Militärforschung
  Wachbataillon
 

Neonazis im Hauptquartier

Gerhard Piper

9. Oktober 2021

Seit Jahren mehren sich die Vorfälle, bei denen bei Polizei, Bundespolizei und Bundeswehr neonazistische Netzwerke aufgedeckt werden. Nun ist auch das Wachbataillon der Bundeswehr beim Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) in Berlin betroffen. Dieses schützt den „Ausweichsitz“ des Kanzleramtes.

Das Wachbataillon

Auf der Webseite der Bundeswehr wird das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung (WachBtl BMVg) als „Garde der Bundesrepublik“ tituliert. Zur Aufgabe des Wachbataillons heißt es:

„Das Stellen des protokollarischen Ehrendienstes ist der Hauptauftrag des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung. Gerade auch in der Öffentlichkeit wird die Dienststelle durch zahlreiche Auftritte im Rahmen der militärischen Ehren als Repräsentantin der Bundesregierung wahrgenommen.“ (1)

So marschieren die Wachsoldaten bei Staatsbesuchen auf oder paradieren beim Großen Zapfenstreich zu Ludwig van Beethovens „Marsch des Yorkschen Corps“ und dem russischen Choral „Ich bete an die Macht der Liebe“ von Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski. Dazu sind die Paradesoldaten mit dem alten „Karabiner 98k“ ausgestattet. Das mag manchen Demokraten missmutig stimmen, dass das Wachbataillon bei seinen Aufzügen ausgerechnet ein Gewehr der Wehrmacht präsentiert, aber die Waffen sind nicht mehr schießfähig und es dürfte dafür auch kaum noch Munition erhältlich sein. So verhindert man wirksam, dass irgendein Bundeswehrsoldat bei irgendeiner Staatsvisite einen „President“ oder eine „Queen“ einfach abknallt.

Das Wachkommando ist dem Kommando Territoriale Aufgaben unterstellt. Als Bataillonskommandeur fungiert z. Zt. Oberstleutnant i. G. Kai Beinke. Das verstärkte Bataillon hat einen Personalumfang von 1.033 Paradesoldaten und gliedert sich in sieben aktive Kompanien: vier Protokollkompanien für Repräsentationszwecke, eine Versorgungskompanie und zwei Sicherungskompanien. Im V-Fall kommen zwei weitere Sicherungskompanien mit jeweils drei Infanteriezügen hinzu.

Die braune Zelle

Innerhalb des Wachbataillons geht es weniger „ehrenvoll“ zu: In der 2. Kompanie hat sich eine rechtsextremistische Zelle gebildet, die sich selbst „Wolfsrudel“ bzw. „Sonnenstudio 88“ nannte. Der Anführer der Gruppe war ein 32-jähriger Oberstabsgefreiter. Der Zelle gehörten mindestens sieben Soldaten aus dem „einfachen Dienst“ an, also Mannschaftsdienstgrade. Ermittelt wird aber gegen eine größere Zahl von Soldaten. So sollen auch zwei Feldwebel mit der Gruppe „verbandelt“ sein. Thomas Wiegold vom Blog „Augengeradeaus“ stellte fest, dass gegen mindestens ein Dutzend Soldaten des Wachbataillons ermittelt werde, die als Mitglieder der besagten Zelle oder unabhängig davon rechtsextrem auffällig wurden. (2)

Neben der Bundeswehruniform uniformierten sich die Zellenmitglieder mit einem T-Shirt mit dem bekannten NS-Symbol der „Schwarzen Sonne“ (3) aus drei übereinandergelegten Hakenkreuzen sowie der Aufschrift „Sonnenstudio 88“, der NS-Chiffre für „Heil Hitler!“. Auf der Rückseite prangte laut der doppeldeutig gemeinte Schriftzug „Wir sind braun“. Eine offizielle Meldung erging weder an die vorgesetzte Dienststelle noch an den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Nun ermittelt die Bundeswehr, wie blind oder geistig bescheiden darf man sein, um bei der Bundeswehr als Offiziere noch voll tapfer einsatzfähig zu sein.

Über die Gepflogenheiten der braunen Zelle berichtete der „Spiegel“.

