Jennifer W.: Dschihadismus gepaart mit „Anstand“ und Sadismus
Gerhard Piper
10. April 2019
Am 9. April 2019 begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Jennifer W. aus Lohne in Niedersachsen. Sie war Mitglied des „Islamischen Staates“ und seiner „Sittenpolizei“ in Syrien und Irak. Jennifer W. ist u. a. angeklagt, sie habe im September 2015 in Falludscha eine fünfjährige „Sklavin“ verdursten lassen.
Jennifer W. ist deutsche Staatsangehörige. Sie wohnt in Lohne im Landkreis Vechta (Niedersachsen). Sie besuchte zunächst das Gymnasium, wechselte dann aber zur Realschule. Nach der 8. Klasse brach sie die Schule ab. Eine Berufsausbildung machte sie nicht. Bekannte beschreiben sie als Aufschneiderin und Schwätzerin, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt.
Im Jahr 2013 konvertierte sie zum Islam. Im August 2014 reiste sie vom Flughafen Münster über die Türkei nach Syrien, wo sie zunächst ein Jahr lang in Raqqa wohnte. Im Sommer 2015 zog sie nach Mossul (Irak), kurze Zeit später nach Falludscha (Irak). In Syrien heiratete sie den irakischen „IS“-Kämpfer „Abu Maawi“ alias Taha A.. Jennifer W. soll u.a. damit geprahlt haben, ihr Ehemann habe für den IS als Emir für „Geisteraustreibung“ gearbeitet. Andere Quellen behaupten jedoch, der Ehemann sei gar nicht IS-Mitglied gewesen. Die Terrormiliz sei deshalb dagegen gewesen, dass Jennifer W. ihn heiratete. (1)
Jennifer W. gilt seit Juni 2015 als Mitglied der „Hisba“, der „Sittenpolizei“ des „Islamischen Staates“. So patrouillierte sie mit einem Sturmgewehr Kalaschnikow, Pistole und Sprengstoffweste durch die Parkanlagen von Mossul und Falludscha und ermahnte die PassantInnen, auf die Einhaltung der Kleiderordnung und der islamischen Regeln zu achten. Dafür erhielt sie einen „Lohn“ in Höhe von 50 bis 100 Dollar monatlich.
Das Ehepaar kaufte sich eine jesidische Haussklavin – Nora B.. Die gefangene Frau wurde von beiden Eheleuten wiederholt misshandelt. Einmal hielt ihr Jennifer W. eine Pistole an die Schläfe und drohte ihr, sie werde sie erschießen, wenn sie sich nicht „anständig“ benehmen würde. Außerdem hatte Nora B. eine fünfjährige Tochter namens Reda Saido. Das Mädchen wurde von Jennifer W. und ihrem Mann Abu Maawi im September 2015 in Falludscha grausam ermordet, indem man das Kleinkind bei Außentemperaturen von 45 Grad Celsius ankettete und verdursten ließ. Dazu berichtete der „Norddeutsche Rundfunk“.
„Das fünfjährige Mädchen bekam kaum etwas zu essen, erzählt seine Mutter Nora B. Das Kind durfte nicht vor die Tür und musste mit dem Hausherren beten, obwohl es keine Muslima war. Wenn die Kleine die Bewegungen nicht richtig ausführte, soll der Hausherr sie mit der flachen Hand auf den Hinterkopf geschlagen haben. Sie durfte noch nicht einmal ihren jesidischen Namen Reda Saido behalten, ein Name einer "Ungläubigen", sagte der Hausherr und nannte sie stattdessen Rania. Die Mutter Nora B. sagt, dass sie während ihrer Gefangenschaft als seine Sklavin immer wieder verprügelt wurde. Die brutale Behandlung nahm erst ein Ende, als Reda Saido starb.
