Festnahme eines "Hybriden" aus Katalonien
Gerhard Piper
24. September 2021
Am 23. September 2021 wurde der katalane Politiker Charles Puigdemont von der italienischen Polizei aufgrund eines spanischen Haftbefehls auf Sardinien festgenommen. Es bleibt abzuwarten, ob die Italiener ihn an Spanien ausliefern werden. Ein Prozess könnte spannend werden.
Katalonien ist ein integrativer Teil Spaniens und hat – laut spanischer Verfassung – kein Recht, sich vom Königreich der vergammelten Bourbonen abzuspalten. Soweit die geltende Rechtslage. Klar ist aber auch, dass sich die Masse der Katalanen am liebsten so schnell wie möglich von Spanien lossagen würde, wenn sie es denn könnten. Die jüngsten Unabhängigkeitsbestrebungen scheiterten erwartungsgemäß. Im Hintergrund zog die russische Regierung an den Fäden.
In Katalonien, der nordöstlichen Provinz Spaniens, gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Bewegung für die Loslösung von Spaniens und nationale Unabhängigkeit – „independentism català“. Am 1. Oktober 2017 ließ die Provinzregierung „Generalitat de Catalonha“ ein Unabhängigkeitsreferendum durchführen, trotz erheblicher Widerstände von Seiten der rot-roten Zentralregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez Pérez-Castejón (Partido Socialista Obrero Español - PSOE) und seines damaligen linkspopulistischen Vizepräsidenten Pablo Manuel Iglesias Turrión (Podemos) in Madrid. So ging die Guardia Civil mit großer Brutalität gegen die Katalanen vor. Der Volksentscheid endete damit, dass sich 90 Prozent für eine Unabhängigkeit aussprachen, allerdings hatten nur 43 Prozent der Bevölkerung an der Abstimmung teilgenommen und es gab Meldungen über Unregelmäßigkeiten.
Am 10. Oktober 2017 verkündete der katalanische Präsident Carles Puigdemont die Unabhängigkeit, setzte sie aber sogleich aus. Die spanischen Behörden verhaftete daraufhin zwölf führende Politiker der Unabhängigkeitsbewegung, Puigdemont selbst konnte nach Belgien flüchten, wo er heute Abgeordneter des Europaparlamentes ist. Außerdem gab es im Hintergrund Drohungen des spanischen Militärs, die Unabhängigkeitsbewegung zu zerschlagen. (1)
Angesichts der spanischen Machtverhältnisse und der fehlenden Unterstützung durch die EU wandten sich die Katalanen an die russische Regierung. Der Führer der Unabhängigkeitsbewegung Carles Puigdemont war daran auf katalanischer Seite nur mittelbar involviert. Allerdings reiste sein Berater Josep Lluis Alay Rodriguez im März und Juni 2019 gleich zweimal nach Russland, um sich mit den russischen Nachrichtendienstlern zu beraten. Begleitet wurde Alay von dem russischen Geschäftsmann Alexander „Sascha“ Dmitrenko, der über Verbindungen zu den russischen Nachrichtendiensten und zur Mafia verfügt. Außerdem flog Victor Terradellas Maré, der für Außenpolitik zuständiger Parteisekretär der Convergència Democràtica de Catalunya (CDC), im Oktober 2017 zu Gesprächen mit einem Sergei Markow nach Russland. Auch Puigdemonts Anwalt Gonzalo Boye reiste im Februar 2020 nach Russland, um sich dort mit dem Mafia-Paten Vasily Khristoforov zu treffen. Bei den Gesprächen soll es u. a. um den Aufbau eines von Spanien unabhängigen Bankensystems gegangen sein.
Im Rahmen ihrer hybriden Kriegsführung unterstützte die russische Regierung die Unabhängigkeitsbewegung. Mit der Aufgabe waren mehrere Geheimdienstoffiziere beauftragt: Generalmajor Denis Vyacheslavovich Sergeev vom Militärgeheimdienst Glawnoje Uprawlenije (GU) sowie der frühere Agent des Inlandsgeheimdienstes Federalnaja sluschba besopasnosti (FSB) und Stellvertretende Außenminister Armeegeneral Oleg Vladimirovich Syromolotov. An den Gesprächen in Moskau waren außerdem der frühere KGB-Agent Andrej Besrukow, Professor an der Kaderschmiede MGIMO in Moskau, und Jewgeni Primakow, ein Enkel des früheren Geheimdienstchefs Primakow, beteiligt.
Im Oktober 2019 flogen Oberst Sergei Sumin vom präsidialen Sicherheitsdienst Federalnaja Sluschba Ochrany (FSO) und ein Artyom Lukoyanov nach Barcelona, um sich vor Ort ein Bild von der Lageentwicklung zu machen. Anscheinend wurde innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung mit der Internet-Plattform „Demokratischer Tsunami“ eine Organisationsstruktur geschaffen, die Großdemonstrationen am Flughafen Barcelona (14. Oktober 2019) und an der Autobahn AP-7 (Spanien-Frankreich) bei Gerona (12. November 2019) organisierte. Es hieß, die Domain sei von russischen Hackern gesteuert gewesen. (2)
Als die katalanische Unabhängigkeitsbestrebungen angesichts der spanischen Repression scheiterte, flüchtete Charles Puigdemont im Herbst 2017 nach Brüssel, um einer Gefangennahme zu entgehen. Dort wurde er 2019 Abgeordneter des Europaparlamentes und genoss als Solcher diplomatische Immunität. Allerdings hob das Europaparlament am 8. März 2021 die Immunität per Beschluss auf.
