Militärforschung
  Ukraine-Bundeswehr
 

Ukraine-Krise: Die mittelbar involvierten Verbände der Bundeswehr

Gerhard Piper

8. Februar 2022

Im Rahmen der Ukraine-Krise und angesichts des russischen Truppenaufmarsches verstärkt die NATO ihre militärische Präsenz in Ost- und Südeuropa. Daran sind auch Einheiten und Verbände der Bundeswehr beteiligt.

Heeresverbände

- NATO Response Force

Die NATO hat wiederholt erklärt, dass sie bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine nicht militärisch intervenieren wird, da die Ukraine (noch) kein NATO-Mitglied ist. Allerdings ist die Frage der Bestandspflicht keine rein vertragsrechtliche, sondern eine eminent politische Angelegenheit. So hat die NATO zumindest ihre Militärkräfte in den ukrainischen Nachbarstaaten verstärkt. Die militärisch-operative Führung dieser Truppen liegt bei den NATO-Militärkommandos.

Die operative Kriegführung in Europa ist Aufgabe des Allied Command Operations (AOE). Sein Hauptquartier ist das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) in Casteau bei Mons (Belgien). NATO-Befehlshaber Europa (Supreme Allied Commander Europe – SACEUR) ist traditionell ein US-General. Zur Zeit amtiert Luftwaffen-General Tod Daniel Wolters. Seit Chef des Stabes ist seit dem 30. September 2020 der deutsche Admiral Joachim Georg Rühle.

SHAPE nachgeordnet und für den Bereich Mitte Europe zuständig ist das NATO-Kommando Allied Joint Force Command (JFC) in Brunssum (Niederlande). Es wird von dem deutschen General Jörg Vollmer geführt. Als Chef des Stabes fungiert der französische Generalleutnant Reviers de Mauny. (1)

Als Eingreifverband für Krisenfälle und Bedrohungslagen hat die Allianz ihre NATO Response Force (NRF) aufgestellt. Diese umfasst rund 40.000 Soldaten. Die NRF ist z. Zt. wie folgt gegliedert: 
- Heer: Rapid Reaction Corps France (RRC FRAU)          
- Luftstreitkräfte: französische Joint Force Air Component (FRA JFAC)   
- Marine: britische United Kingdom Strike Force (UKSTRKFOR)  
- Sondereinheiten: italienisches Special Operations Component Command (ITA SOCC)
- ABC-Abwehr: französische Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Defense Task Force (FRAU CBRN TF)     
- Logistik: italienische Multi National CIMIC Group

- Very High Readiness Joint Task Force

Um im Fall einer Krise kurzfristig reagieren zu können, verfügt die NRF seit 2014 über eine Alarmeinheit, die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) mit insgesamt 5.000 bis 6.400 Soldaten. Sie wird derzeit von der Deutsch-Französischen Brigade (HQ Müllheim, Robert-Schuman-Kaserne, Kinzigstraße 2) unter Führung des französischen Brigadegenerals Jean-Philippe Leroux gestellt. Die VJTF wird von einem Joint Task Force HQ aus geführt. Die Truppe muss innerhalb von zwei bis drei Tagen ihre Abmarschbereitschaft herstellen.

- Deutsch-Französische Brigade

Der Deutsch-Französischen Brigade sind folgende Bundeswehr-Verbände unterstellt:   
- Stabs- und Fernmeldekompanie in Müllheim (Robert-Schuman-Kaserne, Kinzigstraße 2)
- Jägerbataillon 291 in Illkirch-Graffenstaden (Frankreich) (Quartier Leclerc, 12 Route de Rhin)
- Jägerbataillon 292 in Donaueschingen (Fürstenberg Kaserne, Friedhofstraße 26) und Stetten am kalten Markt           
- Artilleriebataillon 295 in Stetten am kalten Markt (Albkaserne, Hardstraße 58)  
- Deutsch-Französisches Versorgungsbataillon (Müllheim, Robert-Schuman-Kaserne, Kinzigstraße 2)          
- Panzerpionierkompanie 550 (Stetten am kalten Markt) (2)

- Follow on Forces Group

Für den Fall, das dieses relativ kleine Militärkontingent die Lage nicht allein unter „Kontrolle“ bringen kann, kann die VJTF Kräfte zu ihrer-Verstärkung anfordern. Es handelt sich dabei um die Initial Follow on Forces Group (IFFG). Danach steht als weitere Verstärkung die Follow on Forces Group (FFG) zur Verfügung. (3)