Es war ein Tag im September 2015. Die Jesidin Nora B. und ihre fünfjährige Tochter Reda Saido waren erst einige Wochen im Haus des IS-Kämpfers Abu Maawi und seiner deutschen Frau Jennifer W. im irakischen Falludscha, als das Kind sich einnässte. Zur Strafe fesselte er das Mädchen in der Mittagshitze im Hof. "Mama", habe es immer wieder gerufen, erzählt Nora B., aber sie habe ihrem Kind nicht helfen dürfen. Nora B. musste mit ansehen, wie ihre Tochter in der Hitze langsam verdurstete. Jennifer W. aus Lohne (Landkreis Vechta), die deutsche Herrin, habe zwar irgendwann ein Glas Wasser nach draußen gebracht, aber da sei es schon zu spät gewesen. (…)
Die Bundesanwaltschaft wirft Jennifer W. vor, durch Unterlassen den Tod des Mädchens herbeigeführt zu haben. Sie habe erkannt, dass das Kind verdursten werde, sei aber nicht eingeschritten, obwohl es ihr möglich und zumutbar gewesen wäre.“ (2)
Später berichtete Jennifer W. in einem vertraulichen Gespräch, das die deutsche Polizei abhören konnte, der Tod des kleinen Mädchens sei „sogar für den IS zu krass“ gewesen. Dazu berichtete der „Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 6. April 2019 (S. 49):
„Jennifer W. sagte dem Fahrer, sie habe ihren Mann mehrmals gebeten, das Mädchen loszubinden, es nach drinnen zu holen. Auch im Nachhinein betrachtet, so soll Jennifer W. im Auto bekundet haben, sei die Tat ihres Mannes nicht richtig gewesen. Es sei schließlich Allah vorbehalten, mit Feuer, also der Sonne, zu bestrafen. (…) In Jennifer W.s Fall dürfte es für das Gericht in München unter anderem wichtig sein, ob und wie hartnäckig sie versuchte, das Martyrium des Mädchens zu beenden.“
Der Generalbundesanwalt führte in einer ersten Pressemitteilung zu den Verfehlungen von Jennifer W. folgendes aus:
„Jennifer W. verließ Ende August 2014 die Bundesrepublik Deutschland, um sich der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat (IS)“ anzuschließen. Über die Türkei und Syrien reiste sie im September 2014 in den Irak ein und gliederte sich unmittelbar danach in die Entscheidungs- und Befehlsstruktur des „IS“ ein.
Fortan patrouillierte die Beschuldigte für die „Sittenpolizei“ des „IS“ abends in den Parks der irakischen Städte Falludscha und Mossul. Ihre Aufgabe war es darauf zu achten, dass Frauen die von der Terrororganisation aufgestellten Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften einhalten. Als monatliche Entlohnung erhielt Jennifer W. hierfür vom „IS“ zwischen 70 und 100 US-Dollar.
Ende Januar 2016 suchte die Beschuldigte die Deutsche Botschaft in Ankara auf und beantragte dort neue Ausweispapiere. Beim Verlassen des Botschaftsgebäudes wurde sie von Angehörigen türkischer Sicherheitsbehörden festgenommen. Wenige Tage später wurde sie in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Seither hat es sich die Beschuldigte zum Ziel gesetzt, in das Herrschaftsgebiet des „IS“ zurückzukehren.“ (3)
Im Dezember 2018 ergänzte der Generalbundesanwalt seine Anklage gegen Jennifer W. und warf ihr vor, an der Ermordung eines Kleinkindes beteiligt gewesen zu sein. In einer ergänzenden Pressemitteilung hieß es:
„Die Angeschuldigte und ihr Ehemann kauften im Sommer 2015 aus einer Gruppe von Kriegsgefangenen heraus ein fünf Jahre altes Mädchen und hielten das Kind in der Folgezeit in ihrem Haushalt als Sklavin. Nachdem das Mädchen erkrankt war und sich deshalb auf einer Matratze eingenässt hatte, kettete der Ehemann der Angeschuldigten das Mädchen zur Strafe im Freien an und ließ das Kind dort bei sengender Hitze qualvoll verdursten. Die Angeschuldigte ließ ihren Ehemann gewähren und unternahm nichts zur Rettung des Mädchens.“ (4)
Auch Jennifer W. und ihr Ehemann haben ein gemeinsames Kind. Zur Geburt ihrer Tochter reiste Jennifer W. im Januar 2016 über die Türkei zurück nach Lohne. Dazu tauchte sie in der deutschen Botschaft in Ankara auf und beantragte neue Personalpapiere. Anschließend wurde sie von türkischen Sicherheitskräften festgenommen und kurz darauf in die BRD abgeschoben. In Deutschland leitete sie als Administratorin eine „Telegram“-Chatgruppe mit rund 720 Mitgliedern (Stand: Mitte 2018). Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland stand sie unter Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden.
Das Leben in Deutschland war für Jennifer W. „unerträglich“, sie wollte daher zurück ins Kriegsgebiet. Als Jennifer W. im Juni 2018 erneut nach Syrien/Irak ausreisen wollte, geriet sie an einen V-Mann des Federal Bureau of Investigations (FBI), der ihr Anbot, sie und ihre Tochter nach Syrien zu bringen. Daraufhin erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof am 27. Juni 2018 Haftbefehl. Bei der versuchten Ausreise am 2. Juli 2018 erzählte Jennifer W. ausgiebig im verwanzten Auto über ihre früheren Aktivitäten in Syrien/Irak. Als die Fahrzeuginsassen an einer Autobahnraststätte bei Neu-Ulm (Bayern) eine Pause einlegten, wurde Jennifer W. durch ein Einsatzkommando der Zentralen Kriminalinspektion Oldenburg festgenommen.