„Sie sollen auf andere Kameraden uriniert und sie mit brennenden Feuerzeugen traktiert haben, asiatischstämmige Soldaten wurden als „Fidschi“ und „Schlitzauge“ verunglimpft. (5)

Des Weiteren berichtete der „Spiegel“:

„So soll die Gruppe über längere Zeit entwürdigende Aufnahmerituale innerhalb des Verbands organisiert haben. Als Beispiele nannte der Zeuge das „Anurinieren unter der Dusche“, „Faustschläge gegen die Leber“, „Anzünden von Körperteilen mit Feuerzeug und Zigarette“. Zudem hätten die Soldaten einem schlafenden Kameraden ihre Genitalien ins Gesicht gehalten.“ (6)

Das BMVg gab auf seiner Internetwebseite bisher keine Presseerklärung zu den Vorfällen ab. Ministeriumssprecher Oberst i. G. Arne Collatz wollte sich in der Bundespressekonferenz wegen der noch laufenden Ermittlungen und zur Wahrung der „Persönlichkeitsrechte“ nicht zu Details der Vorfälle äußern. Immerhin räumte er unumwunden ein:

„Der Sachverhalt ist noch nicht vollständig ausermittelt. Wir haben das Wachbataillon an dieser Stelle aufgrund von Vorfällen ja schon einmal als Thema gehabt; auch medial ist es bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres in Erscheinung getreten. Das hat zu internen Ermittlungen geführt, und diese internen Ermittlungen haben weitere Kontexte hervorgehoben, die wir dann auch ausermittelt haben. In diesem Zuge kam es jetzt zu weiteren Verdächtigungen. Wir sind dort im Bereich mehrerer Dutzend.“ (4)

Außerdem fertigte Staatssekretär Gerd Hoofe einen Bericht an, den man allerdings nur ausgewählten Pressekreisen zur Verfügung stellte.

Unabhängig von der jetzt aufgedeckten Zelle gab es in den letzten Monaten weitere Vorkommnisse. Insgesamt ist von sieben Vorfällen die Rede:

„Demnach soll sich ein Mannschaftssoldat in Wehrmachtsuniform fotografiert haben lassen, ein weiterer Soldat steht im Verdacht, den rechtsextremen „Identitären“ nahezustehen. Ein Unteroffizier soll Untergebenen vorgeworfen haben, »scheiß Islammusik« zu hören.“ (7)

Entgegen den sonst bei der Bundeswehr üblichen Ritualen musste sich diesmal allerdings kein Soldat auf einen Spind hocken und laut „Kickeriki“ rufen.

Die Vorfälle bzgl. des „Wolfsrudels“ wurden durch einen Angehörigen der 2. Kompanie angezeigt und durch einen weiteren Soldaten bestätigt. Nun müssen sich die Kompanieführung und die Paradesoldaten der 2. Kompanie mit dem MAD unterhalten.

Die langweilige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD), forderte, „dass weiter aufgeklärt und schnell sanktioniert wird und dass Sensibilisierung und Prävention intensiviert werden“. (8) Sie habe „einen guten Eindruck“ von den Ermittlungen, erklärte Högl schon zwei, drei Tage nach Beginn der Untersuchungen. (9) Gleichzeitig versuchte die Sozialdemokratin zu beschwichtigen: „Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, an der Professionalität, Zuverlässigkeit und Verfassungstreue des Wachbataillons zu zweifeln.“ (10) Angesichts der neuerlichen Vorfälle phantasierte der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller: „Heute wird deutlich: In der Bundeswehr ist kein Platz für Rechtsextremismus.“ (11)

Jetzt dürfen die rechtsextremistischen Soldaten am 13. Oktober 2021 nicht am Großen Zapfenstreich anlässlich des Rückkehrerappells der Afghanistan-Veteranen in Berlin teilnehmen.

Die Leber-Kaserne

Untergebracht ist das Wachbataillon in der „Julius-Leber-Kaserne“ Berlin-Wedding (Kurt-Schumacher-Damm 41). (12) Die Kaserne nimmt eine Fläche etwa 80 Hektar ein und ist bebaut mit rund 135 Gebäuden sowie 85 Hallen.

Über die Anlage heißt es von Seiten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR):

„Die Gesamtanlage ist axial-symmetrisch angelegt. Eine ovale Ringstraße erschließt als Großform die gesamte Liegenschaft. Die einzelnen Baukörper sind in der Regel als freistehende Solitäre zur Ringstraße orientiert und beherbergen zentrale Nutzungen wie Verwaltung, Unterkünfte und Versorgungseinrichtungen. In den rückwärtigen Bereichen sind weitere Versorgungsreinrichtungen wie Kantinen und Betreuungsbereiche sowie Werkstätten und Garagen untergebracht. Im inneren Bereich des Ovals liegen Gebäude für die militärische und sportliche Ausbildung wie Turnhallen und eine Schwimmhalle.