- PzGrenBrig 37

Zu den deutschen Verbänden der NRF gehört seit Jahresanfang die Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“ mit Hauptquartier in Frankenberg. Die Brigade gehört zur 10. Panzerdivision (HQ Veitshöchheim) und hat eine Sollstärke von ca. 5.000 Soldaten. Sie wird seit September 2021 auf den neuen Kampfpanzer Leopard 2A7V umgerüstet. Die Brigade wird von Oberst Alexander Krone geführt und gliedert sich in folgende Verbände:

- Stabs- und Unterstützungskompanie in Frankenberg       
- Fernmeldekompanie in Frankenberg         
- Aufklärungsbataillon 13 in Gotha (Friedenstein-Kaserne, Ohrdrufer Str. 93)      
- Panzerbataillon 363 in Hardheim (Carl-Schurz-Kaserne, Alte Würzburger Str. 509       
- Panzerbataillon 393 in Bad Frankenhauen (Kyffhäuser-Kaserne, Seehäuser Str. 60)  
- Panzergrenadierbataillon 371 in Marienberg (Erzgebirgskaserne, Zschopauer Str. 43)
- Panzergrenadierbataillon 391 in Bad Salzungen (Werratalkaserne, Hersfelder Str. 3)  
- Panzergrenadierbataillon 908 in Marienberg (Erzgebirgskaserne, Zschopauer Str. 43)
- Panzergrenadierbataillon 909 in Marienberg (Erzgebirgskaserne, Zschopauer Str. 43)
- Panzerpionierbataillon 701 in Gera (Pionierkaserne, Zum Hain 1)          
- Versorgungsbataillon 131 in Bad Frankenhausen (Kyffhäuser-Kaserne, Seehäuser Str. 60), Bad Salzungen, Idar-Oberstein

- NATO Force Integration Units

In den neuen Mitgliedsstaaten Osteuropa (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei und Ungarn) hat die Allianz jeweils eine NATO Force Integration Unit (NFIU) als Bindeglied zwischen den Reaktionskräften und dem Einsatzland (Host Nation) eingerichtet. Die NFIU sollen zum Beispiel logistische Netzwerke, Transportknotenpunkte und unterstützende Infrastruktur identifizieren, um eine schnelle Reaktionsgeschwindigkeit zu unterstützen. Geführt werden diese Verbindungseinheiten vom Multinationalen Korps Nordost in Stettin, dessen Bereitschaftsgrade ebenfalls mit dem NATO-Aktionsplan erhöht wurden. Die NFIU sind die Ansprechpartner vor Ort für die eingesetzten Bundeswehrkräfte.

- Multinational Corps Northeast

Das Multinational Corps Northeast (MNC NE - dt.: Multinationales Korps Nordost) ist dem ACO in Casteau direkt unterstellt. Es wurde 1999 aufgestellt und wird seit dem 19. November 2021 von dem deutschen Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart mit HQ in Szczecin (Polen) geführt. Als Chef der Planungsabteilung fungiert Brigadegeneral Kay Brinkmann.

Dem Kommando ist eine Command Support Brigade (poln.: Brygada Wsparcia Dowodzenia Wielonarodowego Korpusu Północny-Wschód) in Stargard (Polen) nachgeordnet. Zu deren Gliederung gehört – neben polnischen Einheiten - auch das 610. Fernmeldebataillon in Prenzlau (Uckermark-Kaserne, Schwedter Str. 63) unter der Führung von Oberstleutnant Andreas Rapp.

- Enhanced Forward Presence

Daneben hat die NATO im Rahmen ihres Programms „enhanced Forward Presence“ (eFP) in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen jeweils eine „Battle Group“ aus Rotationsverbänden stationiert. An der „Battlegroup Lithuania“ mit Hauptquartier in Rukla (Litauen) ist die Bundeswehr mit gegenwärtig ca. 550 Soldaten beteiligt. Ab dem 9. Februar 2022 ist das deutsch-niederländische Panzergrenadierbataillon 411 (niederl.: 414 Tankbataljon) aus Bergen-Lohheide mit 450 Soldaten, darunter 350 Bundeswehrangehörigen, vor Ort stationiert. Kommandeur des Bataillons ist seit 2019 Oberstleutnant Hagen Hubert Ruppelt, der in Personalunion seit August 2021 auch die Battlegroup leitet.

