,27 Milliarden Euro erhöht, mit denen die Ewigkeitslasten kostendeckend finanziert werden sollen.
Ein Gutachten der „KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft“ im Auftrag des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vom 23. November 2006 schätzte die Ewigkeitskosten auf mindestens 12,5 bis 13,1 Milliarden Euro. In einer Pressemeldung der „Wirtschaftswoche“ hieß es damals:
„In dem Gutachten gibt KPMG zudem die Stilllegungskosten mit rund einer Milliarde Euro an. Im Einzelnen gibt KPMG den Barwert zukünftiger Ausgaben mit knapp fünf Milliarden Euro für die Grubenwasserhaltung an, mit jeweils rund zweieinhalb Milliarden für Dauerbergschäden und Altersversorgung, mit über einer Milliarde für Bergschäden an Objekten, gut 600 Millionen für Schachtsicherung und eine halbe Milliarde für Grundwasserreinigung.
Auf der anderen Seite beziffert KPMG die dafür insgesamt angelegten Rückstellungen bei der RAG mit sechs Milliarden und die Deckungslücke mit gut acht Milliarden Euro. Allerdings weisen die KPMG-Prüfer in ihrem Gutachten noch explizit auf drei unkalkulierbare Risiken hin: Erstens könnte Methangas beschleunigt an die Tagesoberfläche gedrückt werden, zweitens steige mit einem Wasseranstieg die Gefahr zusätzlicher Bergschäden, und drittens könnte mit einem Wasseranstieg Trinkwasser verunreinigt werden. Damit könnten die Altlasten- und Ewigkeitskosten noch weit über die kalkulierten 12,5 bis 13 Milliarden Euro hinaus gehen.“ (116)
Demgegenüber rechnet die RAG bzw. der Industrieverband Kohle mit jährlichen Kosten in Höhe von 220 Millionen Euro. (117) Nach Angaben der RAG-Stiftung werden davon 66 Prozent für die Grubenwasserhaltung aufgewendet, 5 Prozent dienen der Grundwasserreinigung und 29 Prozent fließen in Poldermaßnahmen für den Hochwasserschutz. (118)
Sollte die Kosten steigen oder die Stiftung eines Tages die notwendigen Mittel nicht mehr aufbringen können, müssen der Bund und die Bundesländer NRW und Saarland für die Differenz aufkommen. So heißt es in Paragraph 3 Abs. 1 des Erblastenvertrages vom 14. August 2007:
„Falls und insoweit entsprechend den Vorbemerkungen nach dem Zeitpunkt der Einstellung des subventionierten Steinkohlenbergbaus die RAG-Stiftung nachweislich nicht mehr in der Lage sein wird, die bis zum Ende des folgenden Geschäftsjahres bestehenden Zahlungsverpflichtungen zur Durchführung und Leistung von Ewigkeitslasten zu erfüllen, ist das Land NRW verpflichtet, der RAG-Stiftung die Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, die zur Durchführung und Leistung der konkret anstehenden, fälligen Ewigkeitslasten, die aus einem im Zeitpunkt des Abschusses dieses Vertrages im Land NRW belegenen Bergwerksbetrieb der RAG AG resultieren und zwingend erforderlich sind („Landesleistung“).“ (119)
So wird denn der deutsche Steuerzahler gleich dreifach zur Kasse gebeten: 1. Er zahlte den marktüblichen Preis für die Kohle, die er für den Eigenbedarf verbraucht hat; 2. er trug seinen Anteil an den jahrzehntelangen, staatlichen Subventionszahlungen; 3. er kommt für die langfristigen Schäden auf, die durch den Kohleabbau ausgelöst wurden.