Die Bauweise der zentralen zum Ring orientierten Bauten nimmt den unter den Nationalsozialisten geförderten Heimatstil auf. Die Baukörper sind ein- oder zweigeschossig und haben traditionelle Walmdächer in Biberschwanzdeckung. Das Erdgeschoss ist um einige Stufen angehoben. Die Fassaden sind als Lochfassade mit hellem Madenputz und Natursteinelementen (Sockelverkleidung, Gewände von Eingängen, Fensterbänke) ausgebildet. Die Gestaltung von Eingangsbereichen und von repräsentativen Räumen ist handwerklich und gestalterisch hochwertig. Garagen und Werkstätten sind als einfache Funktionsbauten ohne Schmuckelemente errichtet worden. (…) Um den prägenden Charakter der Liegenschaft zu erhalten, wurde 2010 ein Denkmalpflegeplan für die gesamte Liegenschaft erstellt.“ (13)

In der alten Kaserne sind insgesamt 1.300 Soldaten verschiedener Einheiten disloziert. Außer dem Wachbataillon sind hier u. a. das Stabsmusikkorps, das Kommando Territoriale Aufgaben (KdoTerrAufgBw), das Feldjägerregiment 1 (FJgRgt 1) und das „Ausbildungszentrum Politische Bildung“ untergebracht. Das Territorialkommando wird z. Zt. von Generalmajor Carsten Breuer befehligt; sein Stellvertreter ist Brigadegeneral Andreas Henne. Dem Kommando sind u. a. das Wachbataillon, die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) und das Landeskommando Berlin unterstellt. Für das Kommando Territoriale Aufgaben ist z. Zt. ein neuer Gebäudekomplex aus mehreren Gebäudeteilen für etwa 300 Mitarbeiter geplant. Das Feldjägerregiment 1 umfasst zehn Kompanien, davon sind vier Kompanien in der Leber-Kaserne untergebracht: 1. Kp (Stabs- und Versorgungskompanie), 2. Kp (Dienstkommando am BMVg) für den Objektschutz des Verteidigungsministeriums, 3. Kp (Feldjägerdienstkommando) und 13. Kp (Sonderaufgaben Personenschutz für das BMVg und Ehreneskorte). (14) Außerdem sollen in der Kaserne Spezialpioniere stationiert sein.

Die Kaserne wurde 1937 als „General-Göring-Kaserne“ von der Wehrmacht errichtet. Damals war hier die Reichsluftwaffe stationiert. Die braune Vergangenheit spiegelt sich noch im Baustil sowie in mehreren historischen Wandmosaiken und Gemälden wider. Ab 1947 übernahmen die französischen Besatzungstruppen das Areal, benannten die Kaserne um in „Quartier Napoleón“ und errichteten hier ihr Hauptquartier. Mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Abzug der Westalliierten aus Westberlin zog die Bundeswehr 1994 in den Komplex ein.

Sicherung der Bundesregierung

Das Wachbataillon ist keine reine Karnevalstruppe wie die „Roten Funken rut-wieß“ aus Köln oder die „Prinzengarde e. V.“ aus Mainz. Es hat darüber hinaus tatsächlich eine echte Aufgabe: Neben dem Protokolldienst ist das Wachbataillon „außerdem für die Sicherung der Dienstsitze der Bundesregierung zuständig“. Dazu heißt es auf der Webseite der Bundeswehr sehr allgemein: „Neben den Heereskompanien gibt es eine Luftwaffen- (Objektschutz) und eine Marinekompanie (Marineinfanterie). Für den besonderen Einsatzraum Berlin und den exklusiven Sicherungsauftrag bedarf es der Spezialisten und Spezialistinnen aus allen Teilstreitkräften.“