Das Bundesverteidigungsministerium hat am 7. Februar 2022 – anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington - die Aufstockung der Truppe um weitere 350 Soldaten angekündigt. (4) Rund 250 Soldaten sollen vom Heer kommen, die restlichen 100 Mann von der Luftwaffe oder Marine. Es geht dabei vor allem um Aufklärungs-, Artillerie- und ABC-Abwehr-Kräfte. Die Verlegung der Soldaten soll noch Mitte Februar beginnen.

Luftstreitkräfte

Die Bundesluftwaffe beteiligt sich seit 2004 zeitweise am Baltic Air Policing (BAP) der NATO, um den Luftraum der baltischen Staaten zu schützen. Die eingesetzten Kräfte werden als „Verstärkung“ (VBAP) bezeichnet. Es handelt sich i. d. R. um Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 71 „Richthofen“ aus Wittmund und des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg. Der letzte deutsche Einsatz im Baltikum endete im April 2021.

Ab dem 22. Februar 2022 will sich die Bundesluftwaffe mit drei Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg am „enhanced Air Policing South“, das seit 2014 in Rumänien durchgeführt wird, beteiligen. Die Maschinen sollen auf dem Fliegerhorst Mihail Kogalniceanu (MK) bei Konstanza stationiert werden. (5)

Marine

Über eine Ausweitung der Marineaktivitäten in der Ostsee in Folge der Ukraine-Krise wurde nichts bekannt.

Am 17. Januar 2022 ist die Fregatte „Lübeck“ der F122-Klasse aus ihrem Heimathafen Wilhelmshafen ausgelaufen, um ins östliche Mittelmeer zu verlegen. Unter dem Kommando von Fregattenkapitän Kai Röckel wird sich das Schiff an der Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2) vor den Küsten Griechenlands und der Türkei beteiligen. Der Einsatz soll bis zum Frühsommer dauern. „Mit der nötigen Professionalität und der Motivation meiner Besatzung wird die ‚Lucky Lübeck‘ aber auch den geplant letzten Einsatz ihrer 32-jährigen Dienstzeit bewältigen,“ erklärte der Kapitän. (6) Die Verlegung steht nicht in direktem Zusammenhang mit der Ukraine-Krise, aber bei Bedarf kann der Schiffsverband kurzfristig vom Mittelmeer ins Schwarze Meer verlegen.

Die „Lübeck“ löst in der Ägäis die Fregatte „Schleswig-Holstein“ (F123-Klasse) ab, die am 11. Februar in Wilhelmshafen zurückerwartet wird.

Das Minentauchereinsatzboot „Bad Rappenau“ des 3. Minensuchgeschwaders in Kiel hat am 7. Februar seinen Heimathafen verlassen. Als Kommodore fungiert Korvettenkapitän Jan Brodersen. Das Boot fährt zunächst nach Haifa (Israel), um sich dort der Standing NATO Mine Countermeasures Group 2 (SNMCMG 2) anzuschließen. Danach verlegt der Schiffsverband geschlossen ins Schwarze Meer. „Auf beides freue ich mich besonders, bin mir aber auch der besonderen Herausforderungen bewusst,“ erklärte der Kapitän. Am 5. Juli wird das Boot in seinem Heimathafen zurückerwartet. (7)

Quellen:

(1) https://jfcbs.nato.int/
(2) www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/organisation/10-panzerdivision/deutsch-französische-brigade
(3) https://jfcbs.nato.int/systems/file_download.ashx?pg=247&ver=22
(4) www.spiegel.de/politik/deutschland/verteidigungsministerin-christine-lambrecht-schickt-zusaetzliche-soldaten-nach-litauen-a-64366bfe-f729-4f95-9714-5d6bd6945dd6
(5) https://augengeradeaus.net/2022/01/luftwaffe-plant-erneut-kampfjets-fuers-nato-air-policing-an-der-suedostflanke/
(6) www.bundeswehr.de/de/organisation/marine/aktuelles/fregatte-luebeck-auslaufen-zum-finale-5328216
(7) www.bundeswehr.de/de/organisation/marine/aktuelles/bad-rappenau-teil-des-nato-verbandes-5343412