Zwar ist deutschen Diplom-Ingenieuren bekanntlich keine Aufgabe zu schwer, aber was ist, wenn sie sich in ihren Berechnungen zur Unendlichkeit der Ewigkeit geirrt und in ihren zeitlosen Prognosen verschätzt haben oder sich neue Problemzusammenhänge auftun, an die bisher keiner gedacht hatte. Bisher kann man lediglich auf die Erfahrungen zurückgreifen, die man in den letzten hundert Jahren durch die Schließung jeder einzelnen Zechen gemacht hat. Das, was die RAG jetzt mit ihrem Grubenwasserhaltungskonzept vorhat, hat eine andere Dimension. Es ist ein ökologisches Experiment auf einer 4.000 qkm großen Fläche „schweizer Käse“. Die Planungen dazu müssen nicht nur für das Jahr 2018 oder 2019 hinreichend sein, sondern sie auch noch am 27. März 2056, 20. Februar 2064 oder 12. November 2080 ausreichend sein.
Auf die staatlichen Behörden ist längst kein Verlass mehr: So kritisierte der ehemalige Abteilungsleiter für Abfallwirtschaft und Bodenschutz im NRW-Umweltministerium, Harald Friedrich, das mangelnde Umweltbewusstsein und die mangelnde Kontrolle durch die Bürokraten der Bergbaubehörden:
„Das Bergrecht an sich ist aber kein den Umweltgesetzen vergleichbares Recht. Im Endergebnis kennt es nur die hundertprozentige Durchsetzung der Interessen des Bergbautreibenden und keine ernst zu nehmende Abwägung mit den öffentlichen Interessen und den Belangen des Umweltschutzes. Dazu kommt leider noch, dass die das Bergrecht umsetzenden Mitarbeiter der Bergbehörden nicht den im Vergleich mit anderen Behörden nötigen Abstand zu dem Antragsteller, dem Bergbautreibenden, haben. Die Mitarbeiter der Bergbehörden legen meistens ein Genehmigungsverhalten an den Tag, als seien sie lediglich vom Staat bezahlte Befehlsempfänger des Bergbautreibenden.“ (120)
Bisher hat die Stiftung gerademal 30 Millionen Euro an Fördermitteln für die Aktion „Glückauf Zukunft!“ ausgeschüttet, mit der die Ära des Steinkohlebergbaus verklärt werden soll. Davon floss die Hälfte in die Modernisierung des Deutsche Bergbau-Museums (DBM) in Bochum.
Wenn am 21. Dezember 2018 auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop die letzte Rede geschwungen ist, die Champus-Gläser gespült, die restlichen Schnittchen in der Biotonne gelandet, die Musiker ihre Instrumente eingepackt haben und die folgenden Weihnachtsfeiertage das ganze Land lähmen, könnte man unten im Berg das ewige Krachen und Krätzen im Gestein hören, wenn denn noch jemand in der finsteren Leere da wäre. Immer dann, wenn über dem Ruhrgebiet ein Regenschauer niedergeht, rinnt das Wasser in die Tiefe und bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg durch alte Stollen und Strebe und …..
Quellen:
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(2) www.bergschaden-kohlebergbau.de/ruhr/presse/pr1430nrz.htm
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Zeche
(4) www.foerdergerueste.de/geschichte_bergbau.htm
(5) www.stern.de/panorama/gesellschaft/steinkohle
-im-ruhrpott--2018-macht-die-letzte-zeche-dicht-7446898.html
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Steinkohlenbergbau
(7) www.fr.de/wirtschaft/energie/schwarzes-gold-abschied-von-der-kohle-a-1416146
(8) www.zeit.de/2017/20/steinkohle-nordrhein-westfalen
-landtagswahl-ruhrpott/komplettansicht?print
(9) https://de.wikipedia.org/wiki/Ruhrgebiet
(10) www.spiegel.de/spiegel/print/d-143471168.html
(11) https://de.wikipedia.org/wiki/Karbon
(12) https://de.wikipedia.org/wiki/Inkohlung
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Kohle
(14) http://ruhrzechenaus.de/glossar/Grubengas2004_1.pdf
(15) www.wr.de/daten-archiv/bergbau-startet-mit-abbau-