Mit dem Umzug von Bonn nach Berlin Anfang der neunziger Jahre hat die Bundesregierung ihren alten Kriegsbunker in den Weinbergen bei Marienthal im Ahrtals aufgegeben. Die DDR-Führungsbunker im Umkreis von Berlin ließ man verfallen oder durch Militaria-Sammler ausrauben. Soweit bekannt steht der zivilen Spitze der Bundesregierung derzeit kein Kriegsbunker mehr zur Verfügung. Da das Kanzleramt und die vierzehn Bundesministerien auf die gesamte Berliner Innenstadt verteilt sind, hat man mit der Julius-Leber-Kaserne einen ummauerten Ort ausgewählt, zu dem die rund 590 Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes im Falle Innerer Unruhen als „Ausweichsitz“ evakuiert werden können. Mit dem Feldjägerregiment und den Sicherungskräften des Wachbataillons sind die Schutzkräfte bereits vor Ort. Im Alarmfall werden die Protokollkompanien abgezogen, um deren Räumlichkeiten für Regierungszwecke zu nutzen. Es ist nicht bekannt, in welchem Umfang in der Kaserne entsprechende Kommunikationsanlagen installiert wurden.

Wie zu Zeiten des Kalten Kriegs darf man davon ausgehen, dass im Fall einer größeren Krise Regierungskräfte von strategischer Bedeutung nach Frankreich, Spanien oder in die USA evakuiert werden. Zwar wurde der benachbarte Passagierflughafen Berlin-Tegel (TXL) bereits geschlossen, aber auf dem Nordteil des Airports bleibt die 3. Lufttransportstaffel der Bw-Flugbereitschaft mit drei Hubschraubern „AS532 Cougar“ bis 2029 permanent stationiert. Erst danach ist ein Umzug zum neuen Flughafen BER in Berlin-Brandenburg geplant. (15)

Wenn bei Inneren Unruhen das Wachbataillon die Bundesregierung schützen soll, wäre es etwas blöd, wenn die Wachsoldaten selbst der „Innere Feind“ wären, und irgendein „(Anti-)Staufenberg“ in der Ersatz-„Wolfschanze“ von Berlin-Wedding einen demokratisch gewählten Bundeskanzler einfach abknallt.

Quellen:

(1) www.bundeswehr.de/de/organisation/streitkraeftebasis/organisation/kommando-territoriale-aufgaben-der-bundeswehr/wachbataillon-beim-bundesministerium-der-verteidigung

(2) https://augengeradeaus.net/2021/10/rechtsextremismus-verdacht-und-abartige-rituale-beim-wachbataillon-eine-kompanie-aus-dem-protokolldienst-abgezogen-neufassung-mehr-einzelheiten/

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze_Sonne

(4) https://augengeradeaus.net/2021/10/rechtsextremismus-verdacht-und-abartige-rituale-beim-wachbataillon-eine-kompanie-aus-dem-protokolldienst-abgezogen-neufassung-mehr-einzelheiten/

(5) www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-kompanie-nach-rechtsextremen-wolfsrudel-vorfaellen-aus-dienst-genommen-a-3d4bb705-2f38-4c90-ab2a-7f0a42445d5d

(6) www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-ermittelt-gegen-rechtsextreme-gruppe-im-wachbataillon-a-6fe09752-aafe-4893-a58c-cd8cd8daa31a

(7) www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-kompanie-nach-rechtsextremen-wolfsrudel-vorfaellen-aus-dienst-genommen-a-3d4bb705-2f38-4c90-ab2a-7f0a42445d5d

(8) www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-kompanie-nach-rechtsextremen-wolfsrudel-vorfaellen-aus-dienst-genommen-a-3d4bb705-2f38-4c90-ab2a-7f0a42445d5d

(9) www.welt.de/politik/deutschland/article234286048/Verteidigungsministerium-prueft-Extremismusverdacht-im-Wachbataillon.html

(10) www.tagesspiegel.de/politik/soldaten-sollen-sich-wolfsrudel-nennen-bundeswehr-ermittelt-gegen-rechtsextreme-gruppe-im-wachbataillon/27689220.html

(11) www.welt.de/politik/deutschland/article234286048/Verteidigungsministerium-prueft-Extremismusverdacht-im-Wachbataillon.html

(12) https://de.wikipedia.org/wiki/Julius-Leber-Kaserne_(Berlin)

(13) www.bbr.bund.de/BBR/DE/Bauprojekte/Berlin/Sicherheit/Julius_Leber-Kaserne/jlk.html

(14) https://de.wikipedia.org/wiki/Feldj%C3%A4gerregiment_1

(15) www.tagesspiegel.de/berlin/flugbereitschaft-braucht-txl-bundesregierung-haelt-bis-2029-am-flughafen-tegel-fest/25680188.html