Als er nun zu einer politischen Veranstaltung in die katalanisch geprägte Stadt Alghero auf Sardinien reiste, schlug die italienische Justiz zu. Am Flughafen von Alghero wurde er von Carabinieri festgenommen. Nun muss das Berufungsgericht in Sassari über eine mögliche Auslieferung Puigdemont an Spanien entscheiden. (3)
Gerichte in Belgien und Deutschland hatten dies zuvor abgelehnt, so der I. Strafsenat des Oberlandesgerichts Schleswig mit Beschluss vom 12. Juli 2018. Das OLG erklärte damals:
„Der Senat hat eine Auslieferung wegen des Vorwurfs der Rebellion für nicht zulässig angesehen. Die dem ehemaligen katalanischen Regierungspräsidenten vorgeworfenen Handlungen erfüllten weder den deutschen Straftatbestand des Hochverrats (§ 81 Strafgesetzbuch) noch den des Landfriedensbruchs (§ 125 Strafgesetzbuch). Ein Ausmaß an Gewalt, wie es die Vorschrift des Hochverrats vorsehe, sei durch die Auseinandersetzungen in Spanien nicht erreicht worden. Eine Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs scheide aus, weil es Carles Puigdemont lediglich um die Durchführung des Referendums gegangen sei. Er sei kein „geistiger Anführer“ von Gewalttätigkeiten gewesen. (...)
Mit dem Referendum vom 1. Oktober 2017 selbst werde dieses Ausmaß von Gewalt schon deshalb nicht verwirklicht, weil es nicht unmittelbar zur Loslösung von Spanien habe führen können und gerade nach dem Willen des Verfolgten Puigdemont nur der Auftakt zu weiteren Verhandlungen habe sein sollen. Die besonders vor einer Reihe von Wahllokalen erfolgten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Abstimmungswilligen und der Guardia Civil oder der Nationalpolizei hätten ebenfalls nicht eine Qualität erreicht, dass hierdurch die verfassungsmäßige Ordnung Spaniens ernstlich bedroht worden wäre.
Soweit der Generalstaatsanwalt und die spanische Justiz auf die unter Einbeziehung des Verfolgten ergangene Anweisung an die der katalanischen Regionalregierung unterstehende Regionalpolizei (Mossos d´Esquadra), die Durchführung des Referendums "sicherzustellen", abgestellt hätten, hat der Senat auch hierin keine Veranlassung von Gewalttaten gegenüber Kräften der Zentralregierung gesehen. Zu solchen Gewalttaten sei es nach den vorliegenden Informationen auch nicht gekommen.“ (4)
Zwölf Separatistenführer waren bereits zuvor vor dem Tribunal Supremo unter dem Vorsitzenden Richter Manuel Marchena in Madrid wegen „Staatsstreiches“ angeklagt worden; neun wurden am 14. Oktober 2019 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. So erhielt der frühere katalanische Vizepräsident Orio Junqueras eine Haftstrafe von 13 Jahren. Obwohl er während seiner U-Haft zum Abgeordneten des Europaparlamentes gewählt wurde, blieb er weiterhin in Haft, da die spanische Justiz ein anderslautendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Straßburg vom 19. Dezember 2019 ignoriert.
Nachtrag vom 24. September: Das italienische Gericht hat soeben entschieden, dass Puidgemont ohne Auflagen freigelassen wird.,
Quellen:
(1) N.N.: Altos mandos del Ejército, sobre Cataluña: „Estamos para cumplir lo que dice la Constitución, ECD Confidencial Digital Online, Madrid, Spanien, 10. Juli 2017, o. S.,
Online: www.elconfidencialdigital.com/articulo/defensa/Altos-mandos-Ejercito-Cataluna-Constitucion/20170707144326085948.html
(Download am 24. September 2021)
(2) Schwirtz, Michael / Bautista, José: Married Kremlin Spies, a Shadowy Mission to Moscow and Unrest in Catalonia, New York Times Online, New York, USA, 3. September 2021, o. S.,
Online; www.nytimes.com/2021/09/03/world/europe/spain-catalonia-russia.html
(Download am 7. September 2021)
(3) N.N.: Carles Puigdemont auf Sardinien verhaftet, Spiegel Online, Hamburg, 23. September 2021, o. S.,
Online: www.spiegel.de/ausland/katalonien-carles-puigdemont-auf-sardinien-verhaftet-a-ecff17fb-a0ac-49c5-ab4a-b653080d8de1
(Download am 24. September 2021)
(4) Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht - Pressestelle: Fall Carles Puigdemont: Die Auslieferung wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder ist zulässig, eine Auslieferung wegen des Vorwurfs der Rebellion ist unzulässig. Carles Puigdemont bleibt auf freiem Fuß, Schleswig, 12. Juli 2018, o. S.,
Online: www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/OLG/Presse/PI/201806Puigdemontdeutsch.html
(Download am 24. September 2021)