Jennifer W. verbringt ihre U-Haft in der JVA Vechta. Am 14. Dezember 2018 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts München Anklage gegen Jennifer W.. Der Prozess begann am 9. April 2019 vor dem Staatsschutzsenat unter dem Vorsitzenden Richter Reinhold Baier. (5) Die Bundesanwaltschaft wirft Jennifer W. folgende Straftaten vor: Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Mord aus niedrigen Beweggründen, Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Anklage wurde u. a. vertreten durch die Oberstaatsanwältin Claudia Gorf. Als Verteidiger fungieren Ali Aydin (Frankfurt) und Seda Başay-Yildiz (Frankfurt).
In dem Prozess vor dem Oberlandesgericht München tritt die frühere „Sklavin“ Nora B. als Nebenklägerin auf. Nora B. lebt heute in Deutschland. Sie wird von der Global Yazidi Organization (Yazda) mit Sitz in Houston (Texas, USA) betreut. Ihr Ehemann und ihre beiden Söhne sind verschollen. Da sie erst kurz vor Prozessbeginn aufgespürt wurde und eine umfassende Aussage gegenüber der Polizei gemacht hatte, wurde das Verfahren gleich nach Prozessbeginn vertagt, um den Verfahrensbeteiligten Zeit zum Aktenstudium zu gewähren. Nora B. wird vertreten durch die Rechtsanwälte Nathalie von Wistinghausen (Berlin) und Wolfgang Bendler (München) sowie die international bekannte Menschenrechtsanwältin Amal Clooney (New York, USA) und ihre Kollegin Anna Bonini (London). Nora B. sagte in einer polizeilichen Vernehmung aus, Jennifer W. habe tatsächlich ihren Mann aufgefordert, das Kind nach drinnen zu holen. Als das Kind schon tot war, habe er es in ein Krankenhaus gefahren.
Das Verfahren ist der erste Prozess gegen eine „Rückkehrerin“ aus dem Dschihad in Deutschland. Zugleich ist es ein wichtiger Prozess zur internationalen Aufarbeitung des versuchten Völkermordes der Islamisten an den christlichen Jesiden. Allerdings zeigt das zivile Strafverfahren auch eine Lücke im deutschen Justizsystem: Es gibt zwar eine Wehrgerichtsbarkeit für Straftaten in Friedenszeiten, aber keine Militärjustiz für Kriegszeiten. Das berüchtigte Reichskriegsgericht in Berlin-Charlottenburg bzw. Torgau war 1945 aufgelöst worden. Seit 2012 existiert lediglich eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Kempten, die – neben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe - Verbrechen von Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen aufklären soll, aber immer nichts Verwerfliches feststellen kann. Jennifer W. gehörte dem „Islamischen Staat“ an, während die Bundeswehr gleichzeitig einen Militäreinsatz gegen die Terrororganisation durchführte, gleichzeitig bekämpfte Jennifer W. – auf ihre Art – die Jesiden, obwohl die Bundeswehr diese Bevölkerungsgruppe mit Hilfe der Kurden militärisch und humanitär unterstützte. Während die Bundeswehr bereits seit 1991 „out-of-area“-Einsätze von Mali bis Kampuchea mit zweifelhaftem Erfolg durchführt, gibt es keine Militärgerichtshöfe, die Fälle von Hochverrat deutscher Zivilisten und Kombattanten aburteilen könnten. Als sich der Bundestag für deutsche Militärinterventionen zu begeistern begann, dachte man noch nicht daran, dass im Ausland lebende deutsche Staatsbürger zum militärischen Gegner werden könnten.
Die Tochter von Jennifer W. wächst bei ihrer Großmutter in Lohne auf.
Ihr Ehemann wurde wegen seiner kriminellen Behandlung der jesidischen „Sklaven“ von einem „IS“-Schariagericht zu einer Prügelstrafe verurteilt und danach nach Raqqa geschickt, wo er möglicherweise weiter bestraft werden sollte. Allerdings gelang ihm die Flucht, er soll sich zuletzt in der Türkei aufgehalten haben.
Quellen:
(1) www.br.de/nachrichten/bayern/muenchner-terrorprozess-liess-is-anhaengerin-kind-verdursten,RMrTstx
(2) www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/IS-Anhaengerin-aus-Lohne-wegen-Mordes-vor-Gericht,jenniferw100.html
(3) www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=20&newsid=779
(4 ) www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?themenid=20&newsid=812
(5) https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/oberlandesgerichte/muenchen/presse/2019/17.php