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(16) https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Bergwerken_in_Nordrhein-Westfalen
(17) https://rp-online.de/nrw/bergbauschaeden-a-45-gesperrt_aid-13854251
(18) www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-1407.pdf
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(23) www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/
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(24) https://de.wikipedia.org/wiki/Bergbauprojekt_Donar
(25) https://de.wikipedia.org/wiki/Steiger_(Bergbau)
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(27) https://www.gesetze-im-internet.de/bbergg/index.html
(28) www.nrz.de/wirtschaft/rag/voller-einsatz-klare-strategie-id215150851.html
(29) www.landtag-saar.de/Drucksache/Aw15_1350.pdf
(30) www.thga.de/wissenschaftsbereiche/georessourcen-und
-verfahrenstechnik/master-studium/geoingenieurwesen-und-nachbergbau/
(31) www.bergbaumuseum.de/de/
(32) www.zollverein.de/erleben/denkmalpfad/
(33) https://de.wikipedia.org/wiki/Schildausbau
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(39) https://de.wikipedia.org/wiki/Grubenunglück_1908_auf_der_Zeche_Radbod
(40) https://de.wikipedia.org/wiki/Grubenunglück_1908_auf_der_Zeche_Radbod
(41) www.welt.de/regionales/nrw/article152421527/
Als-Zeche-Grimberg-3-4-zum-Massengrab-wurde.html
(42) https://de.wikipedia.org/wiki/Zeche_Monopol_Schacht_Grimberg_3/4
(43) https://de.wikipedia.org/wiki/Zeche_Sachsen
(44) www.welt.de/regionales/nrw/article172025429/Der-Bergbau
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(46) https://rp-online.de/nrw/bergbauschaeden-a-45-gesperrt_aid-13854251
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(54) www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/
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Dokument/MMV17-1163.pdf
(101) www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/
Dokument/MMV17-1163.pdf
(102) www.welt.de/regionales/duesseldorf/article118385281/Tickende-
Zeitbomben-in-stillgelegten-Zechen.html
(103) www.spiegel.de/spiegel/print/d-143711927.html
(104) www.welt.de/regionales/duesseldorf/article118385281/Tickende-
Zeitbomben-in-stillgelegten-Zechen.html
(105) www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/
Dokument/MMV17-1163.pdf
(106) www.bund-nrw.de/themen/mensch-umwelt/klima-energie/im-fokus/gift-im-schacht/
(107) www.rag.de/fileadmin/user_upload/rag/Dokumente/Download/
Publikationen/RAG_Ewigkeitsaufgaben_Ruhr.pdf
(108) www.rag.de/verantwortung/handlungsfelder/ewigkeitsaufgaben/
(109) www.rag.de/fileadmin/user_upload/rag/Dokumente/Download/
Publikationen/RAG_Ewigkeitsaufgaben_Ruhr.pdf
(110) www.rag.de/fileadmin/user_upload/rag/Dokumente/Download/
Publikationen/RAG_Ewigkeitsaufgaben_Ruhr.pdf
(111) http://ruhrzechenaus.de/glossar/Grubengas2004_1.pdf
(112) http://ruhrzechenaus.de/glossar/Grubengas2004_1.pdf
(113) https://de.wikipedia.org/wiki/Flammendurchschlagsicherung
(114) www.heise.de/tp/news/Neue-Ewigkeitsaufgabe-fuer-die-
Steinkohle-nach-dem-Foerderende-2123077.html
(115) www.rag-stiftung.de/
(116) www.pressebox.de/pressemitteilung/verlagsgruppe-handelsblatt-gmbh-wirtschaftswoche/
KPMG-Studie-Ewigkeitskosten-der-Kohle-betragen-13-Milliarden-Euro-
Unwaegbare-Risiken-fuer-Trinkwasser/boxid/87142
(117) www.wz.de/wirtschaft/aus-fuer-kohle-kostet-220-millionen-pro-jahr-fuer-immer_aid-25637317
(118) www.rag-stiftung.de/ewigkeitsaufgaben/
(119) www.landtag-saar.de/Drucksache/Aw15_1350.pdf
(120) www.welt.de/regionales/duesseldorf/article118385281/Tickende-
Zeitbomben-in-stillgelegten-Zechen.html